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Einführung in die Hydrokolloidküche

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Einmal mehr zeigt Thomas Vilgis in seinem Aufsatz „Hydrokolloide – zwischen Avantgardeküche und Einsteins Physik“ (Mitteilungen des Internationalen Arbeitskreises für Kulturforschung des Essens, 2007, Heft 15:2-13), dass man über Lebensmittelzusatzstoffe wie Xanthan, Carrageene und Agar-Agar auch ganz anders schreiben kann als in dem üblichen Zurück-zur-einfachen-Küche-Tonfall. Im Kern geht es dabei um die Frage, welche physikalisch-chemischen Erklärungsmöglichkeiten es für medizinisch relevante Eigenschaften der Geliermittel gibt. Zugleich lässt sich dieser Aufsatz aber auch als anschauliche und gut lesbare Einführung in einen Teilbereich der Hydrokolloidphysik lesen. Basisvokabeln wie „Hyperverzweigung“, „Scherkraft“ oder „Entquellung“ werden auf eine auch für Nicht-Fachleute verständlich erklärt. Und natürlich lässt sich der passionierte Hobbykoch die Gelegenheit nicht entgehen, auch hin und wieder auf die molekulare Avantgardeküche einzugehen.

Doch nun zu den wichtigsten Ergebnissen des Aufsatzes, bzw. zur Aufklärung über Gesundheitsgefährdungen durch die neuen (und alten) Texturgeber:

  • Stärke ist zwar ein klassischer Texturgeber, ist aber zum einen aufgrund der komplexen Verdickungsmechanismen – dabei spielen Amylose, Amylopektin sowie Proteine eine Rolle – sowie aufgrund des Energiegehalts nicht als neutrales mouthfeel-Werkzeug geeignet. Ganz zu schweigen von der „Mehlnote„, die oftmals auftritt.
  • Cellulose ist zwar energieneutral, da sie die menschliche Verdauung unverändert durchläuft, aber sie lässt sich nicht für die Texturveränderung einsetzen.
  • Xanthan hat demgegenüber als „scherkraftabhängiger Texturgeber“ deutliche Vorteile: auch bei Hitze bleiben Gels auf Xanthanbasis stabil, werden jedoch bei Druckausübung (z.B. durch Zunge und Gaumen) flüssig. Darüber hinaus ist Xanthan vollständig unverdaulich und pH-unabhängig, so dass auch keine abführenden Aufquelleffekte zu befürchten sind.
  • Carrageene schmelzen ebenfalls unter Druck, sind allerdings aufgrund ihrer molekularen Struktur (den negativen Ladungen entlang der Molekülketten) pH-empfindlich und quellen im Darm auf – Carrageenprodukte können also eine abführende Wirkung haben. Außerdem können sich kurzkettigen Carrageene an biologische Oberflächen anlagern und möglicherweise die Zellstrukturen pathologisch verändern.
  • Agar-Agar ist zwar pH-unempfindlich, da die hochgequollenen Gelstücke aus Agarose nicht verändert werden können, ist auch hier eine abführende Wirkung möglich.
  • Alginate, die Mittel der Wahl für „Geschmacksexplosionen“ in verkapselter Form, haben dagegen den Nachteil, dass sie in der Magen-Darm-Passage essentielle Mineralstoffe einlagern können und – da sie selbst unverdaulich sind – aus dem Körper entfernen. Bei Mangelerscheinungen oder Kleinkindern kann das gefährlich werden.
  • Gelatine, „der tierische Klassiker“, ist eigentlich kein Lebensmittelzusatzstoff, sondern ein Lebensmittel. Im Unterschied zu Alginaten können Gelatinen von Verdauungsenzymen aufgespalten und dem Nahrstoffkreislauf zugeführt werden.

(Foto: „Carageenan“ von Lana aka BADGRL)

Rene Redzepi: nordisk gourmetkøkken statt nueva nouvelle cuisine

noma.jpgWas der Tagesspiegel unter dem Titel „Die Gewürze des Nordens“ schreibt, klingt so, als könne man nur noch dann als Spitzenkoch vor den Kritikern des Guide Michelin bestehen, wenn man sich ausdrücklich von der Molekulargastronomie distanziert. Der Anlass ist die Auszeichnung von Rene Redzepi, der in Kopenhagen das Restaurant „Noma“ führt, mit zwei der begehrten Sterne:

Redzepi hat bei zwei Giganten der Küche gelernt, bei Ferran Adria in Katalanien und bei Thomas Keller in Kalifornien, doch er ist so schlau, nichts von diesen höchst gegensätzlichen Chefs direkt zu übernehmen. Das heißt speziell, dass er kaum Anleihen bei Adrias avantgardistischer Küche der Dekonstruktion macht, sondern auf bester handwerklicher Basis einen eigenen Weg geht.

Da sind wir doch gespannt, wie denn diese undekonstruktivistische Küche so aussieht, die ihm metaphorischen Terrain des Handwerks zu Hause ist und nicht in der kalten, sterilen Welt der experimentellen Wissenschaft, wie sie Adriàs „Taller“ sicher für den Tagesspiegelautor Bernd Matthies verkörpern dürfte. Liest man aber die im folgenden Absatz vorgestellten Gerichte, so könnte man sich doch die Frage stellen, was hier denn so ganz anders aussieht, beziehungsweise, was ein handwerklich hergestelltes „intensiv nach Austern schmeckendes Gelee“ von einem auf auf wissenschaftlicher Grundlage entworfenen „intensiv nach Austern schmeckenden Gelee“ unterscheiden soll. Oder wie Matthies dazu kommt, in Redzepis „Samsø-Kartoffeln ‚in Texturen'“ den eigenen Weg sieht, der so gar nichts mit der Avantgardeküche zu tun hat?

Der Fehler scheint mal wieder darin zu liegen, dass die Bedeutung der molekularen Gastronomie bzw. der nueva nouvelle cuisine als Paradigmenwechsel des Kochens zu Anfang des 21. Jahrhunderts übersehen wird. Es geht nicht um substanzlose Aha-Effekte auf speziell dafür entworfenen Degustationstellern, sondern um eine neue Hermeneutik des Geschmacks und die experimentelle Freude daran, konzentrierten Geschmacksideen mit neuen, zum Teil aus der Lebensmittelchemie stammenden Methoden näher zu kommen. Für mich liegen die Samsø-Kartoffeln genau auf dieser Linie. Und sagt Redzepi nicht selbst im gemeinsam mit Claus Meyer verfassten Manifest für eine neue nordische Küche: „The flavor shouldn’t hit you in the face—you have to taste the food and find the flavors yourself.“

(via GourmetReport, Abbildung „NOMA appetizers“ von trixieskips)

Wer ist's gewesen? Auf der Suche nach Heston Blumenthals Geliermittel

christmas_screen.pngIn der spektakulären Weihnachtsfolge von Heston Blumenthals „In Search of Perfection“ („Just like Narnia!“, „Oh, this is so christmassy“) kommt ganz am Anfang ein Apéritif vor, dessen eine Hälfte kalt und die andere heiß ist. Leider verrät der Dreisternekoch nicht, wie er diesen Trick bewerkstelligt hat. Zumindest nicht im Fernsehen, denn im Guardian war Blumenthal nicht so zurückhaltend, sondern widmete dem Phänomen 2005 eine ganze Spalte. Das Geheimnis liegt darin, dass es sich bei dem Getränk gar nicht um eine Flüssigkeit handelt, sondern um ein Gel, das beim Trinken das Mundgefühl einer Flüssigkeit annimmt:

If you use just the right amount of gelling agent and get the set just right, you end up with a liquid like a syrup that isn’t really a liquid at all but rather a jelly that’s been broken down into millions of little pieces. We gently warm some of it and leave the rest cold. We put a divider down the middle of a glass and fill one side with the hot gel and the other with cold. Then lift up the divider and, hey presto, you have what looks like a glass filled with a single liquid.

Zum Glück erwähnt Blumenthal an dieser Stelle nicht, um welches Geliermittel es sich handelt. Denn auf diese Weise haben wir die Gelegenheit, selbst experimentell aktiv zu werden. Vielleicht können auch die Leser mithelfen auf der Suche nach einem Geliermittel, das

  • sich im Mund wie eine Flüssigkeit anfühlt,
  • dabei jedoch so stabil ist, sich im Glas nicht allzu schnell zu vermischen
  • und schließlich hitzestabil genug, um die gewünschte Temperaturdifferenz herzustellen.

Also: Welches Gel erfüllt diese Bedingungen?

Molekular essen in Singapur

aurum.pngAuch die Bewohner und Besucher der Löwenstadt müssen nicht auf ihre Schäume, Lüfte und Gels verzichten, denn in der River Valley Road (Edward Voon, beraten von Paco Roncero vom Casino de Madrid) gibt es das Aurum, das sich der molekularen Gastronomie verschrieben hat. Wenn das Essen nur halb so opulent ist wie die Homepage des Restaurants (siehe Screenshot), sollte man sich die Adresse schon einmal notieren. @llie hat es schon einmal ausprobiert und war begeistert:

I was intrigued by the „caviar“ which is made up of pearls of refreshing lychee flavoured gels [my favourite]! And a syringe was used as a prop for my soup. I had to pump this thick liquid into my soup and the moment the liquid from the syringe touches the hot soup, it turns into sobe. Tada!!!