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Adrià in Berlin: Kulinaristik und das Erhabene

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Über den kulinarischen Schwerpunkt der diesjährigen Berlinale berichtet Arnold Hohmann für das WAZ-Portal „Der Westen“. Er zitiert Ferran Adrià, der in einer – wie zu erwarten war – nicht besonders kontroversen Diskussion mit dem Slow Food-Gründer Carlo Petrini unter anderem auf die Notwendigkeit eines Wandels im Essverhalten der Leute hinwies: „Wir dürfen nicht immer so unbeteiligt essen, als ob wir im Flughafen säßen“ oder „Wir müssen wieder lernen, uns beim Essen auf das Essen zu konzentrieren“. Das ergibt Sinn, wenn man es in Richtung der gustatorisch wie kognitiv anspruchsvollen Post-1993er elBulli-Küche denkt (siehe dazu auch die schöne Zusammenfassung in diesem pdf-Dokument „The Story of elBulli“). Vor dem Hintergrund von Adriàs Beteiligung an der Fastfoodunternehmung „Fast Good“ klingt das eher seltsam. Auch wenn man dort mit guten Zutaten hantiert und Produkte kreiert, die im Gegensatz zu McDonalds und Burger King etwas mehr wagen als eine geschmackliche Regression auf kulinarische Mittelwerte – das Ziel, mit allen Sinnen einschließlich der Vernunft zu essen, wird wohl auf diese Weise eher nicht erreicht.

Während es also Petrini und der Slow Food-Bewegung darum geht, das Produkt auf dem kürzesten Weg vom Bauern zum Teller zu bringen, sucht die elBulli-Philosophie eher nach dem kürzesten Weg vom Teller zum Gehirn. Im Westen-Artikel heißt das dann wird das dann zweideutig „Suche nach neuen Sensationen auf der Zunge“ genannt und drückt genau die zwiespältige Rezeption der Molekularküche (ein Begriff, den Adrià selbst fast nie für seine Art des Kochens verwendet) aus: auf der einen Seite die Sensation im Sinne der Wahrnehmungspsychologie (nach Campe „sinnliche Empfindung und Gefühl“). Auf der anderen Seite Sensation als Spektakel im Debordschen Sinne, als bloßer Wow-Effekt, der sich vor die notwendige gastrosophische Erkenntnis setzt und sie verbirgt anstatt sie zu befördern.

Immer mehr wird mir deutlich, wie wichtig Adriàs Küche für die Beförderung des Nachdenkens über Essen und Geschmack wird. Bislang stellte sich das nämlich als fast schon vulgärdialektisches Gegensatzpaar aus dem unreflektierten „Leckerismus“ auf der einen und einer philosophisch gut begründbaren Abneigung des guten Geschmacks als bürgerliche Ideologie. So finden sich etwa bei Adorno immer wieder Attacken gegen die kulinarische Passivität:

Vor allem aber, Musik ist insofern untilgbar geistig, als auch auf ihrer niedrigsten Stufe das sinnliche Element nicht derart buchstäblich sich genießen läßt wie eine Kalbshaxe. Gerade wo sie kulinarisch serviert wird, ist sie von vornherein ideologisch versetzt (Dissonanzen. Einleitung in die Musiksoziologie, IV. Klassen und Schichten).

Oder in seiner ästhetischen Theorie: „Ästhetik, die nicht in der Perspektive auf Wahrheit sich bewegt, erschlafft vor ihrer Aufgabe; meist ist sie kulinarisch.“ Adriàs Kochkunst ist paradoxerweise gleichzeitig ein Michelin-zertifizierter kulinarischer Hochgenuss wie auch ein unkulinarischer Umgang mit dem breiten Repertoire aus (zumeist lokal katalanischen – allein die häufige Verwendung von Meerwasser aus der Montjoi-Bucht!) Zutaten und Zubereitungstechniken. Und ist Adriàs Küche, die schon Anfang der 1990er Jahre mit ungewöhnlichen Geschmackskombinationen spielt („Blanchiertes Knochenmark mit Kaviar“) und seit Mitte der 1990er dies noch durch ein dekonstruktivistisches Formenspiel radikalisiert, nicht allzu ähnlich der Lyotardschen Verweigerung der viel zu traditionell gebliebenen Formen des
Schillerschen Erhabenen?

Auch der zweite Abend mit Ferran Adrià, an dem David Pujols „El Bulli – Història d’un somni“ sowie Anthony Bourdains „Decoding Adrià“ gezeigt wurde, ist diesem Bericht nach ein echtes Erlebnis gewesen. Adrià hatte dort die Gelegenheit, seine Molekularküche (mich würde interessieren, ob er sein Vorgehen in Berlin so bezeichnet hat oder nicht) zu erklären und darauf hin eine der Grundfragen des wissenschaftlichen Kochens zu formulieren, die für Ullrich Fichtner sicher der ultimative Beleg für Irrsinn wäre, nämlich „warum man beim Frühstück zuerst den Kaffee trinkt und dann das Ei ißt und beim Mittagessen zuerst das Ei ißt und dann den Kaffee trinkt“.

(Abbildung Cala Montjoi von Marc Bernet)

Slow Food

Prometheus bringt den Menschen das Feuer

Rückeroberung der Küche

– Natur/Kultur Teil 3-
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„Ich möchte die Geschichte einer Speise kennen. Ich möchte wissen, woher die Nahrung kommt. Ich stelle mir gerne die Hände derer vor, die das, was ich esse, angebaut, verarbeitet und gekocht haben.“
Carlo Petrini, „Buono, pulito e giusto“

Die Industriegesellschaft hat zuerst die Maschine erfunden und nach ihr das Leben modelliert. Mechanische Geschwindigkeit und rasende Beschleunigung werden zur Fessel des Lebens. […] der Homo sapiens muss sich von einer ihn vernichtenden Beschleunigung befreien und zu einer ihm gemäßen Lebensführung zurückkehren. Es geht darum, das Geruhsame, Sinnliche gegen die universelle Bedrohung durch das „Fast Life“ zu verteidigen. Gegen diejenigen – sie sind noch die schweigende Mehrheit -, die die Effizienz mit Hektik verwechseln, setzen wir den Bazillus des Genusses und der Gemütlichkeit, was sich in einer geruhsamen und ausgedehnten Lebensfreude manifestiert.
Slowfood Manifest

Was macht Slow Food aus? Als langjähriger begeisterter Leser des Slow Food Magazin muss ich feststellen: Slow Food dreht sich weniger ums langsame Essen, als vielmehr ums langsame, d. h. sorgfältige Zubereiten! Das Zitat von SF-Gründer Petrini weist uns genau den Weg: es geht darum, die Kontrolle über unser Essen zu behalten, uns nicht beherrschen zu lassen.

Genau hier leistet die Molekulare Küche einen wertvollen Beitrag. Wir lernen, wie wir Speisen dekonstruieren, Techniken analysieren und, wenn sie uns ins Rezept passen – selbst anwenden können. Slower als hier kann man ein Steak wohl kaum braten …

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Schnecke trifft Espuma

berlinale.pngOkay, der Tagesspiegel vermeldet: Adrià wird also nicht auf der Berlinale kochen – das war nach dem Documenta-Rückzug auch nicht zu erwarten. Die Diskussion mit Carlo Petrini, dem Slow Food-Gründer, am 11. Februar um 19:00 dürfte jedoch interessant werden. Vielleicht merken dann die Zurück-zur-Natur-Kulinaristen, dass beide Richtungen gar nicht so weit von einander entfernt sind. Im Flyer zum Kulinarischen Kino heißt es nämlich:

„In der Welt der Haute Cuisine können wir manchmal die Realität nicht sehen“, sagt Ferran Adrià. Doch Carlo Petrini hat ihm die
Augen geöffnet und aus ihm einen Slow Food Anhänger gemacht. Beide kämpfen für die kleine Landwirtschaft, für Jugendprojekte
und für gesunde Ernährung.

Wobei sich allerdings die verwendeten Sprachspiele deutlich unterscheiden und ich zugeben muss, dass mir die selbstironische Alchemistensprache eines Adrià deutlich sympathischer ist als das neoviktorianische Elitesprech à la „Convivium“ und „Arche„.

Lebensmittel sind auch Kommunikationsmittel

… also Medien, wie man das normalsprachlich nennt. Ein viel zu selten beachteter Aspekt des Kochens und Essens! Dieter Kosslik, der Leiter der Berlinale kündigt mit diesem Postulat die zweite Runde des „Kulinarischen Kinos“ auf dem internationalen Filmfest an. Vom 15. bis 18.2.2008 werden wie schon im letzten Jahr kulinarische Themen im Film mit realweltlicher Gastronomie verbunden.

Der Höhepunkt gibt gleich als Auftakt: Im Anschluss an Buñuels Diskreten Charme der Bourgeoisie diskutieren Carlo Petrini, Gründer von Slow Food und Ferran Adrià über das Essen der Zukunft – unter Moderation von Zeit-Chef Giovanni di Lorenzo.
Zu Essen gibt es Seeteufel, zubereitet von Bobby Bräuer (Quadriga, 17 Mützen im Gault Millau).

„Der Mensch sollte sich auf die Anfänge seiner Klugheit besinnen und die liegen auf der Zunge. Homo Sapiens heißt nicht nur der weise, sondern auch der schmeckende Mensch.“ Thomas Struck, Leiter des Kulinarischen Kinos

Das sehen wir auch so.