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Deutschlands kulinarische Oberschicht

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Dass Juan Amadors molekulare Küche in Langen zu den besten Restaurants in Deutschland gehört, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben – spätenstens seitdem er von den Michelin-Kritikern mit dem dritten Stern ausgezeichnet worden ist. Nun beginnt sich dieser Erfolg auch im Ausland herumzusprechen. Ganz vorne mit dabei natürlich die New York Times, die der Tradition der nueva nouvelle cuisine sowieso sehr aufgeschlossen gegenübersteht.

Während Amador aufgrund seines Namens und seiner Zeit bei Ferran Adrià eher in den iberischen Kontext eingeordnet wird, betont Carter Dougherty in der New York Times gerade die Verwurzelung in der deutschen kulinarischen Tradition. Wenn auch nicht ganz sicher ist, was man unter der deutschen Küche verstehen soll, ein Gericht gibt es, das wie kaum ein anderes damit verbunden wird: der Stramme Max. Amador dekonstruiert diesen Inbegriff der fettig-herzhaften Teutonenküche wie folgt: ein paar Tropfen Schweinefett und geräuchertes Öl zusammen mit einem Wachtelei in hauchdünnem Teig.

Gestützt durch Amador und Michelin-Herausgeber Jean-Luc Naret konstatiert Dougherty den Deutschen sogar so etwas wie eine Esskultur — und zwar durchaus auch jenseits der Sternewelt:

A restaurant culture has blossomed here in the last decade, with Germans shaking off a reputation for tightfistedness when it comes to eating out.

Der Ethnologe Gunther Hirschfelder (Uni Bonn), Autor der „Europäischen Esskultur“ bemüht sich freilich wieder, diesen leisen Aufbruch der deutschen Kulinaristik wieder zu relativieren. Er beschreibt eine gespaltene deutsche Esskultur: oben die Feinschmecker und unten eine breite Schicht von Menschen, deren kulinarische Erfahrungswelt auf die Erzeugnisse der Convenience-Industrie beschränkt bleiben — mit allen Folgen (juvenile Diabetes, Adipositas und Herzerkrankungen).

Das Argument, dass die haute cuisine ein natürliches Terrain der kulinarischen Oberschicht bleiben muss, halte ich allerdings für wenig tragfähig. Zeigen doch die kulinarischen Traditionen Frankreichs und Italiens, dass sich auch einfache Küchen von sehr guter Qualität herausbilden können. Und Bocuses Kochbücher haben an dieser Veralltäglichung des guten Essens einen kaum zu unterschätzenden Anteil.

(Abbildung „Strammer Max“ von FetchStyle)

Albert und Ferran Adrià: Das wissenschaftliche Lexikon der Gastronomie

elbulli.pngImmer wieder hat Ferran Adrià, wenn er nach seiner „wissenschaftlichen Kochweise“ gefragt wurde, betont, dass an seiner Avantgardeküche (leider) keine nennenswerte wissenschaftliche Beteiligung auszumachen sei. Die Wissenschaftler haben ihn und seine elBulli-Kollegen weitgehend im Stich gelassen, so dass sie sich die erforderlichen chemischen und physikalischen Grundlagen für die Herstellung der weltberühmten Espumas, Gels und Pulver selbst aneignen mussten. Dieses Buch ist gewissermaßen die Reaktion darauf – ein selbstbewusstes Statement, das aussagen soll: Wenn die Wissenschaft nicht auf uns zugehen will, dann gehen wir eben auf die Wissenschaft zu und schreiben das Nachschlagewerk, auf das wir so lange warten, eben in Eigenregie.

Nun hat der Hampp-Verlag dieses 2006 auf katalanisch das erste Mal erschienene „Lèxic cientific gastronómic“ binnen Jahresfrist auch dem deutschsprachigen Publikum zur Verfügung gestellt. Der Zeitpunkt könnte nicht besser gewählt sein, denn mit Erscheinen des Buchs hat der Adrià-Schüler Juan Amador für seine Version der nueva nouvelle cuisine seinen dritten Michelinstern erhalten, in zahlreichen Großstädten sind molekulare Kochkurse der Renner und auch die Massenmedien berichten zunehmend über die avantgardistische wissenschaftliche Küche.

Gleich auf den ersten Blick erfreut „Das wissenschaftliche Lexikon der Gastronomie“, das pikanterweise (Adrià hat sich immer wieder gegen das M-Wort gewehrt) den Untertitel „Das Grundlagenwerk der Molekularen Küche“ erhalten hat, durch seine hochwertige Ausstattung: durchgehend auf Hochglanzpapier gedruckt, mit vielen spektakulären, zum Teil doppelseitigen Fotografien aus der taller-Experimentalküche von Albert und Ferran Adrià, einem Daumenregister, übersichtlichen Tabellen und gut verständlichen Illustrationen chemisch-physikalischer Prozesse.

Jeder Eintrag ist auf dieselbe übersichtliche Weise gegliedert: Zuerst wird das jeweilige Stichwort einem oder mehreren Themenfeldern – die Oberrubriken lauten: Zusatzstoffe, Zusammensetzung von Lebensmitteln, ernährungswissenschaftliche Begriffe, wissenschaftliche Begriffe, sensorische Eigenschaften, physikalische oder chemische Verfahren, Mineralien, Technologie – zugeordnet. Danach wird das Stichwort in einem Satz knapp und allgemein verständlich definiert. Es folgen Informationen zu Herkunft oder Herstellung, Zusatzinformationen, Verwendungshinweise sowie in einigen Fällen auch Tipps zur richtigen Dosierung. Chemische Strukturformeln, CAS-Nummern oder Informationen zu den entsprechenden R- und S-Sätzen sucht man allerdings vergebens – Zielgruppe sind weniger ausgebildete Chemiker als experimentierfreudige Köche.

Auch wenn man schon den Oxford Companion to Food, den Larousse Gastronomique sowie die kochwissenschaftlichen Standardwerke von This, McGee und Vilgis im Regal stehen hat, ist dieses Buch eine lohnende Ergänzung, um sich mit Informationen über moderne Lebensmittelzusatzstoffe, die zum Teil noch gar nicht in der Gastronomie angekommen sind, vertraut zu machen. Bei zahlreichen Stoffen ist über die Verwendung in der Gastronomie zu lesen: „Im Versuchsstadium“, was vermutlich soviel bedeutet wie: momentan ist elBulli der einzige Ort, an dem man mit etwas Glück schon Gerichte damit degustieren kann.

Aber dieses Lexikon ist nicht nur zum Nachschlagen geeignet. Auch kulinarhistorisch ist dieses Buch eine Fundgrube, denn viele Einträge skizzieren in sachlicher, knapper Sprache das Bild einer wahrhaftig ikonoklastischen Kochweise, die keine traditionellen Grenzen mehr akzeptiert, wenn es um das Erreichen bislang unerreichbarer Geschmackserlebnisse geht. So ist zum Beispiel zur Buttersäure folgendes Anwendungsbeispiel zu lesen: „Verwendung, um z.B. Kartoffeln oder Paniertem die sensorischen Eigenschaften von Käse zu übertragen.“

Grundsätzlich ist allerdings die Frage nach der Funktion gebundener Lexika im digitalen Zeitalter zu stellen. Denn viele der Informationen hätte man sich auch aus dem Internet – allen voran der Wikipedia, die einiges über Lebensmittelzusatzstoffe weiß – zusammensuchen können. Jedoch: Was die Haptik betrifft, sind digitale Nachschlagewerke keine echte Konkurrenz für hochwertig produzierte Bücher wie das Adriá-Lexikon. Außerdem: Wer will sein Notebook neben den Herd stellen? Fragen wie diese scheinen auch schon die Brüder Adrià beschäftigt zu haben: In der Einleitung fordern sie ihre Leser explizit zur Mitarbeit auf und verstehen ihr Buch ausdrücklich als „Grundstein“ und „Aufruf“, der am Anfang einer Konversation zwischen Köchen und Wissenschaftlern – sowie möglicherweise auch interessierte Laien – stehen soll.

Albert und Ferran Adrià: Das wissenschaftliche Lexikon der Gastronomie. Das Grundlagenwerk der Molekularen Küche, Stuttgart, Hampp, 2007, 286 Seiten, ISBN 3936682194, 35,00 EUR.

Bildzeitung lobt Molekularküche

Mittlerweile hat der Diskurs über die molekulare Küche in Deutschland eine merkwürdige Wendung genommen. Die Kritik an der Verwendung von Lebensmittelzusatzstoffen wie Agar-Agar oder Xanthan kommt zum Beispiel aus den Reihen der Deutschen Akademie für Kulinaristik, in der nicht nur Eckart Witzigman, der vor 30 Jahren die deutsche Küche aus ihrer Provinzialität befreit hat, Mitglied ist, sondern auch der Physiker Thomas Vilgis (Max-Planck-Institut für Polymerforschung), der die deutschsprachigen Standardwerke zur molekularen Küche geschrieben hat.

Während sich die kuliarische Elite gegen die molekularen Schaumschläger, besonders in Gestalt experimentierender Hobbyköche, wendet, hat die molekulare Küche nun einen überraschenden Fürsprecher gefunden: Unter dem Titel „Wie gesund ist Gourmet-Küche aus dem Labor?“ schreibt die Bild-Zeitung heute über „Suppe zum Schneiden, Lachs als Schaumkügelchen, Cocktails in Bonbonform“. Zitiert wird Andrea Lambeck von der „Centralen Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft“ (CMA), erklärt, dass die Lebensmittelzusatzstoffe ausgereift genug seien, um sie in der Küche einzusetzen. Nach Juan Amador, der im Übrigen gerade als Liebhaber von Brot, Wurst und Käse „entlarvt“ wurde, kommt auch noch der „Dortmunder Restaurantkritiker Hans Böddicker“ zu Wort und wird wie folgt zitiert: „Aromen werden verbessert, verfeinert und intensiver.“

In einer der üblichen Leserumfragen wird gefragt, ob die Leser solche Gerichte essen würden: 28 Prozent lehnen das ab, während 47 Prozent angeben „Klar, warum nicht“. Ist die molekulare Küche in der breiten Masse angekommen?

Spaß mit der molekularen Gastronomie

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Neben den vielen kulturkritischen, elitären oder naturköstlerischen Beiträgen über die Molekularküche, hier endlich einmal wieder eine positive Würdigung. Die Zeitung „Westword“ aus Denver konzentriert sich in dem Artikel „Fun With Molecular Gastronomy“ auf ein ganz wichtiges Element, das neben den Michelin-Erfolgen zur Zeit die wichtigste Grundlage für den molekularen Boom sein dürfte: den Spaß am Experimentieren mit neuartigen Geschmackserlebnissen, zum Beispiel im Fall von

dishes that made my hardened brigade of gastronauts giggle like schoolchildren and lapse into moments of babbling reverie, struggling for words to describe the indescribable.

Aber das muss nicht bedeuten, dass hier bloß um des Effekts willen molekular gekocht wird, denn im Vordergrund steht nach wie vor der Geschmack. Und die Zubereitung von „vacuum-compressed tomatoes with a flavor like an entire summer condensed down into one perfect day“ ist als Geschmacksziel auch für die Haute Cuisine legitim:

It might not look like food, might not have the temperature you’re expecting, or the texture, the color or even the flavor. But every plate that he makes is inarguably food.

Vielleicht fehlt den Gegnern der molekularen Küche auch einfach nur die grundlegende Fähigkeit zur gastronomischen Hermeneutig, gutes Essen auch dann zu erkennen, wenn es nicht so aussieht wie gewohnt?

Aber die schönste Beobachtung von Jason Sheehan ist ein molekulargastronomischer Trickle-down-Effekt: Zwar erreichen Adrià, Blumenthal und Amador in ihrem Umgang mit Gels, Schäumen und Stickstoff eine ganz andere Dimensionen der Perfektion und Kochkunst, aber auch haubenlose Köche fühlen sich durch diese neuen Kochmethoden zu kulinarischen Experimenten inspiriert, so dass daraus eine technische Aufrüstung der Küchen folgt:

And in the next couple of years, I think it’s going to be a rare kitchen that doesn’t have a vacuum sealer and a thermal circulator — two of the more pedestrian gadgets used regularly by molecular gastronomists and proponents of cutting-edge prep.

Besonders spannend daran: Obwohl viele Köche sagen, mit der molekularen Küche und ihren Chemikalien nicht viel am Hut zu haben, ist eine rasche Veralltäglichung dieser Geräte im Gang. Mittlerweile, so Sheehan, ist die Methode des Vakuumgarens (sous-vide) zur Normalität geworden – noch vor fünf Jahren war das „way too far out for most guys“.

Ich würde hinzufügen, dass von diesem Wandel nicht nur um Profiköche betroffen sind, sondern dass sich auch Amateurköche und Hobbyexperimentatoren zunehmend für diese Möglichkeiten interessieren, wozu die Möglichkeiten, über das Internet Rezepte, Bezugsquellen und Tipps auszutauschen, sicher maßgeblich beigetragen hat. So schreibt zum Beispiel jemand im Feinschmeckerforum: „Durch die Molekulare Gastronomie hab ich endlich die blöden Gänse im Griff.“

(Abbildung: „Billowing Potion“ von gskx)

Die deutsche Kulinaristik warnt vor riskanter Schaumküche

schaum.jpgErst versucht man es mit intellektuellen und moralischen Argumenten, wenn das nicht greift, geht es ans Eingemachte: Wolfgang Bornheim, der Vorsitzende der Deutsche Akademie für Kulinaristik warnt vor den Gesundheitsgefahren der entfesselten molekularen Gastronomie. Er fordert, dass die dort häufig verwendeten Zusatzstoffe wie Carrageenan, Xanthan und Co. deklariert werden müssen.

Ein Dorn im Auge ist der Akademie insbesondere der Langener Juan Amador. Gefürchtet wird nämlich, dass die Verleihung des dritten Michelinsterns an den Chef, der immer wieder der hydrokolloidophilen Avantgardeküche zugerechnet wird, zu einem Massenansturm auf diese Reagenzien führen wird: „Jetzt wird diese Mode sprunghaft um sich greifen, nicht nur bei den Spitzenköchen, sondern auch bei Dilettanten und Hobbyköchen“. Ein bisschen erinnert die Panikmache, in der „Dilettanten und Hobbyköche“ auf einmal zu Risikoköchen („riskante Schaumküche“) werden an die Aufregung 1963 um Ingrids Bergmanns nackten Busen:

Bornheim erwartet nun eine ungezügelte Verbreitung der Experimente der Molekularköche, die mit Algenpulver vermischte Säfte und Öle zu Gelees formen, stabilisierte Schäume aufschlagen und mit 160 Grad kalten Eisdämpfen hantieren.

Und wenn wirklich das Abendland durch diese neue Küche untergehen sollte, so wird das wenigstens eine Schaumparty. Also, schon einmal die Badehose anziehen, Herr Bornheim!

(Abbildung von Freundeskreis-Selfkant)

Amador bekommt dritten Stern

michelin.pngNachdem der Gault Millau die experimentelle Kochweise von Juan Amador, den führenden Molekulargastronomen in Deutschland, als „Kindergeburtstag“ bezeichnet hat und ihm in Folge mit Liebesentzug bestraft hat (statt 18 nur noch 17 Punkte), zeigten sich die Michelin-Kritiker (in der gerade erschienenen 45. Ausgabe des Guide) aufgeschlossener:

„Amador setzt neue Küchentechniken intelligent um. Seine Küche ist experimentell, aber sie ist auch einfach gut“, sagt „Michelin“-Chefredakteurin Juliane Caspar. „Michelin“-Direktor Jean-Luc Naret lobt, dass Amador neue Techniken nicht einfach imitiert wie viele andere, sondern einen eigenen eleganten Stil entwickelt habe. „Deutschlands Küche hat eine neue Stufe erklommen.“

Diese „neue Stufe“ honorierten sie dann auch damit, ihn von zwei auf drei Sterne hochzustufen. (via Nikos Weinwelten)

Zu diesem Thema:

  • Jürgen Dollase lobt Amador in der FAZ dafür, „dass er zum Beispiel die Kombination von Foie gras mit geräuchertem Fisch des spanischen Spitzenkochs Martí­n Berasategui einfach besser strukturiert hat als dieser selbst.“
  • Der Westen wundert sich darüber, dass ausgerechnet der Frankreich-lastige Michelin einen Vertreter der spanischen Avantgarde derart aufwertet.

Molekulare Cocktails von Heiko Antoniewicz

Gerade bin ich bei Best Practice Business auf dieses Video des Dortmunder Sternekochs Heiko Antoniewicz gestoßen, der diesen Sommer für die Besucher der Messe „Prowein“ seine molekularen Cocktails zubereitet hat:

Zum Beispiel einen „Kir Moleculare„:

Dabei hat er zuerst Johannisbeersaft, Lemonsirup und Créme de Cassis verrührt und anschließend ein farb- und geschmacksneutrale Alginat, das als Verdickungsmittel dient, darauf verstreut. Anschliessend hat er die Saft-Alginatlösung mit einer Spritze aufgenommen, um sie anschließend in eine Calcium-Laktat-Lösung zu tröpfeln. Nach der Neutralisierung in kaltem Wasser wurden die Kügelchen in ein Glas mit Champagner gefüllt. Fertig war der „explosive“ Cocktail.

Und da wir gerade bei den Videos sind: Der Sternefresser bringt in diesem Beitrag ein zweiteiliges Interview mit Juan Amador, einem der herausragendsten Vertreter der molekularen Gastronomie in Deutschland (gefunden beim Kompottsurfer).