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Hervé This in Mainz

Wer sich Anfang nächster Woche in der Umgebung von Mainz aufhält, sollte unbedingt am Dienstag, 25. November einen Abstecher ins Max-Planck-Institut für Polymerforschung machen. Dort wird der Pate der Molekularküche Hervé This („Rätsel und Geheimnisse der Kochkunst“) einen Vortrag über die „neuesten Methoden und Forschungsergebnisse der Molekulargastronomie“ halten. Wer This schon einmal live erlebt hat, weiß, dass hier nicht nur Forschungsergebnisse referiert werden, sondern dass das vermutlich ein sehr unterhaltsamer Nachmittag wird:

Der Eintritt ist frei. Vortragssprache ist Englisch.
Max-Planck-Institut für Polymerforschung
Hermann-Staudinger-Hörsaal
Ackermannweg 10
55128 Mainz
Beginn: 14:30 Uhr

Fett – der sechste Geschmack?

52651027_bff1961a3d.jpgÜber den fünften Geschmack „Umami“, der bislang vor allem in der japanischen Küche entsprechend gewürdigt wurde, haben wir in diesem Blog bereits einige geschrieben. Zudem hat unsere Umami-Blograllye einige spannende Rezepte für kräftig umami schmeckende Gerichte zu Tage gebracht. Aber mit fünf Geschmacksrichtungen ist das Repertoire der menschlichen gustatorischen Wahrnehmung noch nicht ausgereizt. Schon seit längerem bemühen sich Forscher wie Fabienne Laugerette, Fett zum sechsten Geschmack zu erheben (Artikel „Do We Taste Fat?“ als pdf). Wobei sie bislang nur für Nagetiere belastbare Indizien dafür haben:

Although this finding suggests that „fatty“ might constitute a basis taste, at least in mice, and rats, further experiments are required to explore the putatitve health impact of this orosensory system.

War es bei Umami halbwegs schwierig, die Eigenschaft von zum Beispiel Glutamatsalzen als Geschmacksverstärker von ihrem eigenen Geschmack zu differenzieren – in der französischen Küche liefern Champignons den Ausgangspunkt für viele feine, nicht explizit nach Pilzen schmeckende Saucen -, im Falle des Fetts wird es noch schwieriger. Denn Fett ist selbst ein Geschmacksträger, da sich einige Aromastoffe nicht in Wasser, sondern nur in Triglyzeriden wie Fetten oder Ölen lösen. Die Geschmacksstoffe werden dann quasi über die Geschmacksknospen „geschmiert“. Man denke zum Beispiel an ein das herzhafte Aroma eines angeschwitzten Soffrittos aus Zwiebeln und Sellerie.

Diese Eigenschaft als Geschmacksträger ist unbestritten, dazu kommt, dass Fett im Zusammenspiel mit Bindegewebe und Muskeln einen wichtigen Texturbeitrag zum Geschmackserlebnis sagen wir eines gut marmorierten Steaks liefert:

Fat lubricates meat for example, making it easier to chew as muscle fibres slip apart and also makes it seem juicy at the same time. Have you ever noticed how a lean cut of meat such as veal, seems to become dry after very little chewing and how we place a premium on well marbled steak, waygu being the supreme example?

Doch muss man dem Fett tatsächlich den Status einer grundlegenden Geschmacksrichtung zusprechen? Verstößt man damit nicht gegen das bewährte Sparsamkeitsgebot? Zumal man Fett und Öl kaum von ihrer charakteristischen Textur – fettig, ölig, auf der Zunge zergehend – trennen kann? Kann man sich etwas fettig schmeckendes vorstellen, das keine fettige Konsistenz hat? Gibt es Beispiele dafür?

(Abbildung „Speck“ von tschörda, CC-Lizenz)

Thunfischsashimi nach Art der Costa Brava

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Ich gebe zu, besonders originell ist die Verbindung von Fisch und Kaviar nicht. Aber schön ist der Gedanke schon, in den aromatischen Übereinstimmungen zwischen dem ausgewachsenen Tier und seinen Eiern so etwas wie die Wurzel des Fischgeschmacks zu suchen, eine Konstante, die das gesamte Leben der Fische prägt.

Tatsächlich findet man auch zahlreiche aromatische Verbindungen, die sowohl den Kaviar als auch den Fisch auszeichnen:

  • Zunächst das Trimethylamin (N,N-dimethylmethanamine), ein farbloses, brennbares Gas, das schon in geringer Konzentration seinen charakteristischen fischigen, öligen, ranzigen, fruchtigen Geruch entfaltet. Auch eine leichte Schweißnote kann man darin wahrnehmen. In höheren Konzentrationen, um die wir uns hier nicht kümmern müssen, erinnert TMA eher an einen stechenden Ammoniakgeruch. Künstlich lässt sich dieser Stoff aus Methanol und Ammoniak produzieren, natürlich kommt es nicht nur in Fisch und Kaviar vor und ist der charakteristische Indikator für Fisch, der nicht mehr allzu frisch ist („Heringslake“), sondern in Käse, Kakao, Kaffee, Whiskey und Bier. Aber auch in Bucheckern findet man diesen Stoff sowie im Vaginalsekret und dem männlichen Ejakulat.
  • Auch zwischen dem nächsten Geruchsstoff, Undecanal, und der menschlichen Fortpflanzung findet man einen Zusammenhang: dieses Aldehyd blockiert nämlich die Geruchsrezeptoren und damit Fähigkeit der männlichen Keimzellen, die Eizelle zu finden. Dieser Stoff lässt sich vielleicht irgendwann einmal als geruchliches Empfängnisverhütungsmittel einsetzen. Die Verbindung riecht stark aldehydisch. Man könnte die Note als wachsig, seifig, blumig, zitronig, grün, fettig bezeichnen – in etwas so wie in einer Waschküche, in der gerade die frische Wäsche aus der Maschine geholt wurde. Dieses Molekül ist Teil des Buketts zahlreicher Früchte von der Banane über die Mandarine bis zu Nüssen.
  • Außerdem findet man in Fisch und Kaviar auch viele grüne Geruchsnoten, so zum Beispiel 2,4-Octadien-1-al ((2E,4E)-octa-2,4-dienal), das grün, fruchtig, melonig, zitronig, aber auch leicht fettig schmeckt und geruchlich auch an Birnen erinnert. Außerdem (E)-2-Nonen-1-al ((E)-non-2-enal), das neben der grünen Note auch etwas von Gurken und Melonen hat, sowie eine leichte fettig-aldehydische Begleitnote. Soja und Erdnuss sind zwei weitere Lebensmittel, in denen dieser Stoff vorkommt. Auch (E,E)-2,4-Hexadien-1-al ((2E,4E)-hexa-2,4-dienal) hat diesen grünen Geruch, riecht aber süßlicher, würziger, blumiger trotz ähnlicher wachsig-aldehydiger Noten. Diese beiden Stoffe sind auch im Bukett der Erdnuss zu entdecken.
  • Auch fettige Geruchsstoffe verbinden Fisch und Kaviar. Beispiele dafür sind 2-Decenal ((E)-dec-2-enal), einem Molekül, das eine starke wachsig-orangige Note auszeichnet und unter anderem auch in Sojabohnen zu finden ist, die in unserem Gericht ebenfalls eine Rolle spielen werden. Ebenfalls fettig riecht und schmeckt 2,4-Decadien-1-al ((2E,4E)-deca-2,4-dienal), das nicht nur fettig, sondern auch etwas ölig, gebraten, ranzig nach Huhn riecht. Auch diese Verbindung kann man in der Sojabohne und außerdem im Erdnussöl entdecken.
  • Ein weiterer Bestandteil ist Valeraldehyd (Pentanal), eine Verbindung die stark riecht und einen fermentierten Geruch besitzt, der holzig, vanillig, fruchtig oder nussig wirkt. Geschmacklich erinnert Undecanal an Wein, Brot, Kakao und Schokolade. Der Stoff findet sich in sehr vielen Lebensmitteln vom Apfel über Eukalyptus bis zur Walnuss. Auch in Erdnüssen und in der Sojabohne findet man diesen aromatischen Stoff.
  • Die letzte Verbindung, die ich gefunden habe, ist Butanal oder Butyraldehyd, ein Stoff, der in hohen Konzentrationen sehr stechend riecht, in geringeren Mengen aber ein sehr wichtiger Grundstoff für die Herstellung von Riechstoffen darstellt. Dieser Stoff verströmt einen intensiven Schokoladengeruch und hat eine stechende Note von Kakao, Moder, Malz, Brot und Grün. Man findet die Verbindung auch in vielen Gewürzpflanzen wie Salbei, Bergamotte, Hopfen und Eukalyptus. Auch in der Sojabohne kommt dieses Aroma vor.

Damit dürfte klar sein, dass die Kombination von Fisch und Kaviar durch die vielen Übereinstimmungen gut funktionieren kann. So zum Beispiel in diesem einfachen erfrischenden Rezept für Thunfischsashimi mit Kaviar von Ferran Adrià.

Zutaten

  • 200g sehr frische Thunfischfilets, „Sushi-Qualität“
  • Sojasauce
  • Sesamöl
  • Kaviar, hier: Forellenrogen

Zubereitung

  1. Den Thunfisch in Würfel schneiden und 5 Minuten in der Soja-Sesammischung marinieren lassen. Dann aufspießen und den Kaviar auf die Thunfischstückchen kleben.

Das war’s auch schon, aber geschmacklich und von der Konsistenz her absolut überzeugend.

Der Geruch des Weltraums

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Das hier wäre doch einmal eine wirkliche Herausforderung für die molekulare Küche à la Heston Blumenthal: der Geruch des Weltalls. Der ISS-Wissenschaftsoffizier Don Pettit beschreibt in seinem Weltraumtagebuch diesen unmöglichen Geruch – unmöglich, da das Vakuum eigentlich gar nicht riechen kann – nämlich wie folgt:

Each time, when I repressed the airlock, opened the hatch and welcomed two tired workers inside, a peculiar odor tickled my olfactory senses. At first I couldn’t quite place it. It must have come from the air ducts that re-pressed the compartment. Then I noticed that this smell was on their suit, helmet, gloves, and tools. It was more pronounced on fabrics than on metal or plastic surfaces. It is hard to describe this smell; it is definitely not the olfactory equivalent to describing the palette sensations of some new food as „tastes like chicken.“ The best description I can come up with is metallic; a rather pleasant sweet metallic sensation.

Doch wie soll man sich diesen Geruch vorstellen? Nach Pettit ist der süßliche Geruch, der beim Umgang mit einem Schweißgerät entsteht (meint er den süßlichen Geruch bei der Verbrennung des Acetylengases?) dem Weltraumduft am ähnlichsten. Aber: Wie aber kann man überhaupt den Weltraum riechen? Im Fall des nach Schießpulver riechenden Mondstaub) kann man sich das ja noch einigermaßen vorstellen. Die direkte Sinneserfahrung des Weltraums jedoch ist theoretisch möglich, aber lebensgefährlich.

Kein Problem, es gibt schließlich noch andere kulinarische Erfahrungen die lebensgefährlich sind. Und das scheint den Genuss sogar noch zu beflügeln. Man denke zum Beispiel an den in Japan genossenen Kugelfisch (Fugu). Auch einige Studien wie etwa von Pollatos et al., kommen zu dem Ergebnis, dass Gerüche durch unangenehme Emotionen zwar unangenehmer, aber intensiver wahrgenommen werden.

Das Problem mit dem Weltraum ist aber nicht nur, dass es wenig zu beißen gibt (nicht einmal Luft), sondern vor allem, dass es der kosmische Gourmet nicht überleben würde, diesen Ur-Geruch einzuatmen. Ja, er oder sie käme wahrscheinlich nicht einmal dazu, einen tiefen Atemzug zu machen. Die einzige Möglichkeit ist, das berichtet auch Pettit, die indirekte Erfahrung des Geruchs. Einige schwebende Geruchspartikel bleiben anscheinend an der Oberfläche von Weltraumanzügen hängen und können nach der Wiederherstellung einer überlebensfähigen Atmosphäre gerochen werden. Jetzt frage ich mich nur, warum der Wissenschaftsoffizier nicht sofort seine Messinstrumente geholt hat um einmal nachzumessen, welche volatilen Verbindungen für den smell of space verantwortlich sind. Das wäre doch einmal eine spannende Grundlage für echtes space food. (via)

(Abbildung „Building the ISS“ von dgroth)

Kommensalität und Kommunikation

rembrandt-belsazar.jpgDass Essen verbindet, dürfte keine große Überraschung sein. So hat die Ethnologie dafür einen eigenen Fachbegriff geprägt, die „Kommensalität“, und gerade in den abschätzig als „einfache“ Kulturen bezeichneten Gruppen unendlich komplexe Regelwerke gefunden, die eine Ordnung schaffen, wer mit wem wo was essen darf. Kulturgeschichtlich war Essen vermutlich niemals die einfache Angelegenheit, als die es immer wieder dargestellt wird – man setzt sich zusammen bei einem guten Mahl und genießt. Mitnichten. Man denke zum Beispiel an die dem indischen Kastensystem innewohnenden Vorbote der Kommensalität unterschiedlicher Kasten und die überlebensgroße Bedeutung der Reinheitsideen in diesem Symbolkomplex (vgl. dazu diesen Aufsatz von Jakob Rösler).

Aber je stärker und schärfer die Regeln, desto mehr Möglichkeiten gibt es, sie in bestimmten Situationen zu übertreten und dadurch eine höchst bedeutendes Zeichen zu setzen. So zum Beispiel Gandhi in dem überlieferten Zitat: „Den Armen nähert sich der Gott in der Form der Speise.“ Oder die Gastmahle des historischen Jesu, die sich im Turnerschen Sinne als egalitäre Anti-Struktur verstehen lassen, da sie „… zutiefst die Unterscheidungen und Rangordnungen, die Frauen und Männern, Armen und Reichen, Heiden und Juden verschiedene Plätze anweisen“ (JD Crossan, zitiert nach Christian Streckers Dissertation „Die liminale Theologie des Paulus“ aus dem Jahr 1996) für eine begrenzte Zeitspanne außer Kraft setzen (wie auch der Karneval).

Aber die Beziehung zwischen dem Essen und der Gemeinschaft ist eher als Wechselbeziehung vorzustellen. Auf der einen Seite kann der viel zu oft übersehene Zeichencharakter des Kochen und Speisens als Katalysator von Gemeinschaft werden. Auf der anderen Seite kann die gefühlte Gemeinschaft auch die Bedeutung des Essens aufladen. Deutlich wird diese Bedeutung von Kommensalität in dem folgenden Zitat des Kochwissenschaftlers Hervé This:

The fact is that cooking is about giving people pleasure. Why did our grandmothers give us good food to eat? Technically, they were simply yokels. I had two grandmothers. One made delicious food, she spilled over with love. We weren’t eating protein, lipids and glucides, we were eating my grandmother’s love. The other was thin, unloving, she couldn’t give other people pleasure and she was an awful cook. Eating is also about relationships.

Doch in beiden Fällen geht es um den Zeichencharakter des Essens, denn nicht nur „Liebe“ verweist auf die semantische Ebene, sondern auch die wissenschaftliche Sprache der Proteine, Lipide und Kohlehydrate ist selbstverständlich nur weiteres – historisch jüngeres – Sprachspiel, das als Rahmen für das Dekodieren des Speisens verwendet werden kann.

(Abbildung: „Das Gastmahl des Belsazar“ von Rembrandt van Rijn, 1635)

Jeffrey Steingarten: The Man Who Ate Everything

steingarten.jpgWahrscheinlich haben die meisten Leser dieses Blogs das Buch „The Man who ate everything“ von Jeffrey Steingarten bereits (mehrmals) gelesen. Wenn nicht: diese im Geiste einer unvergleichlichen Leichtigkeit geschriebene Sammlung von Artikeln, die Steingarten als Food Writer für Vogue und Slate verfasst hat, sind für jeden Gourmet ein Pflichtprogramm (hier gibt es das erste Kapitel schon einmal als Vorgeschmack).

Fast am interessantesten sind die beiden Abschnitte, in denen Steingarten die gängigen Erkenntnisse der Ernährungsphysiologie unter die Lupe nimmt. Ganz gleich, ob es um die „mediterrane Ernährung“, den Zusammenhang von Salz und Hypertonie, die Gefahren der Fette, den Zusammenhang von weißem Zucker und Gewalttätigkeit oder den positiven Wert von Salaten geht – alles wird erst erst einmal grundsätzlich hinterfragt. Nach der Lektüre der entsprechenden wissenschaftlichen Literatur, die leider ohne Quellenangaben vorgestellt wird – das würde aber wahrscheinlich auch nicht zu der üblichen Vogue-Leserschaft passen.

Neben den ernährungsphysiologischen Bilderstürmereien ist in dem Buch natürlich auch sehr viel über gutes – aber nicht unbedingt gesundes – Essen zu lesen, das Steingarten in seiner Eigenschaft als Gastrokritiker in nahezu allen denkbaren Weltregionen zu sich genommen hat: vom Franzbranntwein-massierten Wagyu-Rind in Kyoto, Choucroute Garnie à l’Alsacienne in Ittenheim bis zu Tajarin mit selbst ausgegrabenen weißen Trüffeln im Piemont. Keiner der üblichen Höhepunkte eines erfüllten Gourmetlebens wird hier ausgelassen. Ein normales Pensum dieses Mannes scheinen bis zu 14 Restaurantbesuche in einer Woche zu sein. Kein Wunder, dass auch das Thema Abnehmen immer wieder angesprochen wird – vom Selbstversuch mit der Montignac-Diät bis zur Entgiftungskur in der Canyon Ranch: „I have always considered people who believe that chocolate is a poison to be twisted beyond redemption“.

Berührungsängste mit der Lebensmittelindustrie hat Steingarten nicht, so berichtet er zum Beispiel anfangs durchaus unvoreingenommen und positiv über das künstliche Fett Olestra. Wäre da nicht diese unangenehme Sache mit dem passiven Ölverlust, Steingarten sähe dieses „Fett ohne Folgen“ von Proctor & Gamble als Zeichen für den Anbruch einer neuen Ära der menschlichen Geschichte.

Müsste man die zentrale Aussage des Buches in einem Satz zusammenfassen, so wäre dies vermutlich folgender: Gutes Essen kommt in vielen Varianten vor, schlechtes Essen ebenso. Und in dem folgenden Absatz über die Küche Kyotos spürt man sogar einen Hauch molekularer Küche:

Japanese gourmets have always sought the mysterious and exotic in their ingredients and textures. As Diane Durston tells … the warlords and wealthy merchants of the Edo period played a game of guessing what they had just been served for dinner. Nothing could be more authentically Japanese than not knowing what you are eating.

Jeffrey Steingarten: The Man Who Ate Everything, New York, Vintage Books, 1997, 516 Seiten, ISBN 9780375702020, 15,95 USD. Deutsche Ausgabe „Der Mann, der alles isst“

German Minderwertigkeitskomplex oder die gute deutsche Pute

golose1.pngHeute in der SZ las ich einen flotten Artikel der von uns sehr geschätzten Maren Preiss über die gerade zu Ende gegangene Mailänder Kochmesse „Identità golose“ (Italienischer Kongress der „Autorenküche“ – mal sehen, ob sich dieser Trendbegriff durchsetzt). Mit dabei waren zahlreiche Köche aus den wichtigsten kulinarischen Nationen der Welt: Italien, Frankreich, Spanien, Großbritannien, Finnland, Slowenien, Brasilien und Japan. Und Deutschland? Das Land von Eisbein und Sauerkraut war leider trotz des jüngsten Sterneregens nicht vertreten. Der Grund?

„Wir bringen die Deutschen nicht mit Genuss in Verbindung“, sagt Paolo Marchi, der den Kongress „Identità golose“ vor vier Jahren ins Leben gerufen hat. „Außerdem ist die deutsche Küche noch immer stark von der französischen beeinflusst. Es reicht heute nicht aus, nur eine gute Küche zu haben. Kreativität und Innovation sind mindestens genauso wichtig.“

Und wer konnte durch ebendiese Kreativität und Innovationskraft einmal mehr glänzen? Der britische Koch Heston Blumenthal (der mit den umstrittenen Spaghetti bolognese). Besonders bemerkenswert findet Preiss, und darin können wir ihr voll und ganz zustimmen, die Fähigkeit des Briten, nationale kulinarische Traditionen wie Fish and Chips oder Porridge mit molekulargastronomischem Hightech auf ein sternewürdiges Spitzenniveau zu bringen.

Die deutsche Küche hat dagegen mit einem Doppelproblem zu kämpfen, das wir ebenfalls schon angesprochen haben: Technologie- und Wissenschaftsfeindlichkeit (die Beispiele reichen von der Warnung der Kulinaristen bis zu Diskussionen in Weblogs) auf der einen Seite und eine ebenso schädliche Traditionsfeindlichkeit. Man kocht lieber mediterran statt sich auf die durchaus vorzufindenden regionalen (und weniger nationalen) gastronomischen Traditionen zu besinnen. Es fehlt also bis auf wenige Ausnahmen eine kulinarische Synthese aus der universalistischen Wissenschaftssprache (von Algin bis Xanthan) und den partikularen Traditionssträngen. Mit anderen Worten: es fehlt ein kulinarischer Kosmopolitismus, denn dieses Wort bedeutet gerade die Synthese aus Universalismus und Partikularismus.

Besonders schön auch Preiss‘ Seitenhieb auf die CMA:

Statt die deutsche Spitzengastronomie als probates Werbefeld zu entdecken, verbreitet die Slogans wie „Und ewig lockt das Fleisch“ oder „Deutsche Pute. Die Gute“. Deutsche Raffinesse lässt sich so nicht vermitteln.

Obwohl: eigentlich sind die beiden Slogans gar nicht so schlecht. Würden sie sich nicht hervorragend dazu eignen, dekonstruktivistische Gerichte à la Ferran Adrià zu bezeichnen?

Schokolade als Medizin: Stollwercks "Antioxidant"

antioxidant.pngVor einiger Zeit hatten wir an dieser Stelle schon einmal ein Indiz für die Verwissenschaftlichung des Schokoladengenusses präsentiert: eine goldglänzende Verpackungsfolie mit einem Diagramm der zeitlichen Entwicklung der Geschmackskomponenten. Heute gibt es ein weiteres Fundstück, das nicht nur dem Schokoladengenuss ein wissenschaftliches Image geben soll, sondern einen medizinischen Bezugsrahmen evoziert, um ein neues Schokoladenmarktsegment zu schaffen (Stichwort „Marketing als Framing“; vgl. dazu den lesenswerten Aufsatz „Bewegung im Markt“ von Kai-Uwe Hellmann in der aktuellen Kölner Zeitschrift): Stollwercks Neuentwicklung „Antioxidant„.

Während die Lokalisierung der Schokolade mittlerweile schon in den Discountern angekommen ist (Ecuador, Ghana, Tobago, Arriba), wird hier ein für Genusslebensmittel unkonventioneller Name etabliert: man begegnet Antioxidantien mittlerweile regelmäßig Werbung, aber als Produktbezeichnung ist dieser nach Chemie klingende Name ungewöhnlich. Dementsprechend bemüht sich der Begleittext, dieses Image in Richtung einer „Wohlfühlmedizin“ umzulenken und die chemisch-molekulare Ebene des Essens wird hier zum Schauplatz von Stress („oxidativer Stress“) und Entspannung („Wohlbefinden“) gemacht:

Antioxidantien sind gut für uns, denn der Alltag kann unseren Körper überfordern. Umwelteinflüsse, Bewegungsmangel oder unüberlegte Ernährung führen zu oxidativem Stress. Ein Übermaß an „Freien Radikalen“ ist die Folge und dies kann Zellschäden Vorschub leisten. Antioxidantien „fangen“ freie Radikale und schützen so den Körper.

Dabei geht die Verwissenschaftlichung hier noch weiter als in dem Goldfoliendiagramm. Die neue Stollwerck-Schokolade wird ebenfalls mit einem Diagramm präsentiert, das den überlegenen Antioxidantiengehalt der Schokolade im Vergleich mit einem Glas Rotwein darstellt:

diagramm.png

Man beachte insbesondere die wissenschaftlich korrekten (wenn man von einer leichten Inkonsistenz in der Formatierung und der fehlenden Seitenzahl im zweiten Fall absieht) Quellenangaben in der Fußnote:

Ding et al., 2006, Nutrition and metabolism, 3:2; Lee et al., Journal of Agricultural Food Chemistry Dec 3; 51(25):7292-5.

Hier wird also ein neues Produkt mit Bezugnahme auf Artikel in international anerkannten peer-reviewten Fachzeitschriften mit hohem Impact-Faktor auf den Markt zu bringen. Das geht ein ganzes Stück weiter als der bisher übliche Rückgriff auf „die Forschung“ oder „Dr. Best empfiehlt“. Dazu gibt es auch noch eine Webseite, auf der nicht nur das verwendete Verfahren erläutert wird, sondern auch noch Informationen über die Kakao-Polyphenole gegeben wird.

Allerdings hat man es hier deutlich mit einer Hybridstrategie zu tun, denn in der Farbgebung (gold, rot, dunkelblau, braun, schwarz) und auch im Schriftzug (eine gemäßigte, schlanke Grotesk) bleibt die neue Marke durchaus im Rahmen des klassischen Schokolademarketings. Man scheint hier also die Assoziation mit der kalten, synthetischen Welt der Wissenschaft zu vermeiden.

(via w&v)

Kochen als entartete Kunst? Oder: Wir haben immer schon denaturiert

michelangelo.pngDie lebhafte Diskussion über die molekulare Küche (siehe hier, hier oder hier) ist aus unserer Sicht nicht besonders überraschend: Wenn es eine Konstante in der Geschichte des Kochens gibt, dann sind es Angriffe auf die kulinarische Avantgarde, auf die Popularisierung bestimmter Techniken und Zutaten, die zuvor einer kleinen Elite vorenthalten waren („wenn eine küchenmode zum massenphänomen verallgemeinert wird, scheint auf dem weg in die breite einfach das notwendige wissen und können verloren zu gehen“ kommentiert reibeisen) sowie die Abwehr von neu erreichten Reflexionsstufen über das Kochen. Das war zum Beispiel der Fall bei der Einübung des Essens mit Messer und Gabel, bei dem trickle down dieser Kulturtechnik sowie der wissenschaftlichen Reflexion über dieses neue Phänomen. Insofern liegt diese Debatte völlig im Trend.

Nur: den Begriff der „Denaturierung“ in diesem Kontext zu bemühen (so kommentiert Franz: „Leute, die Praktiken wie “Denaturierung” im Zusammenhang mit Nahrungsherstellung für legitim halten, können nicht kompetent sein, wenn es um Lebensmittel geht“), ist entweder unsinnig oder überflüssig.

Zunächst zum Unsinn. „Denaturierung“ ergibt in der Anwendung auf die Kochkunst keinen Sinn, da es keine natürliche Kochweise gibt, die „denaturiert“ werden könnte. Sieht man sich im Reich der Tiere oder Pflanzen um, so wird man sich sehr schwer dabei tun, Beispiele für eine natürliche Kochweise zu finden. Hier wird fleißig geschluckt oder Osmose betrieben, ohne dass sich die Akteure dabei die Mühe machen, ihre Nahrung vorher zu kochen.

Insofern ist Kochen eine Kulturtechnik und sogar eine der ältesten, wie wir immer wieder betont haben. Damit leider auch das genaue Gegenteil von Natur – wenn man diese Unterscheidung überhaupt aufrecht erhalten möchte. Kochen gehört in den großen Aktivitätskomplex des „Spiels gegen die Natur“ und macht den Menschen zu einem Kulturwesen, das sich Natur aneignet (um nicht zu sagen: Untertan macht). Im Übrigen liegt die Wurzel des Begriffs „Kultur“ im Ackerbau – also ebenfalls einer Technik, die sehr eng mit der Nahrungsproduktion und -aufnahme verbunden ist.

Dazu kommt, dass der Begriff „Denaturierung“ an die unsägliche Naziformel von der „Entartung“ erinnert – an die wissenschaftlich klingende Abwehr dessen, was dem eigenen Geschmack nicht entspricht. Beruhigend ist jedoch, dass in der jüngsten Debatte keine „nationale Küche“ oder „Volksküche“ als Gegenbild zur „denaturierten“ Molekularküche heraufbeschworen wird, sondern vielmehr eine nostalgisch verklärte „einfache Küche“ („back to the roots“). Allerdings spielt(e) diese Bedeutungsschicht auch im Begriff der „Entartung“ eine Rolle, so dass hier etwas mehr Fingerspitzengefühl angesagt wäre.

Nun zur Denaturierung als überflüssigen Begriff (siehe dazu auch die gewohnt entspannte Replik des Kompottsurfers). Kochen ist Denaturierung. Zumindest, wenn man von der heute üblichen Hauptbedeutung des Wortes ausgeht, die das Zerstören der Proteinfaltung durch Hitze, Säure, Luftblasen etc. und die sich daraus ergebende Koagulation beschreibt. Denaturierung findet also immer dann statt, wenn man etwas Zitronensaft auf ein frisches Lachsfilet träufelt, wenn man ein Ei in Essigwasser pochiert oder sich ein saftiges Kotelett brät. Konsens dürfte jedoch sein, dass zuviel Denaturierung dieser Art nicht besonders wohlschmeckend ist. Brät man sein Kotelett zu lange, so verknäulen sich die Proteine so stark, dass sie das Wasser aus den von ihnen zuvor gebildeten „Taschen“ herauspressen und man denaturiert das saftige Kotelett zu einem trockenen Stück Leder.

Wenn man von dieser wissenschaftlichen Wortbedeutung ausgeht, so werden wir hier einfach gelassen darauf warten, dass die Denaturierungsgegner endlich konsequent werden und Fisch, Fleisch und Eier roh verzehren – und die Denaturierung ihrer Magensäure überlassen.

Bleibt noch die Frage, was das alles mit der molekularen Küche zu tun hat. Nicht viel – aber das gilt für die gesamte Diskussion bisher.

Geld schmeckt besser

rangel.pngIn der Molekulargastronomie gehört der Umgang mit Magnetresonanztomographen fast schon zum guten Ton, schließlich sind diese medizinischen Großgeräte ein nützliches Hilfsmittel, wenn es gilt, das Eindringen der Joghurtmarinade in eine Hühnerbrust zu beobachten. Aber natürlich kann man auch Menschen in dieses Gerät stecken, zum Beispiel um zu erfahren, dass ein Wein tatsächlich besser schmeckt, wenn die Probanden der Überzeugung sind, er habe mehr gekostet als ein anderer Wein. Zu diesem Ergebnis kommen zumindest die kalifornischen Wissenschaftler um den Neuroökonomen Antonio Rangel in ihrem Beitrag „Marketing actions can modulate neural representations of experienced pleasantness„:

Our results show that increasing the price of a wine increases subjective reports of flavor pleasantness as well as blood-oxygen-level-dependent activity in medial orbitofrontal cortex, an area that is widely thought to encode for experienced pleasantness during experiential tasks. The paper provides evidence for the ability of marketing actions to modulate neural correlates of experienced pleasantness and for the mechanisms through which the effect operates.

Ein weiterer Beweis also für die Abhängigkeit des Geschmackserlebens vom Kontext, die von vielen molekularen Köchen immer wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt wird (siehe z.B. Blumenthals „Sound of Sea„).

(via Winzerblog)