Blumenthal verkauft The Fat Duck – oder auch nicht

266992163_68f0e09838_m.jpgDieser Meldung zufolge hat Heston Blumenthal sein Dreisterne-Restaurant „The Fat Duck“ (das „angeblich beste Restaurant der Welt„) an Ronnie Lowenthal, den Stiefbruder seines Vaters, verkauft. Für das Restaurant selber dürfte das aber wenig Konsequenzen haben, da Blumenthal angekündigt hat, auch weiterhin dort zu kochen.

Schon vor ein paar Tagen ist Heston in den Nachrichten gewesen, als er mit Clive Dixon einen Sternekoch für sein zweites Restaurant, den „Hind’s Head Pub„, ebenfalls in Bray, eingestellt hat.

Lässt sich das in die Richtung interpretieren, dass Blumenthal sich nun etwas aus Bray zurückzieht und verstärkt seinem potentiellen neuen TV-Partner Channel 4 sowie den Expansionsplänen in die Hauptstadt widmen will?

UPDATE: Dieser Meldung zufolge hat Blumenthal sein Restaurant doch nicht verkauft. Lowenthal hat schon vor einem Jahr eine Beteiligung an der Fat Duck übernommen.

123 – fertig ist der Klippfischbrei

Wenn so jemand wie Marc, Molekularküchenleser der ersten Stunde, ein Stöckchen hierher wirft, dann lässt sich das kaum ignorieren. In diesem 123-Stöckchen geht es darum, einen zufälligen Blick darauf zu erhaschen, welches Buch gerade auf dem Schreibtisch, Couchtisch, Nachttisch etc. der betroffenen Person liegt:

„pick sentence 6-8 on page 123 of the nearest book, write them down and pass the game on to 5 other bloggers. …“

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In der Molekularküche liegt selbstverständlich ein Kochbuch in unmittelbarer Reichweite. Aktuell: Paula Wolferts herrliches „The Cooking of Southwest France“, das man schon allein des großartigen Rezepts für das Rotwein-Zwiebelkompott (Compote d’Oignon au Vin Rouge, S. 348) kaufen sollte. Einen Eindruck in die stilistische Geschliffenheit des Buches von Wolfert – übrigens die einzige Autorin, bei der man sich absolut sicher sein kann, dass sie, wenn es im Buch heißt: „90% der Köche in Südwestfrankreich entfernen den grünen Trieb des Knoblauchs“, tatsächlich 100 Köchinnen und Köche befragt hat – vermitteln die ersten beiden gewünschten Sätze 6-8 auf Seite 123:

Beat until smooth. Keep warm.

Das könnte der Anfang eines Songtextes einer New Yorker Postpunkband sein, ist aber der Höhepunkt des Rezeptes einer „Morue à la Rouergate“ (Püree aus Klippfisch, Kartoffeln und Walnussöl). Weiter geht es mit

Meanwhile, scald the remaining 3/4 cup milk in a small saucepan and heat the remaining walnut oil in a second saucepan.

Und dann ist der Aufstrich fast fertig und kann auf die Knoblauchtoasts gestrichen werden.

Jetzt bin ich aber gespannt, welche (Koch?)Bücher bei euch in der Nähe liegen und reiche das Stöckchen weiter an

Delias Schummelküche: beyond horrible!

cheat.jpgWas für ein herrliches Format! Der Guardian hat bemerkt, dass Delia Smiths Bestsellerkochbuch „How to Cheat at Cooking“ kontrovers diskutiert wird – Ausverkauf? Geschmacklosigkeit? Überfällig? – und lädt sich kurzerhand einen Chefkoch (Aldo Zilli) sowie eine handvoll Gastrosophen ein, um dem einmal empirisch nachzugehen. Die Aufgabe des Kochs lautet: Koche sechs der Gerichte nach. Und dann wird probiert. Das Ergebnis dieser merkwürdigen Probierrunde – die Zutaten reichen von Kondensmilch über tiefgefrorenes Kartoffelpüree bis zum fertig geriebenen Gruyère – kann man in diesem Artikel nachlesen.

Delia plädiert in ihrem Buch für die Verwendung von Fertigzutaten – um Zeit und Geld zu sparen, aber auch um die Hürde für den Kochanfänger zu senken. Wer es sich nicht zutraut, eine Rinderoberschale durch den Fleischwolf zu drehen, hat vermutlich weniger Probleme damit, fertig geformte Fleischpatties in die heiße Butter zu werfen. Das Ziel sind dennoch gesunde und wohlschmeckende Gerichte, die dann gemeinsam von einer glücklichen, weil nicht durch den Kochstress aufgeriebenen, Familie genossen werden:

„I think I will have performed a great service if I can make it possible for families to sit round and eat a meal together,“ she has said. „That’s my mission.“

Im Prinzip ist gegen die Verwendung von Fertigzutaten nichts einzuwänden. Viele Fertigwaren wie Anchovis oder Käse gehören zu den faszinierendsten Zutaten überhaupt – und ich bin eigentlich ganz froh, dass ich das Fermentieren der Fische und das Verkäsen der Molke den Fachleuten überlassen kann. Zudem handelt es sich hier um ein altes Phänomen, das eigentlich mit der Entwicklung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung begonnen hatte – man denke etwa an die berühmten antiken Garumfabriken in Cartagena, Pompeji, Klazomenaid und Leptis.

Doch das ist vor allem eine Frage der Schwelle: in welchem Maß sind die verwendeten Produkte schon weiterverarbeitet. So kommen auch die Guardian-Testesser immer wieder zu dem Ergebnis, dass die Vorschläge in Delias Kochbuch nicht besonders viel Zeit sparen und auch nicht zwangsläufig billiger sein müssen als die Verwendung frischer Zutaten (im Übrigen kostet das Buch bereits stolze 30 Euro). So dauert die Zubereitung von Delias Wildpilzrisottos deutlich länger als ein frisches Risotto, da die getrockneten Pilze erst hydriert werden müssen. Und für so merkwürdige Dinge wie fertiggebratenen Speck oder geriebenen Käse gibt es nun wirklich weder eine Verwendungsmöglichkeit noch eine Ausrede. Noch dazu, wenn die fertigen Gerichte nicht besonders überzeugend schmecken. So heißt es über die Schokoladenplätzchen:

These were beyond horrible. They had the sheen of a freshly laid dog turd – and the consistency, with that potato in them … Ugh. No resistance, no bite, nothing.

Oder über den Huhn-Lauch-Kuchen:

Utterly horrible. It reminded me of the worst kind of school dinners. The pastry was tasteless and undercooked, it had that awful tinned-meat flavour, and the vegetables were almost raw.

Dabei gilt Delia Smith doch als kulinarischer Apostel, denn sie ist nicht nur seit fast 25 Jahren für die BBC als Kochlehrerin in der Öffentlichkeit sichtbar, sondern hat zudem mit ihren mittlerweile drei Bänden „How to Cook“ ein Standardwerk auf dem Gebiet vorgelegt. (via)

Ökoprivatismus versus Techno-Emocionale?

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Einen weiteren interessanten Beitrag zur kulinarischen Nomenklatur habe ich in dem Blog des australischen Bloggers Elliot Rubinstein gefunden. Er beschreibt dort einige aktuelle Trend auf dem Foodsektor von dem Durchstarten der Foodblogs, die vor wenigen Jahren noch überhaupt keine Rolle gespielt haben, bis hin zum Trend, lieber in der eigenen Küche mit selbst gekauften regionalen Zutaten zu kochen als ins Restaurant zu gehen. Letztere Entwicklung verknüpft er unter anderem
auch mit dem Scheitern der „Techno-Emocionale“, so lautet seine Bezeichnung der spanischen Molekularküche. Diese Richtung hat seiner Ansicht nach mehrere Probleme:

  • Zahlreiche Copycats, die in ihren kulinarischen Fähigkeiten den großen Vorbildern wie Ferran Adrià längst nicht das Wasser reichen können, haben das Ansehen der molekularen Küche beschädigt.
  • Ebenfalls problematisch wird das Format der Degustationsmenüs beschrieben. Durch die vielen „Unterbrechungen“ und die Erklärungen der Ober werden gesellige Gespräche der gemeinsam zu Tisch sitzenden Kommensalen unmöglich gemacht.
  • Dazu kommt, dass die große Zahl der für sich selbst schon ausdrucksstarken Weine, die zu den einzelnen Gängen gereicht werden, den Gaumen schlicht überwältigen und für feine Nuancen der Speisen unempfindlich machen.

Im Prinzip halte ich die Kritik für berechtigt. Allerdings ist die Aussage, dass molekularkulinarische Menüse eben kein Alltagsvergnügen darstellen. Und das ist auch gar nicht ihr Ziel. Insofern sind Zitate von Heston Blumenthal (The Fat Duck) oder Ferran Adrià (El Bulli), in denen sie darauf hinweisen, dass sie sich selbst gar nicht molekularkulinarisch ernähren, sondern mit ganz gewöhnlicher einfacher Alltagsküche, auch kein bisschen überraschend. Aber das schließt keineswegs aus, dass gewisse Elemente dieses neuen kulinarischen Esperanto in die Alltagsküche, ja vielleicht sogar die Convenienceküche, diffundieren.

Der Umgang mit Geliermitteln oder der Trend zum Aufschäumen (Espuma) dürften sich als Entwicklungen in diese Richtungen deuten lassen. Und dass die molekulare Küche nicht notwendig ein Gegenteil von regionalen Zutaten und ökologischer Produktion sein muss, dürfte ebenfalls offensichtlich sein – man muss sich dazu nur einmal die entsprechenden Mission-Statements der Molekularköche ansehen wie z.B. die 23 Punkte von Ferran Adrià.

(Abbildung „Øko Kaffe The? Juice“ von reinvented, CC-Lizenz)

Deutschlands kulinarische Oberschicht

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Dass Juan Amadors molekulare Küche in Langen zu den besten Restaurants in Deutschland gehört, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben – spätenstens seitdem er von den Michelin-Kritikern mit dem dritten Stern ausgezeichnet worden ist. Nun beginnt sich dieser Erfolg auch im Ausland herumzusprechen. Ganz vorne mit dabei natürlich die New York Times, die der Tradition der nueva nouvelle cuisine sowieso sehr aufgeschlossen gegenübersteht.

Während Amador aufgrund seines Namens und seiner Zeit bei Ferran Adrià eher in den iberischen Kontext eingeordnet wird, betont Carter Dougherty in der New York Times gerade die Verwurzelung in der deutschen kulinarischen Tradition. Wenn auch nicht ganz sicher ist, was man unter der deutschen Küche verstehen soll, ein Gericht gibt es, das wie kaum ein anderes damit verbunden wird: der Stramme Max. Amador dekonstruiert diesen Inbegriff der fettig-herzhaften Teutonenküche wie folgt: ein paar Tropfen Schweinefett und geräuchertes Öl zusammen mit einem Wachtelei in hauchdünnem Teig.

Gestützt durch Amador und Michelin-Herausgeber Jean-Luc Naret konstatiert Dougherty den Deutschen sogar so etwas wie eine Esskultur — und zwar durchaus auch jenseits der Sternewelt:

A restaurant culture has blossomed here in the last decade, with Germans shaking off a reputation for tightfistedness when it comes to eating out.

Der Ethnologe Gunther Hirschfelder (Uni Bonn), Autor der „Europäischen Esskultur“ bemüht sich freilich wieder, diesen leisen Aufbruch der deutschen Kulinaristik wieder zu relativieren. Er beschreibt eine gespaltene deutsche Esskultur: oben die Feinschmecker und unten eine breite Schicht von Menschen, deren kulinarische Erfahrungswelt auf die Erzeugnisse der Convenience-Industrie beschränkt bleiben — mit allen Folgen (juvenile Diabetes, Adipositas und Herzerkrankungen).

Das Argument, dass die haute cuisine ein natürliches Terrain der kulinarischen Oberschicht bleiben muss, halte ich allerdings für wenig tragfähig. Zeigen doch die kulinarischen Traditionen Frankreichs und Italiens, dass sich auch einfache Küchen von sehr guter Qualität herausbilden können. Und Bocuses Kochbücher haben an dieser Veralltäglichung des guten Essens einen kaum zu unterschätzenden Anteil.

(Abbildung „Strammer Max“ von FetchStyle)

Kalbsschnitzel mit Nüssen und Balsamico nach Marcella Hazan

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Die Früchte des Haselstrauches sind auf der italischen Halbinsel seit der römischen Antike beliebt. Das merkt man allein daran, dass die Linnésche Bezeichnung der Pflanze Corylus avellana lautet, nach der kampanischen Stadt Abella (hier auf der Karte), die der Mittelpunkt der römischen Haselnusskultur gewesen ist. Damals wie heute hat man die Nüsse entweder frisch gegessen oder geröstet. Aber auch die Verwendung als Gewürz, um Speisen eine nussige Note hinzuzufügen, hat schon eine lange Tradition.

Man findet Hinweise darauf zum Beispiel bei Apicius, dem Escoffier des 1. nachchristlichen Jahrhunderts: in seinem Werk „De re coquinaria“ gibt es eine Sauce für gekochtes Wildschwein, in der türkische Haselnüsse („ponticas“ nach der Stadt Pontus) Verwendung fanden, einige Haselnusssaucen für verschiedene Vögel sowie eine weiße Schnitzelsauce mit eingeweichten und gereinigten (Wal-)Nüssen („nuces infusas et purgatas“). Diese Nusssaucen kombinieren in der Regel Nuss, Öl, Wein und Essig – genau die Verbindung, die auch Marcella Hazans „Scaloppine di Vitello con le Nocciole e l’Aceto Balsamico“ zu einem großartigen Erlebnis machen.

Marcella sagt über die Haselnüsse: „Their toasty flavor is also particularly compatible with veal.“ Das wollte ich mir dann doch einmal näher ansehen. Die Frage lautet also: Welche der Aromastoffe haben Haselnuss und Fleisch gemeinsam? Zum einen enthält der Geschmack von gebratenem Kalbsfleisch sowie so schon einige nussige Noten, zum Beispiel durch das 2-Acetyl-3-Methylpyrazin, 2-Acetyl-2-Thiazolin oder Corylonpyrazin. Aber ich habe auch drei Aromastoffe gefunden, die in beiden Zutaten vorhanden sind:

  • (E,E)-2,4-Decadien-1-al (kurz: 2,4-De), ein Dienaldehyd mit fettigem Geruch und einem Geschmack, der nach Fett, Huhn, Aldehyd, grün, gebraten und Kartoffeln erinnert. Dieser Stoff steht seit kurzem unter Verdacht, krebserregend zu sein.
  • Buttersäure, die ebenfalls entsteht wenn Butter ranzig wird und einen charakteristischen käsigen Geruch besitzt und sehr streng nach Milchprodukten, Käse, Butter sowie fruchtig schmeckt. Aber wie so oft macht die Dosierung und die Kombination hier die Musik.
  • 2,3-Diethyl-5-Methylpyrazin, auch bekannt unter der passenden Bezeichnung „Haselnusspyrazin“ ist ebenfalls in beiden Zutaten enthalten. Dieser Stoff hat einen muffigen Geruch und schmeckt ebenfalls muffig, geröstet, nussig, Kartoffel, Kakao oder auch erdig bis schmutzig. Dazu passt, dass Cato erwähnt hat, er bewahre seine avellanischen Haselnüsse immer in einem Tongefäß in der Erde auf.

Dazu kommt dann der Balsamico-Essig, der keine direkte geschmackliche Verbindung zum Fleisch und den Nüssen aufweist, aber zahlreiche typische Maillard-Produkte enthält wie zum Beispiel 5-Methylfurfural, 5-Hydroxymethylfurfural (HMF) oder Furfural (siehe diesen Artikel). Dadurch bekommt er seine fettige, karamellige Note und den süßen, ahornigen, braunen Geschmack. Passt also sehr gut zu den Maillardprodukten, die beim heißen Anbraten des Schnitzels entstehen.

Zutaten (2 Personen)

  • Zwei Kalbsschnitzel, dünn geklopft
  • 10-20 Haselnüsse
  • Butter
  • Öl
  • Mehl zum Panieren
  • Weißwein (ca. 1/2 Glas)
  • Salz, Pfeffer
  • 1 TL Balsamicoessig

Zubereitung

  1. Haselnüsse in einer Pfanne bei starker Hitze rösten. Oft wenden. Danach etwas abkühlen lassen und die Haut entfernen. Hacken, aber nicht zu fein.
  2. Butter und Öl in der Pfanne erhitzen und die kurz im Mehl gewendeten Schnitzel bei starker Hitze auf beiden Seiten kurz anbraten. Sobald sie leicht Farbe annehmen aus der Pfanne nehmen.
  3. Mit etwas Wein den Satz in der Pfanne auflösen und die Haselnüsse dazugeben. Kochen lassen bis die Flüssigkeit verdampft ist. Etwas Butter mit den Haselnüssen verrühren.
  4. Nun die Schnitzel salzen und pfeffern und in der Pfanne unter mehrfachem Wenden fertigbraten.
  5. Den Essig über die Schnizel träufeln und durch Wenden die Flüssigkeit gut verteilen. Anrichten und mit der restlichen Sauce in der Pfanne übergießen.

Was man so alles essen kann – Wurstpfannkuchen am Spieß

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Schoko-Pfannkuchen mit Würstchen am Spieß. Ein Beitrag zur Blogaktion „They Go Really Well Together“? Eine Kreation der avantgardistischen Molekularküche? Nein, bloß ein Beispiel für amerikanische Supermarktkost aber vielleicht auch eine Erklärung, warum die amerikanische Kulinaristik dem Esperanto der Molekularküche doch etwas offener gegenübersteht als die deutsche. Wenn man so eine Kombination bereits in der gruseligen Version (hier und hier findet man einige Zubereitungstipps) begegnet ist, weiß man die gelungene Version des Ganzen vermutlich umso mehr zu schätzen. (via Twitter)

(Abbildung: „Best Invention EVAR!“ von PunkJr, CC-Lizenz)

Wylie Dufresnes WD~50 bekommt dritten Stern

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… zwar keinen Michelinstern, sondern den dritten Stern des New York-Times Gastroressorts. Das ist nicht nur deshalb erfreulich, weil damit wieder ein Molekularer Gastronom ganz oben angekommen ist, sondern auch deshalb, weil damit eine äußerst lesenswerte Würdigung seiner Küche durch Frank Bruni, der bislang mit der amerikanischen Spielart der molekularen Küche nicht so viel anfangen konnte, verbunden ist.

Der Artikel beginnt mit einer ausführlichen Beschreibung eines der signature dishes von Dufresne: seinen Eggs Benedict. Hier haben wir dem Bericht von Bruni nach Molekulare Küche in ihrer feinsten Ausprägung. Der Ausgangspunkt ist ein ur-amerikanisches Gericht, das nicht nur wie es sich für eine ordentliche kulinarische Tradition gehört ganz unterschiedliche Begründungslegenden besitzt, sondern auch als Egg McMuffin in die Systemgastronomie und damit den kulinarischen Mainstream aller Mainstreams Eingang gefunden hat. Diese Legende der Art Deco-Küche wird von Wylie Dufresne dann verfeinert im besten Sinne des Wortes: zivilisiert, raffiniert und konzentriert. Bruni weiß das zu würdigen:

At once concise and comprehensive, it’s perhaps the tidiest Benedict the egg-loving world has ever known. It’s quite possibly the best, yielding more yolk, more hollandaise and a more pronounced juxtaposition of textures in each bite.

Die Frage ist, ob die Beobachtung der Kritiker, dass die experimentelle Küche von Wylie Dufresne immer besser geworden ist, tatsächlich darauf zurückzuführen ist, dass seine Küche, die sich weder um Konformismus noch um Grenzen des Denkbaren kümmert, treffsicherer geworden ist. Oder ist nicht viel eher der Fall, dass die Gastrokritik gerade lernt, an dieser neuen Küche Geschmack zu finden?

Ich bin zwiegespalten, wenn es um das „Geschmacksprinzip“ (pleasure principle) geht. Auf der einen Seite ist es selbstverständlich ein grandioses Erlebnis, wenn ein Gericht absolut harmonisch kombiniert ist und den Sinnen einfach nur Wohlgefallen spendet. Auf der anderen Seite sind kulinarische Herausforderungen von der Erweiterungen des eigenen Geschmacksfeldes um neue Noten und Kombinationen bis hin zum intellektuellen food for thoughts für mich ein ebensowichtiger Bestandteil eines guten Lebens. Insofern finde ich es gar nicht so negativ, wenn Wylie Dufresne in den letzten Kritiken „a certain contempt for the pleasure principle“ vorgeworfen wurde. Der gute Geschmack – auch eine dieser konventionellen Grenzen, die es einzureißen gilt? Auf diesem gastroklastischen Abenteuer kann es auch einmal notwendig sein, die Foie gras zu verknoten.

(Abbildung: „patriotic eggs benedict on crab cakes…“ von Joits, CC-Lizenz)

La cuisine française : patrimoine mondial de l'Unesco

„nous avons la meilleure gastronomie du monde. C’est un élément essentiel de notre patrimoine […] Nous voulons que cela soit reconnu au patrimoine mondial“

Mit diesen Worten hat Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy am 22.2. die Aufnahme der französischen Küche in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes beantragt.

Häme und Kritik der deutschen Presse ließen nicht lange auf sich warten – die Klischees von den froschschenkelverzehrenden Welschen sind eben doch allzu leicht eingängig. Und andererseits wäre dies auch nicht die erste Nebelkerze, mit welcher der französische Staatschef von anderen (wichtigeren?) Themen abzulenken versucht hätte.

Aber unabhängig davon, wie wir diesen Schritt in die aktuelle Tagespolitik einordnen, lohnt es sich, einen Schritt zurück zu treten und die Fragen einmal nüchtern zu stellen:

Warum sollte die Küche einer Kultur nicht zu deren Erbe gehören?

Zunächst ist die Kultürlichkeit von Kochen und Ernährung desöfteren auch schon Thema auch für uns gewesen. Insbesondere die Funktion von Speise als Kommunikation ist für uns eine der zentralen Fragen, mit denen wir uns hier auch in Zukunft auseinandersetzen werden.

Als zweites gibt es – ganz Pragmatisch – den Kriterienkatalog der UNESCO (Richtlinien für die Durchführung des Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt, Abschnitt II.D., Nr, 77 f.). Schutzwürdig sind danach unter anderem Güter, die

„ein einzigartiges oder zumindest außergewöhnliches Zeugnis von einer kulturellen Tradition oder einer bestehenden oder untergegangenen Kultur dar[stellen].“

Hier steht insbesondere auch der Schutz des immateriellen Kulturerbe im Focus:

„Zum immateriellen Erbe zählt die UNESCO „Praktiken, Darbietungen, Ausdrucksformen, Kenntnisse und Fähigkeiten – sowie die damit verbundenen Instrumente, Objekte, Artefakte und Kulturräume -, die Gemeinschaften, Gruppen und gegebenenfalls Individuen als Bestandteil ihres Kulturerbes ansehen.“

Als drittes – und hier wird es meines Erachtens richtig interessant – geht es in dieser Forderung um nichts weniger, als um die Gewinnung eines historischen Verständnisses von Esskultur. Auch bei uns war dieser Punkt schon einmal Anlass für eine kurze Debatte über Tradition und Bilderstürmerei, als es um Heston Blumenthals sogenannte Bolognese ging. Die Darstellung der Kultur es Kochens in Schulen, Epochen, Stile setzt aber voraus, dass die Traditionen der Regeln, die über einen gewissen Zeitraum gültig waren, erhalten, akademisiert, musealisiert werden.

Und dabei wäre es insbesondere von größter Wichtigkeit, sich auch Kenntnisse der Alltagskultur zu erhalten! Die Küche für jeden Tag – heute stark geprägt von Convenience, von kultureller Fusion, in Deutschland z. B. stark von mediteranen oder asiatischen Moden – sie wird bis dato so gut wie nicht als Teil der Kultur wahrgenommen. Dabei – davon bin ich überzeugt, ist die Art des Essens und Kochens unverzichtbar, wenn man versuchen möchte, die Menschen einer vergangenen Epoche zu verstehen.

Und das gleiche gilt selbstverständlich auch für die hohe Küche. Es sind eben nicht einfach nur Moden, was als gestern gutes oder gar als exzellentes Essen galt und heute vielleicht antiquiert wirkt. Es ist unmittelbarer Ausdruck der Zeit.

Darum: mehr davon! Mehr solche Vorstöße, damit wir endlich anfangen, die Küche und das Essen auch als historischen Teil unserer Kultur zu würdigen!

Nutrigenomik

Nikas Culinaria spricht schon von „real molecular gastronomy“, wenn es um das neue Wissenschaftsfeld der Ernährungsgenomik (kurz: nutrigenomics) geht. Allerdings geht es hier nicht um die volatilen Aromamoleküle, sondern um die „Grundbausteine“ des Lebens wie Genom, Proteom und Metabolom, in denen die Informationen über den Aufbau und die Arbeitsweise von Zellen gespeichert werden.

Die Genforschung hat in den letzten Jahren nicht nur mit Craig Venters Bekanntgabe der Entschlüsselung (Sequenzierung) des menschlichen Genoms von sich reden gemacht, sondern mit einer Verschiebung der Aufmerksamkeit von den Genen zu den Proteinen, die dahinter stehen (proteomics). Eine zentrale Erkenntnis des genomischen Blicks auf den Menschen liegt darin, dass der Mensch zum größten Teil gar nicht aus spezifisch menschlichen Geninformationen besteht, sondern sich aus Genen von Viren, Pflanzen etc. zusammensetzt. Mit Rimbaud könnte man das formulieren als „Je est un autre„. Vielleicht aus diesen Geninformationen der 3-Oxoacyl-Synthase der Habanero Chilis:

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Ein Weg, wie genetische Informationen aus Flora und Fauna in den menschlichen Organismus eingebaut werden, ist die Nahrungsaufnahme. In diesem grundlegenden Sinn beschreibt also die alte Redewendung „Der Mensch ist, was er isst“ die jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse ziemlich präzise. Deshalb versucht die Ernährungsgenomik herauszufinden, wie krankmachende, aber auch gesundmachende Erbgutinformationen über die Nahrung in den menschlichen Körper gelangen und schließlich zum Teil seines Erbguts werden.

Ob die Erkenntnisse dieser noch sehr jungen Wissenschaft irgendwelche Auswirkungen auf die Molekulare Gastronomie haben wird, ist nicht abzusehen. Ich halte das eher für unwahrscheinlich. Allerdings wird dadurch womöglich der Blick der Wissenschaft und Massenmedien noch etwas stärker auf die Bedeutung des Essens für Krankheit und Gesundheit gerichtet, so dass Brillat-Savarins aphoristische Formulierung, die Menschheit profitiere mehr von der Erfindung eines neuen Gerichts als von der Entdeckung eines neuen Sterns, eine neue, ganz praktische Bedeutung erhalten wird.