Kategorie-Archiv: koeche

Lebensmittel sind auch Kommunikationsmittel

… also Medien, wie man das normalsprachlich nennt. Ein viel zu selten beachteter Aspekt des Kochens und Essens! Dieter Kosslik, der Leiter der Berlinale kündigt mit diesem Postulat die zweite Runde des „Kulinarischen Kinos“ auf dem internationalen Filmfest an. Vom 15. bis 18.2.2008 werden wie schon im letzten Jahr kulinarische Themen im Film mit realweltlicher Gastronomie verbunden.

Der Höhepunkt gibt gleich als Auftakt: Im Anschluss an Buñuels Diskreten Charme der Bourgeoisie diskutieren Carlo Petrini, Gründer von Slow Food und Ferran Adrià über das Essen der Zukunft – unter Moderation von Zeit-Chef Giovanni di Lorenzo.
Zu Essen gibt es Seeteufel, zubereitet von Bobby Bräuer (Quadriga, 17 Mützen im Gault Millau).

„Der Mensch sollte sich auf die Anfänge seiner Klugheit besinnen und die liegen auf der Zunge. Homo Sapiens heißt nicht nur der weise, sondern auch der schmeckende Mensch.“ Thomas Struck, Leiter des Kulinarischen Kinos

Das sehen wir auch so.

Tradition und Wissenschaft

Wieder mal ein übliches Missverständnis der molekularen Gastronomie. Gefragt, was denn die italienischen Köche von diesem (Reiz-)thema halten, antwortet Nancy Harmon Jenkins, New York Times-Autorin und Verfasserin einiger mediterraner Kochbücher:

They don’t think about it all . . . which is not to say everything is hidebound by tradition. But still there is a very profound sense of being Italian – not even Italian, of being Calabrian or being Sicilian.

Da hätte sie doch besser einmal einen Blick in Ferran Adriàs Manifest der neuen Avantgarde-Küche geworfen, in dem der 16. Punkt wie folgt lautet:

das ursprüngliche als stil ist ein gefühl der verbindung mit dem eigenen geografischen und kulturellen kontext, wie auch mit dessen kulinarischer tradition. die verbundenheit mit der natur ergänzt und bereichert diese beziehung mit der umwelt.

Oder einmal einen Blick auf die Gerichte geworfen, die Heston Blumenthal in The Fat Duck serviert. Traditionslosigkeit? Keine Spur. Eher eine Modernisierung der Tradition mit Elementen einer wissenschaftlich-experimenteller Herangehensweise.

Wer ist's gewesen? Auf der Suche nach Heston Blumenthals Geliermittel

christmas_screen.pngIn der spektakulären Weihnachtsfolge von Heston Blumenthals „In Search of Perfection“ („Just like Narnia!“, „Oh, this is so christmassy“) kommt ganz am Anfang ein Apéritif vor, dessen eine Hälfte kalt und die andere heiß ist. Leider verrät der Dreisternekoch nicht, wie er diesen Trick bewerkstelligt hat. Zumindest nicht im Fernsehen, denn im Guardian war Blumenthal nicht so zurückhaltend, sondern widmete dem Phänomen 2005 eine ganze Spalte. Das Geheimnis liegt darin, dass es sich bei dem Getränk gar nicht um eine Flüssigkeit handelt, sondern um ein Gel, das beim Trinken das Mundgefühl einer Flüssigkeit annimmt:

If you use just the right amount of gelling agent and get the set just right, you end up with a liquid like a syrup that isn’t really a liquid at all but rather a jelly that’s been broken down into millions of little pieces. We gently warm some of it and leave the rest cold. We put a divider down the middle of a glass and fill one side with the hot gel and the other with cold. Then lift up the divider and, hey presto, you have what looks like a glass filled with a single liquid.

Zum Glück erwähnt Blumenthal an dieser Stelle nicht, um welches Geliermittel es sich handelt. Denn auf diese Weise haben wir die Gelegenheit, selbst experimentell aktiv zu werden. Vielleicht können auch die Leser mithelfen auf der Suche nach einem Geliermittel, das

  • sich im Mund wie eine Flüssigkeit anfühlt,
  • dabei jedoch so stabil ist, sich im Glas nicht allzu schnell zu vermischen
  • und schließlich hitzestabil genug, um die gewünschte Temperaturdifferenz herzustellen.

Also: Welches Gel erfüllt diese Bedingungen?

Adrià und die Documenta

In einem Interview mit der argentinischen Zeitung La Nación äußert sich Ferran Adrià auch über die Kritik an seiner Teilnahme an der 12. Documenta in Kassel. Immer wieder war zu hören, dass Buergel und Noack mit der Einladung des katalanischen Dreisternekochs einen Medieneffekt erzielen wollten. Adrià bemerkt dazu trocken, dass er nicht Robert De Niro sei.

Andere kritisierten, dass durch die Documentateilnahme eines Kochs der Diskurs der modernen Kunst trivialisiert würde und zumindest auf den ersten Blick könnte man diesem Argument zustimmen, da die Gastronomie in ihrem Streben nach Genuss, Glück und Schönheit einem reaktionären Kunstbegriff entspräche. Während es in der Theorie der bildenden Kunst und der Literatur schon längst eine Auseinandersetzung mit Ästhetiken des Widerstands, des Grauens, des Scheußlichen gegeben hat, fehlen in der Gastronomietheorie entsprechende Momente.

Doch gerade die nueva nouvelle cuisine lassen sich Ansatzpunkte erkennen, die in diese Richtung weisen und auf unerwartete Geschmackserlebnisse abzielen – etwa indem einem Eis Salz statt Zucker beigefügt wird. Das ist schon ein – wenn auch auf anthropologischer und weniger historisch-kultureller Ebene anzusiedelnder – Versuch, auf Grundregeln des Geschmacks zu stoßen und diese durch ihre gezielte Verletzung sichtbar, erfahrbar, ja schmeckbar zu machen. Adriàs Entgegenung auf den Trivialisierungsvorwurf, die Gastronomie könne ihr Moment der Kreativität zum Kunstdiskurs beitragen, erscheint hier etwas zu bescheiden.

Wieder andere empfanden es als Enttäuschung oder Etikettenschwindel, dass Adrià bzw. sein El-Bulli-Team gar nicht persönlich auf der Documenta anwesend waren und man dort gar keine Avantgardeküche genießen konnte. Hierzu Adrià:

Wir kamen zu dem Schluss, dass die Küche nicht dekontextualisiert werden kann; wie ein Ballet oder eine Oper auch nicht außerhalb des Theaters stattfinden kann … Hätten wir dort gekocht, wäre das Catering gewesen und hätte die Erfahrung, wegen der wir eigentlich eingeladen wurden, verzerrt; außerhalb der ursprünglichen Umgebung würde das keinen Sinn ergeben.

Kochen und dabei Gutes tun

crisis.pngNun, wenn man die Gerichte aus dem Crisis-Kochbuch für sich selbst oder die Familie kocht, hilft das den Obdachlosen in den UK natürlich nur wenig, aber von jedem verkauften Exemplar des Buches gehen 3 britische Pfund an das Obdachlosenhilfswerk Crisis – bei einem Kaufpreis von 5 £. Die Liste der darin mit Rezepten vertretenen Köche liest sich sehr spannend, außerdem sind auch noch zehn Weinessays von Jancis Robinson mit dabei:

Ferran Adria, El Bulli, Spain, Mario Batali, Babbo, New York, Vineet Bhatia, Rasoi Vineet Bhatia, London, Heston Blumenthal, The Fat Duck, Bray, Paul Bocuse, Collonges-au-Mont-d’Or, France, Claire Clark, pastry chef, The French Laundry, California, Sam and Sam Clark, Moro, London, Sally Clarke, Clarke’s, London, Alain Ducasse, Le Louis XV, Monaco, Anthony Demetre, Arbutus, London, James and Emma Faulks, Magdalen, London, Chris Galvin, Galvin’s, London, Fergus Henderson, St John, London, Henry Harris, Racine, London, Shaun Hill, The Glasshouse, Worcester, Baba Hine, The Corse Lawn Hotel, Mark Hix, Chef/Director, Caprice Restaurants, London, Ken Hom, Simon Hopkinson, Nigel Howarth, Northcote Manor, Lancashire, Tom Kitchin, Kitchin’s, Leith, Scotland, Jeremy Lee, The Blueprint Café, London, Rowley Leigh, Le Café Anglais, London, Bruce Poole, Chez Bruce, London, Joel Robuchon, L’Atelier du Robuchon, Michael Romano, Union Square Cafe, New York, Rick Stein, The Seafood Restaurant, Padstow, Alice Waters, Chez Panisse, California.

(via Franco London)

Ohne Berlin fahren wir nach Holland

71456879_0c16840a83.jpgKlingt schon ziemlich hart, was der Enterpreneur den niederländischen Gastronomen so alles vorwirft:

Almost all Dutch meals consisted of soggy fish, overcooked meat, boiled potatoes and bland cheese, often washed down with a glass of milk, or at best, cheap wine. A dour Protestant tradition seemed responsible.

Doch die molekulare Gastronomie konnte auch in diesem Land Fuß fassen: vor zwei Jahren konnte sich Sergio Herman, der sich nicht nur durch Heston Blumenthals kreativen Umgang mit klassischen Gerichten inspiriert fühlt, sondern auch unter Ferran Adrià gekocht hat, in die Riege der Dreisterneköche einreihen. In seinem Restaurant „Oud Sluis“ in dem niederländischen Nest Sluis werden molekulargastronomische Tapas gekocht, die so gar nicht zu dem oben erwähnten kulinarischen Quadrat aus glitschigem Fisch, zähem Fleisch, Salzkartoffeln und fadem Käse passen wollen:

Meals are a symphony of surprising tastes and mouthwatering sensations, plate after plate served tapas-style. There’s a sorbet of wasabi, sake, lemon and lemon zest. There’s crevette gris mixed with potato mouseline, tomato and lobster wrapped in mango; a muscadet granita served with a goose liver mousse; and a soy soup with rice noodles, fish and vegetables. Then blue-fin tuna served with Japanese lemon on a soy and tofu base.

Auch in diesem Restaurant findet man die typische Verbindung von lokalen Produkten wie die Zeeland-Auster („We use the best homegrown produce“) und der abwechslungsvollen, durchaus auch unterhaltungsorientierten, Darbietung dieses Ausgangsmaterials („Our chefs … skillfully play with various textures, different temperatures and surprising presentations“).

41hq5g2v1kl_aa240_.jpgUns gefällt an dem Artikel insbesondere der Versuch des Autors William Echikson, die Verbreitung der neuen Küche in Verbindung zu setzen mit der bisherigen länderspezifischen Gastronomie: Länder mit eher bescheidener gastronomischer Vergangenheit – bzw. Länder, die die nouvelle cuisine nur als Import erlebten – sind demnach ein fruchtbares Saatbeet für molekulargastronomische Entwicklungen. Heston Blumenthal in Großbritannien, Ferran Adrià in Spanien und Wylie Dufresne in den USA sind hier als Beispiele zu nennen. Aber diese Lust am Nachzeichnen historischer Entwicklungsbahnen hat Echikson bereits in seinem Rotweinbuch „Noble Rotbewiesen. Vielleicht bekommen wir doch noch bald eine brauchbare Geschichte der Nouvelle Cuisine?

(Abbildung: „Dessert: Chocolate & black olive cake, Granny Smith granite“ von ulterior epicure)

Was Köche sich für 2008 wünschen:Blog-Bashing und Trivialitäten

„What the Pros Want in 2008“ verrät uns der US-Restaurantführer Zagat.

Und da ist es wieder, das ‚zurück zu den einfachen Dingen‘-Lamento: „gebt den Menschen, was sie wirklich essen wollen: Hamburger!“ (steht da tatsächlich). Und natürlich sind alle Chefs so comletely fed up mit der Molekularküche und den ewigen Degustationsmenüs.

Liest man zwischen den Zeilen, so kann man zwei unterschiedliche Motive im Konservatismus der Köche erkennen:

1) die Sauren Trauben: Köche die sowieso nie etwas anderes machen, als immer das Gleiche fühlen sich durch Neurerungen bedroht.

2) Angst vor Schubladen: der ein wenig hilflose Versuch einer Richtigstellung von Adrià, Blumenthal und anderen Avantgard-Köchen, durch ein Manifest zu verhindern, dass sie in eine bestimmte Schule eingeordnet zu werden („Wir werden missverstanden …“).

Mit Sprüchen von wegen „es gibt keine Nouvelle Cuisine – nur gutes oder schlechtes Essen“ versuchen Köche seit vierzig Jahren die Kunst des Kochens als etwas Ahistorisches, irgenwie Selbstverständliches darzustellen, etwas, dass außerhalb des Diskurses steht, den Gesellschaft oder Kultur vorgeben. Da ist dann von ethnisch autentischer Küche die Rede – man mag fast ethnisch gesäubert lesen – im Gegensatz der bösen Fusion-Küche; aber wie bitteschön sind denn die Nudeln nach Europa gekommen, wenn nicht im Gepäck des Marco Polo? Wie die Kartoffel, die Tomate, der Kakao?

Die Furcht vor Öffentlichkeit („they ruin the mystery“) gipfelt in diesem Zitat:

„[Less] blogging by non-food professionals/experts: I’d rather see more accomplished food writers/critics who I respect reporting on food and dining. Let the professionals do their work. Blogging these days is often too influential in negative ways for chefs and restaurateurs.“ – Roland Passot, chef-owner, SF’s La Folie

Also: her mit dem Meisterzwang für Gastrojournalismus!

Adrià: "Ich höre nicht auf und El Bulli wird nicht geschlossen"

El PaisNein, Ferran Adrià wird El Bulli nicht aufgeben, aber in dem Interview in der heutigen El País erklärt er dennoch, dass er im nächsten Jahr die Öffnungszeiten noch etwas stärker einschränken will um mehr Zeit in der Küche verbringen zu können. Damit kommt er seinem Traum eines Restaurants, in dem nur noch gekocht und kaum mehr serviert wird, ein kleines Stückchen näher. Vor drei Jahren sagte er:

Mein Traum ist eigentlich ganz einfach: Ich will mit allem aufhören. Mit dem Restaurantbetrieb, den Verpflichtungen drum herum, mit all den Joint Ventures, den Beraterverträgen und auch mit den Interviews. Der Traum wird immer klarer. Mittlerweile habe ich mir sogar einen Termin gesetzt, zu dem ich ihn verwirklichen will: im Jahr 2008.

Das ausgehende Jahr 2007 war für den Koch wohl eines der ereignisreichsten bisher: die Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Barcelona (als erster Koch überhaupt), die Ehrenmedalle der Künste, die Würdigung seiner Küche als Kunstwerk durch die Documenta 12, die Mitwirkung an dem Film Ratatouille als Synchronsprecher, die Arbeit an der Alicia Foundation, einem Projekt zur Ernährungserziehung und dazu noch unzähliche Interviews, Vorträge und Events. Auch für das nächste Jahr können die Freunde von Blumenpapier und Co einiges erwarten: den Documentaband über Adrià von Vicente Todolí (Chef der Tate Modern in London) und Richard Hamilton (der Pop Art-Ikone) und außerdem einen Adrià-Film von David Puyol, der auf der nächsten Berlinale Premiere haben wird.

Adrià selbst wird sich ein wenig rar machen und dort stehen, wo er hingehört: an den Töpfen, Tiegeln und Reagenzgläsern. Das Schlimmste wäre schließlich ein Ferran Adrià, über den die Leute später sagen werden: er hat sich wiederholt:

„No quiero entrar al trapo cuando la gente dice que hay saturación de Adrià. Nunca me quejo, porque abrirse a cosas nuevas siempre cuesta“.

“But why knot it at all?”

Wieder erfreut uns das US-Magazin Discover mit einer Glosse zum Molekularküchen-Hype. Zunächst haben es speziell die Pizza-Kiesel von Wylie Dufresne haben es dem Autor Bruno Maddox angetan:

You could literally taste all of it: the pizza, the decor, the classic surfeit of oregano, even the jaded, fat dexterity of the staff—all in a small, brown pellet with a soft, futuristic texture. Quite remarkable.

Als dann die Geknotete Foi Gras serviert wird, fragt seine Begleiterin dann aber frank und frei den Kellner, der wortreich die Schwierigkeiten des Leberwurst-Verknotens beschreibt:

“But why knot it at all?”

Einen wesentlichen Schub erfährt der Hype ebenso wie das Molekular-Bashing in den USA gerade durch die sehr erfolgreiche Reality-Serie Top Chef, die aktuell auf dem zum NBC-Netz gehörenden Kabel-Sender Bravo TV zu sehen ist.

Moderiert von Padma Lakshmi (Botschafterin für den UN-Frauenentwicklungsfond und nebenbei Ex-Frau von Salman Rushdi) sehen wir in Person von Chef Marcel Vigneron die Karrikatur von Avantgard-Küche als klassischen Antagonist der Serie. Vigneron hat nicht umsonst Werbung für Hair-Styling-Produkte auf seiner Biografieseite. Schon seine Frisur weist ihn als Geschöpf der KulturUnterhaltungsindustrie aus. Und was kocht Chef Vigneron: er kocht ganz normale, bürgerliche Fleischtöpfe, die er dann mit Schaum molekular aufhübscht. Die anderen Gäste der Show nennen ihn daher auch Foam-Boy.

Das Prinzip des Advocatus Diaboli, den man in einer TV-Show in den Ring schickt ist ein klassisches Stilmittel der Propaganda und verfehlt auch in diesem Fall nicht seine Wirkung: Es kommt zu einer dramatischen Eskalation in diesem provozierten Glaubenskampf um die neue Küche, als ein aufgebrachter Zuschauer Chef Vigneron mit einer Flasche tätlich angriff und verletzte.

Zu Gast bei Denis Feix

Wir hatten bereits an dieser Stelle über Denis Feix, den Aufsteiger des Jahres geschrieben. Nun haben sich die Blogkollegen von dinnerscout aufgemacht und sein Restaurant Il Gardino im Bad Griesbacher Columbia Hotel getestet und einige (leider etwas blaustichige) Fotos von den Speisen – von der Auster in Espuma und der Blutwurst im Krustenmantel bis zur Gänsestopfleber – gepostet.