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Die Süddeutsche Zeitung – eine plumpe Kreation

Caesar SaladKaum zu glauben, dass es noch ein Thema gibt, zu dem die Süddeutsche Zeitung in der Lage ist, ähnlichen Unsinn zu schreiben, wie zum Thema Weblogs. Aber in der letzten Wochenendbeilage zeigte der SZ-Architekturkritiker Gottfried Knapp eindrucksvoll, wie wenig Recherche und Halbwissen notwendig sind, um eine volle Seite der „Qualitätszeitung“ füllen zu dürfen.

Unter dem Titel „Abgespeist“ versucht er, dem Leser gewisse Ähnlichkeiten zwischen der Molekularküche und Fastfood nahezubringen. Er nennt es „untersuchen“, ich würde es eher eine reaktionäre, sachwissensfreie Polemik nennen. Sachwissensfrei? Wie sonst könnte man sich erklären, dass die Farce zusammen mit Schaum, Spiegel und Rauch als eine der vier Widerwärtigkeiten der Molekularküche dargestellt wird. Die Farce! Da spielt es keine Rollle, dass das Kleinhacken von Fleisch als Füllung eine kulinarische Kulturtechnik ist, die mindestens seit dem 17. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreicht hat.

Gegen Ende wird dann der Caesar Salad mit Gaius Julius in Verbindung gebracht, der wahrscheinlich über ein Gericht mit Worcestershire Sauce mehr als überrascht gewesen wäre, und nicht mit dem Tijuaner Koch Caesar Cardini. Und das Hamburgerbrötchen ist mitnichten eine Erfindung von McDonald’s damit „die Käufer den plattgedrückten heißen Fleischklops anfassen und ohne Gabel zum Munde führen können“, sondern wurde bereits 1904 auf der St. Louis World Fair den fleischhungrigen Besuchern präsentiert. Den Hamburger als „plumpe Kreation“ bezeichnen – das kann eigentlich nur jemand, der noch nie das großartige Mundgefühl eines locker zusammengedrückten, medium rare gebratenen Hackcuvées aus 25% Schulter, 50% Rippe und 25% Rinderbrust erfahren durfte.

Zur Hauptthese der Ähnlichkeit von Fastfood und Molekularküche und dem Statement von Ferran Adrià, das den Autor so unglaublich provozieren scheint – „In einem Interview über die Fastfoodkette McDonald’s hat er sich den Satz entlocken lassen, auch er, der Drei-Sterne-Koch, könne zum Mc-Preis keinen besseren Hamburger herstellen als die 31000 Filialen des Konzerns“ -, ist eigentlich nur zu sagen: Wenn der Autor ein wenig recherchiert hätte (vielleicht auch in diesem Blog), hätte er festgestellt, dass Ferran Adrià das nicht nur als Dreisternekoch sagt, sondern auch als Gründer einer Fastfoodkette (Fast Good), die unter anderem auch Hamburger im Angebot hat. Daraus wäre dann vielleicht eine interessante Geschichte geworden über die ganze Bandbreite des molekularkulinarischen Bearbeitens von Nahrungsmitteln.

Gourmets als Weltretter? Slow Food als System kulinarischer Distinktion

Slow Food LogoErnährungsethik kann an zwei unterschiedlichen Punkten ansetzen und sich entweder auf den Planeten beziehen oder auf die Menschen. Das Slow-Food-System lässt sich recht plausibel in den ersten Strang einordnen, nimmt man die Basiskriterien für die Aufnahme von Lebensmitteln in die Schutzliste (Arche) ernst:

  • Lokalität: Das Produkt darf nicht globalisierbar sein
  • Handwerklichkeit: Das Produkt sollte handwerklich hergestellt werden, so dass klassische economies of scale hier nicht greifen
  • Qualität: Das Produkt muss von hoher Qualität sein
  • Nachhaltigkeit: Das Produkt muss nachhaltig hergestellt werden
  • Biodiversität: Das Produkt muss vom Aussterben bedroht sein

Diese Punkte ergeben im Zusammenspiel eine Ernährungsethik, die vor allem für die globalisierte Elite von Bedeutung ist. Bruce Sterling formuliert das wie folgt:

In a globalized „flat world,“ the remaining peaks soar in value and become natural clusters for a planetary elite.

Dass sich diese Gipfel nicht jeder leisten kann, dürfte nicht schwer zu belegen sein. Das Slow-Food-Prinzip, so sympathisch und wichtig es auch ist, schafft eine neue Möglichkeit zur sozialen Distinktion. Auch wenn es sich zunächst gegen eine Ökonomisierung wehrt, die nur ökonomische Kriterien zu Grunde legt – in einer ganz anderen Ökonomie wird dadurch eine neue Ressource geschaffen, mit der man sich nach unten abgrenzen kann: Es geht hier um kulturelles Kapital, wie der französische Soziologe Pierre Bourdieu feststellen würde.

Die Konstruktionsprinzipien des kulinarisch Schützenswerten sind gar nicht so schwer zu durchschauen: das erste Kriterium der Lokalität führt dazu, dass jeweils eine regionale Qualifizierung dabei ist: nicht Amaranth als solches ist schützenswert, sondern Tehuacan-Amaranth. Der letzte Punkt der Biodiversität garantiert darüber hinaus, dass es sich um hochspezifische Produkte handelt. Nicht nur um den istrischen Ochsen, sondern den istrischen Riesenochsen.

Durch diese Einschränkungen wird ein mengenmäßig kleines Gut definiert, dass von der kulinarischen Elite als Alternative zu vermassten Pseudo-Luxusgütern wie Aceto Tradizionale di Balsamico wahrgenommen werden kann. Echter Luxus hat sich schon der natürlichen oder auch künstlichen Verknappung bedient:

A local product with irreducible rarity can be sold to a small elite around the world. But it can’t be sold to mass consumers because it doesn’t scale up in volume, so it can never lose its cachet.

Molecular Gastronomy is just so 2006! (Das Ende der molekularen Küche I)

… just so ante-sub-prime-crisis! Und da ist was dran. Die Modewelle ist, so scheint es, bereits zur Gischt zusammengeschlagen. Irgendwie kommt keine Business-Veranstalltung mehr ohne den Show- und Aha-Effekt der Schäume und flüssigen Gase aus, kein lokaler Kochklub, der nicht Gel-Kügelchen in Kalziumchlorid tropft.

Viel entspannter, aber in der Laxheit ungleich tödlicher, beschreibt Rina Rapuano ihren Eindruck des Tast of the Nation Events im Gastro-Blog des Washingtonian und nennt die Molekulare Küche als den beliebtesten Showstopper des Abends:

Molecular gastronomy might be so 2006, but it’s still fun to watch. And if it tastes delicious, all the better. Butterfield 9 chef Michael Harr dipped a mixture of black peppercorn, lavender honey, and bleu cheese into a smoking cauldron of liquid nitrogen and poured it over a dollop of beet purée. Next to him, pastry chef Manabu Inoue popped disks of white-chocolate espuma into the liquid nitrogen, then plated it with a black-cherry sauce and sprinkled it with dark-chocolate flecks.

Nein – das molekulare Kochen im Sinne einer schwachen Nachahmung von Adrià, Amador oder Aznar ist wirklich eine fade Sache.
Die interessanten Impulse werden hier vom Gros der Köche so wenig aufgegriffen wie in den Achzigern die wertvollen Anregungen der Nouvell Cuisine.

Uns geht es aber nicht um Schäume – um das einfach mal explizit zu sagen – sondern um:
– Entrümpelung; Ockhams Rasiermesser endlich auch in der Küche!
– Klarheit; Grundlagen des Geschmacks beim Namen nennen
– Bedeutung; Kochen und Essen als Kommunikation

und natürlich Rezepte, die wir unter diesen Aspekten kochen.

Ich plädiere jetzt für das Ende des Begriffs Molekularküche.

Mode und Manierismus

„Just to much“. Tom Sietsema, der Gastro-Kolumnist der Washington Post hat genug von Degustations-Menüs. Als Vorsitzender des James Beard Restaurant Award Commitee ist sein Wort für die Küche Amerikas nicht ohne Bedeutung.

Im Vergleich zum „früher war alles besser“ und „Molekular ist Verrat an der Nouvelle-Cuisine“-Lamento, das viele seiner Kollegen anstimmen, ist die Kritik Tom Sietsemas aber viel differenzierter. Er hat gar nichts gegen Molekulare Küche, er hat offenbar generell nichts gegen Avantgarde-Rezepte. Seine Kritik richtet sich auf das Zelebrieren des Menus als Ritual:

„[Tasting Menues] tend to be too much food and require too much of a time commitment. (They usually seem to take a good three hours per sitting; I’m a diner, not a treaty negotiator.) […] tasting menus rob customers of their sense of control.“

Und das präzisiert er, indem er Mimi Sheraton von der New York Times zitiert:

„I have never had a menu degustation when I have not wished a few dishes had been dropped in favor of others.“

Dieses Zitat ist von 1981 – es ist also kein Phänomen unserer Tage sondern quält Restaurant-Kritiker schon mehr als ein viertel Jahrhundert.
Dieses Zuviel hat seinen Ursprung laut Sietsemas genau in dem Küchen-Stil, der sich das Weiniger-Ist-Mehr als Parole ans Revers heftete:

„The concept […] stretches back to the dawn of nouvelle cuisine there in the 1970s, when chefs began offering customers a sampling of their vast repertoires via numerous petite versions of the appetizers and main courses.“

In Wahrheit greift Sietsema zu kurz – er beschränkt sich auf die Zeitspanne, die er selbst erlebt hat. Der Ursprung des Menüs mit 20 oder mehr Gängen findet sich am französischen Hof im 17. Jahrhundert.

Um die Macht zurück an den zentralen Königshof zu bringen, verlangte Ludwig der XIV., dass alle Höflinge die Hälfte des Jahres mit ihm in Versailles zu verbringen hätten. In Abstufungen wurden die Adeligen dort zu unterschiedlichen persönlichen Handlungen des Königs zugelassen. Der engste Kreis durfte, das ist weithin bekannt, am Leveé teilnehmen, d. h. den König morgens aus dem Bett begleiten. Der große Teil der Hofgesellschaft sah den König aber nur einmal täglich: beim Diner, bei welchem Ludwig am Kopf des Speisesaals sitzend, sich nacheinander duzende verschiedener Gänge servieren lies – für die anwesenden Zuschauer, die der Prozedur im stehen beiwohnten, gleichzeitig Ehre und Demütigung und auf jeden Fall eine enorme Anstrengung. Ludwig der XV. musste sich bereits nicht mehr so stark vor den potenziellen Konkurrenten behaupten, die Macht war fest bei der Krone verankert. Er verlagerte das Essen in einen privateren Speiseraum, ein Bankett im Familienkreis. Aber es blieb bei den vielen Gängen der Speisefolge.

Diese Fremdbestimmtheit des Gastes durch ein festgefügtes Ritual, das Sietsema den Spass an der Molekularen Küche raubt, hat ja auch etwas höfisches. Ist bei „gewöhnlichen“ Restaurantbesuchen unter Geschäftspartnern oder Freunden das Essen oft stark im Hintergrund – „paralinguistisches Beiwerk“, wie der Small-Talk übers Wetter, damit das Gespräch in Gang bleibt, schlägt das Pendel im Fall des Degustations-Menüs genau in die andere Richtung aus. Das Essen ist das einzige Thema – ein Gespräch lassen die Kellner kaum zu, da sie ja alle paar Minuten einen neuen Gang wortreich erklären müssen.

Außerdem verschleiern die kleinteiligen Menüs mit ihrer endlosen Folge an Amuse-Gueules. Es ist deutlich schwieriger, ein stimmiges Menü aus vier oder fünf Gängen zu kochen – da gibt es nämlich keine Kompromisse. Und ein kleiner Schaum auf einem Löffel ist ganz nett – ein ganzer Teller davon ist schlicht ungenießbar; und dass molekulare Küche skalierbar ist, d. h. auch ganze Hauptgänge bestreiten kann, wird einfach nicht glaubwürdig, wenn es dabei bleibt, „ein Schäumchen hier, etwas Frucht-Kaviar da“ in kleinsten Mengen zu servieren.

Der gewaltige Erfolg von Paul Bocuse war es, die Prinzipien der Nouvelle Cuisine zu verallgemeinern und zur Grundlage einer „Hausmanns-Küche“ zu machen, die für jedermann nachzukochen ist, der sich darauf einlässt. Dieser Erfolg ist nachhaltig, ganz anders als die Sensationen der Star-Küche, die die Nouvelle Cuisine in den 80er Jahren so sehr in Verruf gebracht hatten.

Und auch der Erfolg der Molekularküche, wird sich daran messen, inwieweit die Prinzipien verallgemeinert werden können. Mit Büchern wie „On Food and Cooking“ von McGee, den Küchengeheimnissen von Hervé This oder der Serie von Thomas Vilgis ist die Cuisine Investigative aber gut gerüstet und bodenständig genug, den ‚Hype‚ zu überstehen.

Durchs Meer des Irrtums surfen – Fichtner über die Foodblogosphäre

… die Jugend … mit allen ihren Fehlern
von denen sie sich zeitig genug verbessert,
wenn nur die Alten keine solche Esel wären (Goethe, na klar)

fichtner.jpgMit seiner gnadenlosen Analyse der deutschen Esskultur in „Tellergericht“ hat er den Blick der Lesenden hierzulande endlich einmal auf das gelenkt, was von Tag zu Tag auf den Tellern und schließlich in den Mägen landet. Warum muss Henri-Nannen-Preisträger und Wahlpariser Ullrich Fichtner nun in einer derart galligen Mischung aus Arroganz und Nichtwissen über die deutsche Foodblogszene schreiben? Natürlich ist nicht alles durchrecherchiert und Rechtschreibung wie Stilistik werden in vielen Blogs gerne öfters mal vernachlässigt. Aber mit einem pinselhaften Artikel, wie ihn Fichtner auf Spiegel Online in a fine frenzy rolling gerade abgeliefert hat, tut er dem Lager der Journalisten in der ewigen Qualitätsdebatte einen Bärendienst. Also nicht einmal viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit (aber wenn ich mich recht erinnere, war auch das letzte Spiegel-Tellergericht eher fade Mikrowellenkost).

Der Teaser klingt zunächst so vielversprechend: „Wer gerne kocht, kommt im Internet auf den Geschmack? Nicht unbedingt. Die zahllosen Kulinarik-Blogs versalzen einem nämlich schnell das Vergnügen.“ Ich habe mir eine luzide, wenn auch kritische Darstellung der Schwächen von Foodblogs gewünscht. Denkste. Es folgte in gebetsmühlenhafter Wiederholung das alte Argument von der fehlenden gesamtgesellschaftlichen Relevanz der Foodblogs. Da sind wir wohl gerade Zeugen des letzten Aufbäumens einer aussterbenden Spezies (wie Thomas treffend bemerkt). Ein paar Beispiele dafür, was Fichtner zum „Zähneknirschen“ bringt:

  • Niemand will etwas über die verschiedenen Teeaufgussmethoden oder die Vor- und Nachteile von First oder Second Flush hören.
  • Eine Französin nennt ihr Blog „Wie Gott in Deutschland„. Überhaupt: Blogs haben Namen!
  • Niemand will wissen, was Blogger mit ihren Nudeln machen, wie lange sie ihren Tee ziehen lassen.
  • Blogger halten sich „für gebildeter als Siebeck, für witziger als Axel Hacke, für beseelter als Hape Kerkeling und für schlauer als Einstein“ dabei sind sie ungebildet, nicht witzig, katatonisch und dumm.
  • Manche Blogs sind kühl designt. Das geht gar nicht, da man so den Zwiebelgeruch nicht sehen kann. Andere Seiten sind „sehr hell, sehr licht“ oder aus Erlangen – das ist gleich viel besser.
  • Es gibt Anleitungen für Hackbällchen Toskana. Unmöglich. Wer wars?

Am Ende wird es dann doch noch ganz interessant, denn die Verkörperung des kulinarischen Wahnsinns müssten dann doch eigentlich Leute wie Harold McGee oder Thomas Vilgis zu sein, die sich mit grundlegenden Fragen der Küchenwissenschaft befassen:

Es wird nicht mehr lange dauern, bis im Netz „Tipps & Tricks“ dafür zu finden sind, wie man Milch in einem Topf erwärmt. Oder wie man Butter auf eine Scheibe Brot streicht. Oder eine Tasse Kaffee eingießt.

Ach, eigentlich sind wir nur enttäuscht, dass die Molekularküche in diesem Zusammenhang nicht erwähnt wurde. Schließlich ging es hier sogar schon darum, welches Wasser am besten schmeckt. So ein Filetstückchen darf man sich doch nicht entgehen lassen.

UPDATE: Weitere lesenswerte Reaktionen finden sich in den Notizen für Genießer („Bloggen bedeutet Kommunikation“), im maisonrant (wobei ich die Kritik der Selbstbezüglichkeit gerade in den Food- und Weinblogs nicht ganz teile, da hier doch mit dem Essen oder dem Wein meistens ein externer Referent gegeben ist; auch wenn man den Verlinkungsgrad dieser Community mit anderen vergleicht, ist es eher für Blogs ziemlich wenig selbstreferenziell), in den Gastgewerbe Gedankensplittern, wo Weblogs eher als Arno Schmidtsche Zettelkästen gesehen werden denn als fertige journalistische Erzeugnisse, sowie in den reisenotizen (deren Autorin sich nicht in die Goethezeit zurückwünscht, in der einen „unbescholtene Menschen auf offener Straße damit behelligt haben, wie man Nudeln zu machen und wie lange man den Tee ziehen zu lassen hat.“)

Hmm, lecker, lecker diese Kost!

387021374_a8ecf1ae5a_m.jpgUnter der krampfhaft witzigen Überschrift „Wir sind nicht ganz normal im Topf“ schimpft Ullrich Fichtner im Spiegel über die unterentwickelte deutsche Küche, spricht dabei jedoch „ausdrücklich nicht von der Hochküche, das ist ein anderes Spiel“. Genau das ist jedoch der springende Punkt, der dazu führt, dass sein natürlich äußerst einseitiger Vergleich zwischen Frankreich und Deutschland ins Leere läuft (ganz abgesehen davon, dass drei der vier Gerichte, die er dann als „typisch deutsch“ präsentiert Importe sind: das Schnitzel aus Österreich, das Gulasch aus Ungarn und der Sauerbraten von den alten Römern). Denn wenn es um die Hochküche geht, ist Deutschland – Eckart Witzigmann sei Dank – seit ein paar Jahrzehnten auch in der Königsklasse der Kulinaristik angekommen.

Dass die einfache deutsche Wirtshausküche zwischen Lübeck, Weimar und Lindau zum Teil gruslige Ergebnisse auf die Teller bringt – geschenkt. Aber der entscheidende Unterschied ist, dass die französische Hochküche des 19. Jahrhunderts – ich spreche von den Praktikern Marie-Antoine Carême und Auguste Escoffier sowie ihren Cheftheoretiker Jean Anthelme Brillat-Savarin – nach und nach zur Nationalküche geworden ist. In Deutschland gab es keine entsprechende Transformation – vielleicht bringt uns aber die Molekularküche von der Mehllastigkeit weg (dazu ausführlicher später). Dazu kommt, dass es nie eine vereinheitlichte deutsche Nationalküche gegeben hat, sondern nur eine Vielzahl zum Teil äußerst vielfältiger und raffinierter Regionalküchen. Wenn man näher hinsieht, entdeckt man diese auch in Frankreich, zum Beispiel in der Normandie, in Burgund, im Elsass oder im Périgord.

Fichtner hätte vielleicht etwas mehr Erfolg gehabt, wenn er nach guten einfachen bayerischen, schwäbischen, saarländischen oder badischen Restaurants gesucht hätte. Und vielleicht schafft es auch in Deutschland die Hochküche im Verlauf der nächsten 100 Jahre in die einfachen Restaurants durchzudringen.

(Foto „today’s dinner“ von tschneider)

Die Welt der Angestellten

‚Effiziente IT- und Personaldienstleistungen schmackhaft gemacht
SAP-Lösungen und -Dienstleis­tungen, IT Outsourcing sowie HR Business Process Outsourcing (BPO). Diese Themen präsen­tiert die TDS AG den Besuchern der CeBIT 2008 (Halle 4, Stand G37). Neben den Erfolgsrezep­ten für eine effizientere IT- und Personalabteilung serviert die TDS auf ihrem Stand auch eine „molekulare Küche“.‘
aus einer Pressemitteilung der TDS-AG

und noch eins:

Kochvergnügen für Steuerprofis

Verlag Neue Wirtschafts-Briefe GmbH & Co
22,95 EUR
ISBN 3482576718

Das erste Kochbuch speziell für Steuerprofis. 50 raffinierte Gerichte, die sich schnell und einfach zubereiten lassen und dabei umwerfend gut schmecken. Vorspeisen, die Lust auf mehr machen. Hauptgerichte und Nachspeisen, die auch den anstrengendsten Tag in der Kanzlei versöhnlich enden lassen.

Alle Rezepte sind mit Praxistipps und humorvollen Notizen aus der Steuerberaterwelt versehen so bleibt der Steuerprofi auch am Herd in seinem Element. Damit auch Ihre Mandanten von Ihren Kochkünsten profitieren, runden Vorschläge zu Kochevents und kulinarischen Mandantenveranstaltungen das Kochvergnügen ab. Gesunde Frischeküche für den Steuerberater weil man ist, was man isst.
aus der Beschreibung des Verlags

ohne Kommentar.
(für den, der mehr wissen will, empfehle ich Siegfried Kracauer, Die Angestellten. 8,- EUR bei Suhrkamp)

Vorsicht Olivenöl!

2072331638_0d4abc5be6_m.jpgWas man an Artikeln wie Lars Fischers (Spektrum) äußerst unterhaltsamen und erhellenden Blick auf die Olivenöl-Debatte lernen kann: Gesundheit hat eine Geschichte, ist eine historische Tatsache. Was gestern als gesund bezeichnet wurde, kann heute ein gefährlicher Krankmacher sein. Was heut eine Bedrohung darstellt, kann morgen zur wiederentdeckten Quelle der ewigen Jugend werden. Das unterscheidet Gesundheit nicht von Schönheit, Normalität, Kriminalität oder eben Krankheit.

Der Gesundheitsdiskurs steckt voller Verheißungen und die Wissenschaft tut ihr übriges dazu, immer wieder neue Akteure auf diese Bühne zu schubsen. Vom unheimlichen Hydroxymethylfurfural zu den wohltuenden Antioxidantien, vom mediterran-entspannenden Olivenöl zum potentiellen Gefährder Carrageenan. Konstant bleibt nur die Tatsache, das sich, was als gesund und ungesund gilt, immer wieder ändern wird.

(Abbildung „Öl 1“ von 96dpi)

Kochen als entartete Kunst? Oder: Wir haben immer schon denaturiert

michelangelo.pngDie lebhafte Diskussion über die molekulare Küche (siehe hier, hier oder hier) ist aus unserer Sicht nicht besonders überraschend: Wenn es eine Konstante in der Geschichte des Kochens gibt, dann sind es Angriffe auf die kulinarische Avantgarde, auf die Popularisierung bestimmter Techniken und Zutaten, die zuvor einer kleinen Elite vorenthalten waren („wenn eine küchenmode zum massenphänomen verallgemeinert wird, scheint auf dem weg in die breite einfach das notwendige wissen und können verloren zu gehen“ kommentiert reibeisen) sowie die Abwehr von neu erreichten Reflexionsstufen über das Kochen. Das war zum Beispiel der Fall bei der Einübung des Essens mit Messer und Gabel, bei dem trickle down dieser Kulturtechnik sowie der wissenschaftlichen Reflexion über dieses neue Phänomen. Insofern liegt diese Debatte völlig im Trend.

Nur: den Begriff der „Denaturierung“ in diesem Kontext zu bemühen (so kommentiert Franz: „Leute, die Praktiken wie “Denaturierung” im Zusammenhang mit Nahrungsherstellung für legitim halten, können nicht kompetent sein, wenn es um Lebensmittel geht“), ist entweder unsinnig oder überflüssig.

Zunächst zum Unsinn. „Denaturierung“ ergibt in der Anwendung auf die Kochkunst keinen Sinn, da es keine natürliche Kochweise gibt, die „denaturiert“ werden könnte. Sieht man sich im Reich der Tiere oder Pflanzen um, so wird man sich sehr schwer dabei tun, Beispiele für eine natürliche Kochweise zu finden. Hier wird fleißig geschluckt oder Osmose betrieben, ohne dass sich die Akteure dabei die Mühe machen, ihre Nahrung vorher zu kochen.

Insofern ist Kochen eine Kulturtechnik und sogar eine der ältesten, wie wir immer wieder betont haben. Damit leider auch das genaue Gegenteil von Natur – wenn man diese Unterscheidung überhaupt aufrecht erhalten möchte. Kochen gehört in den großen Aktivitätskomplex des „Spiels gegen die Natur“ und macht den Menschen zu einem Kulturwesen, das sich Natur aneignet (um nicht zu sagen: Untertan macht). Im Übrigen liegt die Wurzel des Begriffs „Kultur“ im Ackerbau – also ebenfalls einer Technik, die sehr eng mit der Nahrungsproduktion und -aufnahme verbunden ist.

Dazu kommt, dass der Begriff „Denaturierung“ an die unsägliche Naziformel von der „Entartung“ erinnert – an die wissenschaftlich klingende Abwehr dessen, was dem eigenen Geschmack nicht entspricht. Beruhigend ist jedoch, dass in der jüngsten Debatte keine „nationale Küche“ oder „Volksküche“ als Gegenbild zur „denaturierten“ Molekularküche heraufbeschworen wird, sondern vielmehr eine nostalgisch verklärte „einfache Küche“ („back to the roots“). Allerdings spielt(e) diese Bedeutungsschicht auch im Begriff der „Entartung“ eine Rolle, so dass hier etwas mehr Fingerspitzengefühl angesagt wäre.

Nun zur Denaturierung als überflüssigen Begriff (siehe dazu auch die gewohnt entspannte Replik des Kompottsurfers). Kochen ist Denaturierung. Zumindest, wenn man von der heute üblichen Hauptbedeutung des Wortes ausgeht, die das Zerstören der Proteinfaltung durch Hitze, Säure, Luftblasen etc. und die sich daraus ergebende Koagulation beschreibt. Denaturierung findet also immer dann statt, wenn man etwas Zitronensaft auf ein frisches Lachsfilet träufelt, wenn man ein Ei in Essigwasser pochiert oder sich ein saftiges Kotelett brät. Konsens dürfte jedoch sein, dass zuviel Denaturierung dieser Art nicht besonders wohlschmeckend ist. Brät man sein Kotelett zu lange, so verknäulen sich die Proteine so stark, dass sie das Wasser aus den von ihnen zuvor gebildeten „Taschen“ herauspressen und man denaturiert das saftige Kotelett zu einem trockenen Stück Leder.

Wenn man von dieser wissenschaftlichen Wortbedeutung ausgeht, so werden wir hier einfach gelassen darauf warten, dass die Denaturierungsgegner endlich konsequent werden und Fisch, Fleisch und Eier roh verzehren – und die Denaturierung ihrer Magensäure überlassen.

Bleibt noch die Frage, was das alles mit der molekularen Küche zu tun hat. Nicht viel – aber das gilt für die gesamte Diskussion bisher.

Die Angst vor dem leeren Teller

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In dieser langen Streitschrift von Jean Paul Bastiaans (ID4LIVING) wird einmal mehr deutlich, dass die Kritik, die sich gegen die molekulare Gastronomie richtet, fast nahtlos an die Schmähungen der Nouvelle Cuisine anknüpfen können. Die Frotzeleien von damals: „Das sieht doch recht übersichtlich aus“ (Loriot) oder „Nouvelle Cuisine, roughly translated, means: I can’t believe I paid ninety-six dollars and I’m still hungry“ (Mike Kalin) können also wortwörtlich übernommen werden, bzw. werden allenfalls noch etwas radikalisiert: noch teurer, noch aufwändiger, noch weniger, noch mehr Effekt.

Für Bastiaans ist Ferran Adrià mindestens die Wurzel alles kulinarischen Bösen:

Ferran Adrian is the main responsable for the pedantic snobbery atrocities you can consume at his place in Gerona. A typical place for creativeless and easy to impress snobs, unable to appreciate the simple and traditional, having to mutate into a world of pseudo elegancy, kitch, cooking circus and where everything seems to be allowed, the more extravagant, the better.

Alles, was man nicht auf Anhieb verstehen und erschmecken kann, wird hier zum Gegner erklärt, denn Essen heißt hier: Essen, ohne nachdenken zu müssen. Doch kommt diese besinnungslose Tätigkeit nicht am Ende einer langen Steigerungskette wie z.B. in Walter Benjamins berühmten Feigen, die nur noch in ihrer reinen Körperlichkeit aufgenommen – ja, gefressen – werden, dabei aber das letzte Glied eines (über)langen Befriedigungsaufschubs darstellen und ohne dieses sublimierende Vorspiel gar nicht zu dekodieren wären: „Der hat noch niemals eine Speise erfahren, nie eine Speise durchgemacht, der immer Mass mit ihr hielt. So lernt man allenfalls den Genuss an ihr, nie aber die Gier nach ihr kennen, den Abweg von der ebenen Strasse des Appetits, der in den Urwald des Frasses führt.“ (Benjamin)

Bei Bastiaans steht diese Unterscheidung dagegen am Anfang: wenn man beim oder gar vor dem Essen Informationen aufnehmen muss, kommunizieren muss, ist der Genuss nicht mehr möglich:

I avoid any restaurant that serves Designer’s Food and where the waiter has and needs to explain what the „Chef“ has prepared for you in his Circus Kitchen.

Aus diesen Sätzen spricht immer wieder eine fast schon paranoide Angst des Nahrungsverlusts (der Psychoanalytiker würde hier anal-retentive Züge erkennen): die Angst vor dem leeren Teller. Und zwar keiner Leere, die durch den vorangegangenen Akt der Völlerei ausgeglichen wird, sondern eine ursprüngliche Leere (emptyness), die gewaltsam erzwingt, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Dazu wieder Bastiaans:

What’s next on the snob’s table? Le “Chef’s Imaginary Menu”? An empty plate where the client has to visualize and imagine the beautiful food and decoration the Chef has virtually transported to your plate?

So wird verständlich, dass beim Anblick der zu kleinen Portionen im Winterrestaurant des Le Bristol in Paris (zwei Michelinsterne) Anflüge einer Panik entstehen und immer wieder auf die Menge bzw. das (Miss)verhältnis zu den Behältnissen hingewiesen wird: „a large metal semisphere plate cover“, „mini tomatoes“, „micro portion“, „microscopic finger work“, „mini shrimps“, „mini Cherry tomatos“, „I had seen them bigger“. Doch was liegt am anderen Ende dieser kulinarischen Metrik? Große Portionen? Nicht nur. Das Gegenteil der „Miniportionen“ der „Snobküche“ ist „a good portion“, „good french cheese“, „a good bottle“, „natural food“, „good cooking“ und letztlich: Tradition, „the way it was done during many centuries“.

Hier sind wir endlich wieder angekommen bei der so vertrauten Gegenüberstellung von Kochkunst, Kochwissenschaft und nouvelle cuisine auf der einen und Natur, Tradition und dem Lob der Portion auf der anderen Seite.

(Abbildung: The zen garden at Ginkakuji, Kyoto, Japan von Paul Mannix)