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Die Angst vor dem leeren Teller

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In dieser langen Streitschrift von Jean Paul Bastiaans (ID4LIVING) wird einmal mehr deutlich, dass die Kritik, die sich gegen die molekulare Gastronomie richtet, fast nahtlos an die Schmähungen der Nouvelle Cuisine anknüpfen können. Die Frotzeleien von damals: „Das sieht doch recht übersichtlich aus“ (Loriot) oder „Nouvelle Cuisine, roughly translated, means: I can’t believe I paid ninety-six dollars and I’m still hungry“ (Mike Kalin) können also wortwörtlich übernommen werden, bzw. werden allenfalls noch etwas radikalisiert: noch teurer, noch aufwändiger, noch weniger, noch mehr Effekt.

Für Bastiaans ist Ferran Adrià mindestens die Wurzel alles kulinarischen Bösen:

Ferran Adrian is the main responsable for the pedantic snobbery atrocities you can consume at his place in Gerona. A typical place for creativeless and easy to impress snobs, unable to appreciate the simple and traditional, having to mutate into a world of pseudo elegancy, kitch, cooking circus and where everything seems to be allowed, the more extravagant, the better.

Alles, was man nicht auf Anhieb verstehen und erschmecken kann, wird hier zum Gegner erklärt, denn Essen heißt hier: Essen, ohne nachdenken zu müssen. Doch kommt diese besinnungslose Tätigkeit nicht am Ende einer langen Steigerungskette wie z.B. in Walter Benjamins berühmten Feigen, die nur noch in ihrer reinen Körperlichkeit aufgenommen – ja, gefressen – werden, dabei aber das letzte Glied eines (über)langen Befriedigungsaufschubs darstellen und ohne dieses sublimierende Vorspiel gar nicht zu dekodieren wären: „Der hat noch niemals eine Speise erfahren, nie eine Speise durchgemacht, der immer Mass mit ihr hielt. So lernt man allenfalls den Genuss an ihr, nie aber die Gier nach ihr kennen, den Abweg von der ebenen Strasse des Appetits, der in den Urwald des Frasses führt.“ (Benjamin)

Bei Bastiaans steht diese Unterscheidung dagegen am Anfang: wenn man beim oder gar vor dem Essen Informationen aufnehmen muss, kommunizieren muss, ist der Genuss nicht mehr möglich:

I avoid any restaurant that serves Designer’s Food and where the waiter has and needs to explain what the „Chef“ has prepared for you in his Circus Kitchen.

Aus diesen Sätzen spricht immer wieder eine fast schon paranoide Angst des Nahrungsverlusts (der Psychoanalytiker würde hier anal-retentive Züge erkennen): die Angst vor dem leeren Teller. Und zwar keiner Leere, die durch den vorangegangenen Akt der Völlerei ausgeglichen wird, sondern eine ursprüngliche Leere (emptyness), die gewaltsam erzwingt, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Dazu wieder Bastiaans:

What’s next on the snob’s table? Le “Chef’s Imaginary Menu”? An empty plate where the client has to visualize and imagine the beautiful food and decoration the Chef has virtually transported to your plate?

So wird verständlich, dass beim Anblick der zu kleinen Portionen im Winterrestaurant des Le Bristol in Paris (zwei Michelinsterne) Anflüge einer Panik entstehen und immer wieder auf die Menge bzw. das (Miss)verhältnis zu den Behältnissen hingewiesen wird: „a large metal semisphere plate cover“, „mini tomatoes“, „micro portion“, „microscopic finger work“, „mini shrimps“, „mini Cherry tomatos“, „I had seen them bigger“. Doch was liegt am anderen Ende dieser kulinarischen Metrik? Große Portionen? Nicht nur. Das Gegenteil der „Miniportionen“ der „Snobküche“ ist „a good portion“, „good french cheese“, „a good bottle“, „natural food“, „good cooking“ und letztlich: Tradition, „the way it was done during many centuries“.

Hier sind wir endlich wieder angekommen bei der so vertrauten Gegenüberstellung von Kochkunst, Kochwissenschaft und nouvelle cuisine auf der einen und Natur, Tradition und dem Lob der Portion auf der anderen Seite.

(Abbildung: The zen garden at Ginkakuji, Kyoto, Japan von Paul Mannix)

Dreisternekoch als Fastfood-Unternehmer: Ferran Adriàs "Fast Good"

fg.pngDass hierzulande auch Sterneköche immer wieder in Fernsehsendungen aufkreuzen um dort ein wenig herumzublödeln und nebenher noch ein Gericht zuzubereiten, das das Fernsehpublikum zum Glück weder riechen noch schmecken muss, ist verständlich. Irgendwoher müssen sie ihr Sternehobby ja finanzieren, denn nur ganz wenige der Dreisternerestaurants können kostendeckend operieren. Zu groß die Anforderungen der Gastrokritiker an Einrichtung, Personalschlüssel und natürlich auch die Qualität der Lebensmittel. Und irgendwo in der Nähe von 300 Euro liegt dann doch die Schmerzgrenze dafür, was man für ein Menü verlangen kann.

Der beste Koch der Welt, Ferran Adrià, geht auch hier einen etwas anderen Weg. Er kocht nicht für Kerner, sondern hat zusammen mit NH-Hoteles eine Fast-Food-Kette auf Franchise-Basis gegründet. Auf den ersten Blick mag das überhaupt nicht zusammengehen, aber wenn man sich mit seiner Philosophie näher auseinadersetzt, ergibt das durchaus Sinn. Adrià spricht sich immer wieder dafür aus, die Qualität von Produkten gänzlich unabhängig von ihrem Preis zu bewerten. Es geht nicht um Luxus, sondern um den Versuch, auf experimenteller Grundlage und in Kooperation mit Experten aus der Lebensmittelindustrie eine Küche zu entwickeln, die Glück verschafft.

Warum sollte sich dieses Prinzip nicht auch auf belegte Brötchen anwenden lassen – also zum Beispiel mit dem Ziel, einen Hamburger zu entwickeln, der im Unterschied zu der gewöhnlichen Systemgastronomie ein gutes Geschmackserlebnis bietet, gesund ist und auch noch einigermaßen bezahlbar. Natürlich geht es hier nicht um handgeformte Sphärenravioli, die mit einem mehrminütigen Begleittext am Tisch serviert werden, aber: warum nicht die Erkenntnisse der Taller-Experimentierküche auch in den Massenmarkt zurückspeisen. Das magische Dreieck heißt: „rápido – con sabor – sano“ (schnell – wohlschmeckend – gesund).

fast-good.pngWie das konkret aussieht, kann man auf der Webseite von Adriàs Fastfoodkette imit dem programmatischen Namen „Fast Good“ bewundern. Da gibt es zum Beispiel ein Hähnchen thailändischer Art mit Basmatireis, einen infantilen Minihamburger, der sich besonders „für die kleinen Gourmets“ eignen soll sowie diverse Panini. Aber auch kalte Speisen wie Salate, Tapas oder Parmesanbrioches gibt es, ganz zu schweigen – und hier erkennt man den Meister – von den zahlreichen Espumas als Nachtisch.

espumas.pngDie Preise liegen zwar über den entsprechenden Angeboten der Konkurrenz aus den USA, dafür scheinen die Speisen aber gut anzukommen (allerdings meinte Siebeck dazu: „Immerhin dürfte es jetzt auch dem Bustouristen möglich sein, bei Ferran Adrià zu essen, was bisher, im El Bulli, nur Steuerhinterzieher nach langer Vorbestellung schafften“). So schreibt Luca über den „Good Burger„, es sei der beste Hamburger seines Lebens gewesen. Die Webseite ist sehr Web-Zwei-Nullig, nicht nur was das Layout betrifft, sondern auch in der Interaktivität: die Nutzer können die einzelnen Speisen kommentieren und auf einer Skala von 1-5 Punkten bewerten. Außerdem: Unter dem Titel „La opinión de nuestro chef“ bloggt Ferran Adrià selbst.

Mittlerweile gibt es Filialen in Barcelona, Madrid, Valencia und auf Gran Canaria sowie in Chile. Deutschland ist noch nicht auf der Fast Good-Landkarte verzeichnet. Wer sich dafür berufen fühlt, kann sich bei Adrià als Franchisenehmer bewerben. Oder man besucht die ebenfalls von Adrià und NH-Hoteles gemeinsam entwickelten Nhube-Restaurants am Stuttgarter oder Frankfurter Flughafen oder in Nürnberg.

Andere zu diesem Thema:

Aufsteiger des Jahres: Denis Feix

Der neue Gusto-Führer Bayern, der neute erscheint, kürt Denis Feix, Restaurant Il Giardino, Columbia-Hotel, Bad Griesbach zum Aufsteiger des Jahres. Feix erkochte sich schon einen Michelin-Stern und stolze 16 GautMileau-Mützen. Die Begründung der Gustos für die Ehrung:

„Mit sehr viel Ideenreichtum und handwerklicher Präzision bereichert Denis Feix seit zwei Jahren die bayrische Gourmetlandschaft. Sein spannendes Repertoire erschöpft sich nicht in Althergebrachtem, sondern bietet moderne, sehr elegant und aufwendig zubereitete Kreationen mit gelungenen kreativen Akzenten. Maßvoll und wohlüberlegt setzt er hie und da auch molekulare Effekte ein … (aus der Pressemitteilung)

Das unser Molekularkuechen-Blog besonders bemerkenswerte ist tatsächlich die Kombination von „klassischer“ Haute Cuisine mit molekularen Einflüssen, wie auf der Karte erkennbar.
Den ganzen Unken sei es hier wiedermal gesagt: der Fortschritt in der Küche ist bei Weitem kein solcher Selbstzweck, als den ihr ihn verschmäht, und nur weil sich jemand Gedanken macht, statt alles aus dem Bauch heraus zu kochen, heißt das noch lange nicht, das die Küche ihre Seele verliehrt …

El Bulli: Reservierungen erst wieder für 2009

elbulli1.pngDieses Jahr ist der kurze Zeitabschnitt, in dem man in Ferran Adrià s El Bulli einen Tisch reservieren konnte, schon wieder vorbei. Gerade einmal fünf Tage – vom 13. bis zum 19. Oktober – hat Luis Garcia diesmal die Reservierungen entgegengenommen. Aber wer Adrià erleben will, kann das nicht nur in Roses tun, sondern auch in Sevilla, wo sich das El Bulli-Hotel befindet. Movable Feast dazu:

On the ride Luis and I talked about the reservations process. He said that the only solution they could see to the impossible demand was to close the restaurant. He was surprised that few people visited the El Bulli Hotel in Sevilla where the restaurant serves El Bulli’s greatest hits and Ferran can often be found off-season. I imagine him there in t-shirt, shorts, and flip-flops happily entertaining guests with his lovely wife.

Aber man kann sich die Wartezeit bis 2009 auch verkürzen, indem man sich schon einmal intensiver mit den 1622 Weinen der 152seitigen Weinkarte des Restaurants beschäftigt.