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Hervé This in Mainz

Wer sich Anfang nächster Woche in der Umgebung von Mainz aufhält, sollte unbedingt am Dienstag, 25. November einen Abstecher ins Max-Planck-Institut für Polymerforschung machen. Dort wird der Pate der Molekularküche Hervé This („Rätsel und Geheimnisse der Kochkunst“) einen Vortrag über die „neuesten Methoden und Forschungsergebnisse der Molekulargastronomie“ halten. Wer This schon einmal live erlebt hat, weiß, dass hier nicht nur Forschungsergebnisse referiert werden, sondern dass das vermutlich ein sehr unterhaltsamer Nachmittag wird:

Der Eintritt ist frei. Vortragssprache ist Englisch.
Max-Planck-Institut für Polymerforschung
Hermann-Staudinger-Hörsaal
Ackermannweg 10
55128 Mainz
Beginn: 14:30 Uhr

Deutschlands kulinarische Oberschicht

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Dass Juan Amadors molekulare Küche in Langen zu den besten Restaurants in Deutschland gehört, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben – spätenstens seitdem er von den Michelin-Kritikern mit dem dritten Stern ausgezeichnet worden ist. Nun beginnt sich dieser Erfolg auch im Ausland herumzusprechen. Ganz vorne mit dabei natürlich die New York Times, die der Tradition der nueva nouvelle cuisine sowieso sehr aufgeschlossen gegenübersteht.

Während Amador aufgrund seines Namens und seiner Zeit bei Ferran Adrià eher in den iberischen Kontext eingeordnet wird, betont Carter Dougherty in der New York Times gerade die Verwurzelung in der deutschen kulinarischen Tradition. Wenn auch nicht ganz sicher ist, was man unter der deutschen Küche verstehen soll, ein Gericht gibt es, das wie kaum ein anderes damit verbunden wird: der Stramme Max. Amador dekonstruiert diesen Inbegriff der fettig-herzhaften Teutonenküche wie folgt: ein paar Tropfen Schweinefett und geräuchertes Öl zusammen mit einem Wachtelei in hauchdünnem Teig.

Gestützt durch Amador und Michelin-Herausgeber Jean-Luc Naret konstatiert Dougherty den Deutschen sogar so etwas wie eine Esskultur — und zwar durchaus auch jenseits der Sternewelt:

A restaurant culture has blossomed here in the last decade, with Germans shaking off a reputation for tightfistedness when it comes to eating out.

Der Ethnologe Gunther Hirschfelder (Uni Bonn), Autor der „Europäischen Esskultur“ bemüht sich freilich wieder, diesen leisen Aufbruch der deutschen Kulinaristik wieder zu relativieren. Er beschreibt eine gespaltene deutsche Esskultur: oben die Feinschmecker und unten eine breite Schicht von Menschen, deren kulinarische Erfahrungswelt auf die Erzeugnisse der Convenience-Industrie beschränkt bleiben — mit allen Folgen (juvenile Diabetes, Adipositas und Herzerkrankungen).

Das Argument, dass die haute cuisine ein natürliches Terrain der kulinarischen Oberschicht bleiben muss, halte ich allerdings für wenig tragfähig. Zeigen doch die kulinarischen Traditionen Frankreichs und Italiens, dass sich auch einfache Küchen von sehr guter Qualität herausbilden können. Und Bocuses Kochbücher haben an dieser Veralltäglichung des guten Essens einen kaum zu unterschätzenden Anteil.

(Abbildung „Strammer Max“ von FetchStyle)

German Minderwertigkeitskomplex oder die gute deutsche Pute

golose1.pngHeute in der SZ las ich einen flotten Artikel der von uns sehr geschätzten Maren Preiss über die gerade zu Ende gegangene Mailänder Kochmesse „Identità golose“ (Italienischer Kongress der „Autorenküche“ – mal sehen, ob sich dieser Trendbegriff durchsetzt). Mit dabei waren zahlreiche Köche aus den wichtigsten kulinarischen Nationen der Welt: Italien, Frankreich, Spanien, Großbritannien, Finnland, Slowenien, Brasilien und Japan. Und Deutschland? Das Land von Eisbein und Sauerkraut war leider trotz des jüngsten Sterneregens nicht vertreten. Der Grund?

„Wir bringen die Deutschen nicht mit Genuss in Verbindung“, sagt Paolo Marchi, der den Kongress „Identità golose“ vor vier Jahren ins Leben gerufen hat. „Außerdem ist die deutsche Küche noch immer stark von der französischen beeinflusst. Es reicht heute nicht aus, nur eine gute Küche zu haben. Kreativität und Innovation sind mindestens genauso wichtig.“

Und wer konnte durch ebendiese Kreativität und Innovationskraft einmal mehr glänzen? Der britische Koch Heston Blumenthal (der mit den umstrittenen Spaghetti bolognese). Besonders bemerkenswert findet Preiss, und darin können wir ihr voll und ganz zustimmen, die Fähigkeit des Briten, nationale kulinarische Traditionen wie Fish and Chips oder Porridge mit molekulargastronomischem Hightech auf ein sternewürdiges Spitzenniveau zu bringen.

Die deutsche Küche hat dagegen mit einem Doppelproblem zu kämpfen, das wir ebenfalls schon angesprochen haben: Technologie- und Wissenschaftsfeindlichkeit (die Beispiele reichen von der Warnung der Kulinaristen bis zu Diskussionen in Weblogs) auf der einen Seite und eine ebenso schädliche Traditionsfeindlichkeit. Man kocht lieber mediterran statt sich auf die durchaus vorzufindenden regionalen (und weniger nationalen) gastronomischen Traditionen zu besinnen. Es fehlt also bis auf wenige Ausnahmen eine kulinarische Synthese aus der universalistischen Wissenschaftssprache (von Algin bis Xanthan) und den partikularen Traditionssträngen. Mit anderen Worten: es fehlt ein kulinarischer Kosmopolitismus, denn dieses Wort bedeutet gerade die Synthese aus Universalismus und Partikularismus.

Besonders schön auch Preiss‘ Seitenhieb auf die CMA:

Statt die deutsche Spitzengastronomie als probates Werbefeld zu entdecken, verbreitet die Slogans wie „Und ewig lockt das Fleisch“ oder „Deutsche Pute. Die Gute“. Deutsche Raffinesse lässt sich so nicht vermitteln.

Obwohl: eigentlich sind die beiden Slogans gar nicht so schlecht. Würden sie sich nicht hervorragend dazu eignen, dekonstruktivistische Gerichte à la Ferran Adrià zu bezeichnen?

Hmm, lecker, lecker diese Kost!

387021374_a8ecf1ae5a_m.jpgUnter der krampfhaft witzigen Überschrift „Wir sind nicht ganz normal im Topf“ schimpft Ullrich Fichtner im Spiegel über die unterentwickelte deutsche Küche, spricht dabei jedoch „ausdrücklich nicht von der Hochküche, das ist ein anderes Spiel“. Genau das ist jedoch der springende Punkt, der dazu führt, dass sein natürlich äußerst einseitiger Vergleich zwischen Frankreich und Deutschland ins Leere läuft (ganz abgesehen davon, dass drei der vier Gerichte, die er dann als „typisch deutsch“ präsentiert Importe sind: das Schnitzel aus Österreich, das Gulasch aus Ungarn und der Sauerbraten von den alten Römern). Denn wenn es um die Hochküche geht, ist Deutschland – Eckart Witzigmann sei Dank – seit ein paar Jahrzehnten auch in der Königsklasse der Kulinaristik angekommen.

Dass die einfache deutsche Wirtshausküche zwischen Lübeck, Weimar und Lindau zum Teil gruslige Ergebnisse auf die Teller bringt – geschenkt. Aber der entscheidende Unterschied ist, dass die französische Hochküche des 19. Jahrhunderts – ich spreche von den Praktikern Marie-Antoine Carême und Auguste Escoffier sowie ihren Cheftheoretiker Jean Anthelme Brillat-Savarin – nach und nach zur Nationalküche geworden ist. In Deutschland gab es keine entsprechende Transformation – vielleicht bringt uns aber die Molekularküche von der Mehllastigkeit weg (dazu ausführlicher später). Dazu kommt, dass es nie eine vereinheitlichte deutsche Nationalküche gegeben hat, sondern nur eine Vielzahl zum Teil äußerst vielfältiger und raffinierter Regionalküchen. Wenn man näher hinsieht, entdeckt man diese auch in Frankreich, zum Beispiel in der Normandie, in Burgund, im Elsass oder im Périgord.

Fichtner hätte vielleicht etwas mehr Erfolg gehabt, wenn er nach guten einfachen bayerischen, schwäbischen, saarländischen oder badischen Restaurants gesucht hätte. Und vielleicht schafft es auch in Deutschland die Hochküche im Verlauf der nächsten 100 Jahre in die einfachen Restaurants durchzudringen.

(Foto „today’s dinner“ von tschneider)

Neu, neu, neu und immer neurer – Amerika entdeckt den Sodasiphon

img_7067.jpgUnter der Überschrift „Exotic soda siphon makes comeback in home bars“ berichtet Joanne Sasvari für die kanadische Tageszeitung Vancouver Sun über die derzeitige Siphon-Welle in Amerika. Unsere Annahme, dass dieses Gerät (auch bekannt als Sahnesprüher oder Sodaspender) bislang außerhalb Deutschland und Österreich kaum bekannt ist, wird darin voll bestätigt, denn Sasvari nennt den Apparat so „exotic even the people who sell it don’t necessarily know what it is.“

Aber dank der molekularen Küche interessieren sich auch in Amerika immer mehr experimentierfreudige Köche und Barkeeper für dieses merkwürdige Gerät, das eigentlich ganz gut in die ebenfalls anwachsende Steampunk-Welle passt (oder für Neal Stephenson-Fans: Neoviktorianismus). In diesem Kontext erscheint der Siphon wie gerufen, da er zum einen die ultramoderne dekonstruktionistische Avantgardeküche eines Ferran Adrià repräsentiert („Now with the fad for molecular gastronomy, it’s making a comeback of sorts as chefs use it to foam everything from soup to nuts“), zum anderen aber auch auf eine mittlerweile 80-jährige Tradition zurückblicken kann – erfunden 1829 von dem ungarischen Benediktiner Anyos Jedlik und nicht weg zu denken aus dem (östlichen) Europa der 1920er und 1930er Jahre.

Bezeichnend ist auch, dass eine Amazon-Suche nach dem Sahne-Siphon verwandten Produkten folgendes Ergebnis liefert:

Kunden, die sich diesen Artikel angesehen haben…
Isi Thermo Whip, 0,5 l
interessierten sich auch für diese Artikel:
Die Revolutionen des Ferran Adria. Wie ein Katalane das Kochen zur Kunst machte Gebundene Ausgabe von Manfred Weber-Lamberdière

Das TEUBNER Buch – Deutsche Küche (Teubner Edition) Gebundene Ausgabe von Nikolai Buroh

Die Molekül-Küche. Physik und Chemie des feinen Geschmacks Broschiert von Thomas Vilgis

Tapas – Das Kochbuch Gebundene Ausgabe von Juan Amador

Dieter Müller – Einfach und genial. Rezepte aus der Kochschule des Meisters Gebundene Ausgabe von Dieter Müller

Die Molekularküche Gebundene Ausgabe von Thomas Vilgis

"Jetzt ist eben die Küche dran" – FAZ lobt TV-Köche

Jakob Strobel y Serra bricht in der FAZ eine Lanze für das Kochfernsehen. Ausgangspunkt ist die immer wieder geäußerte Klage der TV-Kritiker, es gäbe zu viele (zwangsläufig schlechte) Kochsendungen im deutschen Fernsehen:

Sie unterwirft Kochsendungen einem viel strengeren Urteil als den großen Rest des Fernsehprogramms und verlangt von ihnen einen didaktischen Impetus, eine Moralität, als sei das Fernsehen eine Schillersche Erziehungsanstalt mit kulinarischem Klassenzimmer.

Doch diese Kritik läuft nach Strobel y Serra ins Leere, da man an der kulinarischen Kultur der Deutschen gar nicht viel kaputtmachen kann. Im Gegenteil: „Schön wär’s, gäbe es viel zu ruinieren.“ Insofern können auch die Kochsendunge im Unterhaltungsprogramm einen Beitrag dazu leisten, dass in deutschen Küchen ein bisschen mehr ausprobiert wird.

Wobei er damit streng genommen nichts weiter tut, als die Medienkritik durch eine Kulturkritik zu ersetzen. Ein Blick auf die höchst lebendige und experimentierfreudige Genussblogszene hätte Strobel y Serra allerdings gezeigt, wo das kulinarische Deutschland zu finden ist, das sich der fastfoodianischen und TV-kulinarischen Unmündigkeit entledigt hat, und dabei gelernt hat, sich seines eigenen VerstandesGeschmackes zu bedienen. Auf die Masse zu schimpfen ist da doch etwas billig.

Michelin-Sterne in Spanien: El Bulli, Arzak, Mugaritz weiterhin spitze

22814644z.jpgAuch in Spanien wurden jetzt die Michelin-Sterne neu verteilt. Wie erwartet auch dieses Mal wieder ganz vorne mit dabei: die molekulare Gastronomie.

  • El Bulli (Ferran Adrià): drei Sterne
  • Arzak (Juan Mari Arzak): drei Sterne
  • Mugaritz (Andoni Luis Aduriz): zwei Sterne

Insgesamt macht sich jedoch Enttäuschung darüber breit, dass 2008 z.B. Deutschland mit drei neuen Dreisternerestaurants aufwarten kann (siehe hier), während in Spanien nur ein neues Restaurant zwei Sterne erhalten hat und 14 ihren ersten Stern (ganz zu schweigen von den neun Abwertungen). Die Toprestaurants im Überblick:

  • Drei Sterne: El Bulli, Can Fabes, Sant Pau, Arzak, Martí­n Berasetegui, Akelarre
  • Zwei Sterne: Tristán, Atrio, El Poblet, Mugaritz, El Celler de Can Roca, La Broche, Santceloni, Zuberoa, La Alquería, Abac (Neuzugang aus Barcelona)
  • Ein Stern (insgesamt 108 Restaurants, hier nur die neuen): Comerc 24 (Barcelona), El Casals (Sagás, Barcelona), Massana (Gerona), Kokotxa, Kursaal (beide San Sebastian), Azurmendi (Larrabetzu, Bilbao), Yayo Daporta (Cambados), Retiro da Costina (Santa Comba, La Coruna), Villena (Segovia), Ramiro’s (Valladolid), El Club Allard (Madrid), Arrop (Gandá­a), El Molino de Urdániz (Urdaiz), Calima (Marbella)

(via El Kebrantaversos + Salsa de Chiles)