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Goji, Joselito und Cubeben – die Welt über neue Foodtrends

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Eine recht lesenswerte Bestandaufnahme der jüngsten Trendlebensmittel hat Robert Lücke für die Welt am Sonntag verfasst. Darin findet sich neben vielen exotischen Namen wie Goji-Beere (Gemeiner Bocksdorn), Queller (eine der wenigen Pflanzen, die intensiv nach Salz schmecken), Eisperlensalat (Eiskraut), Vogelmiere, Mangostan, Pomelo, Arganöl, Joselito-Schinken (nicht erst seit dem prominenten Auftritt in Bourdains Film „Decoding Adrià“ unter Verdacht, der beste Schinken der Welt zu sein, außerdem bekannt als Begleiter zu Blumenthals Schneckenporridge), Maränenkaviar, Malabar-, Telicherry- und Cubebenpfeffer natürlich auch ein Verweis auf die molekulare Küche, die als nicht besonders originell dargestellt wird:

Es ist beim Essen ja nicht viel anders als in der Mode. Fast alles war schon mal da und kommt nur in neuem Gewand wieder. Vieles ist so überflüssig wie Handtaschen aus Hühnerbeinleder, anderes wird überschätzt, etwa die sogenannte Molekularküche, deren Techniken in der Lebensmittelindustrie teilweise seit Jahrzehnten gebräuchlich sind, was auch einer deren Urväter, Ferran Adrià, immer wieder betont, aber kaum jemand registriert.

Das ist zwar nicht falsch, aber ebenso oft hat Ferran Adrià betont, dass die Lebensmittelchemie und -wissenschaft bislang fast nie auf die Gastronomen zugegangen ist. Beide Diskurse sind bis in die jüngste Vergangenheit parallel gelaufen, ohne dass die vielfältigen Berührungespunkte erkannt und diskutiert wurden. Diese Brücke ist erst mit den Seminaren von Nicolas Kurti entstanden. Außerdem: auch wenn Hydrokolloide in der Lebensmittelindustrie schon lange Zeit in Standardverfahren Eingang gefunden haben – die Anwendung in der Haute Cuisine ist Neuland, was man auch immer wieder an den fast schon paranoiden Abwehrreaktionen des kulinarischen Konservatismus erkennen kann.

(Abbildung „Questionable Goji Berries?“ von worldmegan, CC-Lizenz)

Sous-vide für alle!

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Bislang waren meine Experimente mit dem sous-vide-Garen, also dem langsamen Garen von vakuumverpackten Fleisch und Fisch bei niedrigen Temperaturen, nicht richtig befriedigend. Vor allem die Schwierigkeit, mit einem Elektroherd und einem offenen Kochtopf die richtige Temperatur über eine längere Zeit konstant zu halten, hält mich davon ab, mich mit diesem Thema ernsthaft auseinanderzusetzen.

Doch jetzt gibt es möglicherweise eine Lösung: Im Blog von chadzilla ist von einem Thermostat namens „Sous Vide Magic“ zu lesen, mit dessen Hilfe man einen gewöhnlichen Reiskocher in ein Wasserbad verwandeln kann, dessen Temperatur auf ein Grad Celsius genau geregelt werden kann. Und das für einen Preis von gerade einmal 200 US-Dollar.

Ein paar Anweisungen für das richtige sous-vide-Garen findet man zum Beispiel in diesem Wired-Feature über den ehemaligen Microsoft-CTO Nathan Myhrvold, der durch seine Beiträge im eGullet-Forum mittlerweile zum geheimen sous-vide-Guru der Foodhacker avanciert ist. Mir gefällt es immer, wenn man Dinge so knapp formulieren kann wie:

Cook short ribs forever.

Übrigens: im Oktober 2008 erscheint im Matthaes-Verlag das Buch „Sous-Vide: Garen im Vakuum“ von Viktor Stampfer (Küchenchef des The Ritz-Carlton in Dubai).

Salz der Erde – Salz des Meeres

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Paula Wolfert zitiert in ihrem Standardkochbuch zur Südwestfranzösischen Küche des Gaskonischen Koch Maurice Coscuella mit folgenden Worten:

„Have you noticed there are some salts that don’t actually salt?“ He went on to explain that some salts are much saltier than others, some are merely salty, and others have a real flavor.

Dennoch: immer wieder ignoriert man diese Vielfalt in vielen Rezepten, in denen nur die Rede von „einer Messerspitze Salz“ ist oder nur die Anweisung zu lesen ist, das Gericht „zu salzen“. So kann man zum Würzen eines Gigot à la Bordelaise entweder ein jodiertes Speisesalz verwenden, das mit einer Art Wasserstaubsauger aus den Bergwerken gespült wird, oder aber ein zartrosa fleur de sel von der Ile de Ré oder aus der Guérande, eine hauchdünne oberflächlichen Kruste, die vorsichtig von den Salzbetten am Meer abgekämmt wird, bevor sie sich mit dem gewöhnlichen sel gris vermischen kann.

Zum einen unterscheiden sich Form und Textur der beiden: das eine Salz besteht aus relativ regelmäßigen kubischen Kristallen und knirscht beim Zerkauen auf den Zähnen, während das andere zwar knusprig ist, aber förmlich auf der Zunge schmilzt. Zum anderen kann man auch Geschmacksunterschiede erkennen: dem oft etwas stechend-salzigen Aroma des Speisesalzes steht ein leicht algig-meeriger Geschmack der Salzblume gegenüber. Man vermutet, dass im fleur de sel Spuren von Fetten und Algenaromastoffen enthalten sind, die durch den natürlichen Trocknungsprozess in das Salz gelangen. McGee schreibt dazu:

This is possible, since the interface between water and air is where aroma molecules and other fatty materials would concentrate; but to date the aroma of sea salts has not been much studied.

Salz ist also nicht gleich Salz.

Tatsächlich gibt es nur wenige wissenschaftliche Artikel, die sich mit diesem Stoff auseinandersetzen – eine verschwindende Zahl, wenn man sie zum Beispiel mit der Fachliteratur zu Parmesan oder Balsamico vergleicht. Das ist auch deshalb erstaunlich, weil einer unserer 5+x Geschmackssinne extra auf diesen Stoff spezialisiert ist, einen Stoff, der in anderen Lebensmitteln wie Früchten oder Fleisch nicht nennenswert vorkommt. Wäre nicht die Fähigkeit, zwischen Salzwasser und Trinkwasser zu diskriminieren, überlebenswichtig für die Spezies, dann könnte man hier fast an ein intelligent design glauben, das den Menschen perfekt dafür ausstatten, mit der Hilfe von Salz seine Nahrungsmittel in Genussmittel zu transformieren.

Pastarosen alla Romagnola

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Camp zum Essen – so in etwa könnte man diese „Roselline di Pasta alla Romagnola“ bezeichnen, ein Rezept, das Marcella Hazan durch ihre Assistentin Margherita Simili kennenlernen durfte.

Echte Rosen haben in der Küche der Apenninhalbinsel eine lange Tradition. So erwähnt Apicius ein Rosengericht, bei dem allerdings nicht die Form der gefüllten Blüte im Mittelpunkt stand, sondern der Geschmack: die Blüten wurden zermahlen und mit Fischbrühe versetzt durch ein Sieb gepresst. Diese Sauce reichte man dann zum Beispiel zu Hirn, Eiern oder zu einem Rosenkompott (minutal ex rosis). Auch im Rosenwein (rosatum) ist die Form der Rose nicht mehr zu erkennen, sondern nur ihre Aromastoffe (vor allem das Terpen Geraniol) werden auf den Wein übertragen. Plinius berichtet in seiner Naturalis Historia (Buch 21: „Natur der Blumen und Kranzgewächse“) zudem von eingelegten Rosen, die dann im Ganzen verzehrt wurden.

Hier die Anleitung zur Migration der Rosenform auf das Pasta-Terrain:

Zutaten

  • 1 Ei
  • 100g Mehl
  • Butter
  • Tomatenmark
  • 200ml Sahne
  • Muskatnuss
  • 700g Kochschinken in dünnen Scheiben
  • 450g Fontinakäse oder anderer Schnittkäse in dünnen Scheiben
  • Parmesan

Zubereitung

  1. Mehl und Ei zu einem seidig-glatten Nudelteig verkneten und mit der Pastamaschine dünn ausrollen (Stufe 8). Die Ränder der Teigplatten abschneiden und zu 25cm langen Rechtecken zuschneiden.
  2. Wasser in einem Topf zum Kochen bringen, salzen und die Teigplatten kurz kochen. Dann gleich wieder aus dem Wasser nehmen, in eine Schüssel mit kaltem Wasser legen. Dann die Teigplatten kurz unter kaltem Wasser abspülen, leicht auswringen und auf einem Küchenhandtuch zum Trocknen auslegen.
  3. Etwas Butter mit der Sahne in einem kleinen Topf bei mittlerer Hitze so lange erhitzen bis die Sahne etwas reduziert ist. Dann einen Esslöffel Tomatenmark einrühren und eine Messerspitze Muskatnuss dazugeben. Kochen bis das Tomatenmark sich ganz auflöst und die Sauce leicht sämig wird. Den Boden einer mittelgroßen Auflaufform mit etwas Sauce benetzen. Den Rest der Sauce aufheben.
  4. Ofen auf 220°C vorheizen.
  5. Die Nudelscheiben belegen mit dem Kochschinken und dem Käse. Dann die Nudeln zusammenrollen und mit einem scharfen Messer in gut 2cm breite Röllchen zerschneiden. Auf einer Seite kreuzweise einschneiden und die entstandene Rose leicht aufblättern. Die Rosen in die Form setzen, mit der restlichen Sauce einpinseln und etwas geriebenem Parmesan bestreuen. Eine Viertelstunde ganz oben im Ofen backen bis eine leichte Kruste auf den Rosen entsteht.

Thunfischsashimi nach Art der Costa Brava

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Ich gebe zu, besonders originell ist die Verbindung von Fisch und Kaviar nicht. Aber schön ist der Gedanke schon, in den aromatischen Übereinstimmungen zwischen dem ausgewachsenen Tier und seinen Eiern so etwas wie die Wurzel des Fischgeschmacks zu suchen, eine Konstante, die das gesamte Leben der Fische prägt.

Tatsächlich findet man auch zahlreiche aromatische Verbindungen, die sowohl den Kaviar als auch den Fisch auszeichnen:

  • Zunächst das Trimethylamin (N,N-dimethylmethanamine), ein farbloses, brennbares Gas, das schon in geringer Konzentration seinen charakteristischen fischigen, öligen, ranzigen, fruchtigen Geruch entfaltet. Auch eine leichte Schweißnote kann man darin wahrnehmen. In höheren Konzentrationen, um die wir uns hier nicht kümmern müssen, erinnert TMA eher an einen stechenden Ammoniakgeruch. Künstlich lässt sich dieser Stoff aus Methanol und Ammoniak produzieren, natürlich kommt es nicht nur in Fisch und Kaviar vor und ist der charakteristische Indikator für Fisch, der nicht mehr allzu frisch ist („Heringslake“), sondern in Käse, Kakao, Kaffee, Whiskey und Bier. Aber auch in Bucheckern findet man diesen Stoff sowie im Vaginalsekret und dem männlichen Ejakulat.
  • Auch zwischen dem nächsten Geruchsstoff, Undecanal, und der menschlichen Fortpflanzung findet man einen Zusammenhang: dieses Aldehyd blockiert nämlich die Geruchsrezeptoren und damit Fähigkeit der männlichen Keimzellen, die Eizelle zu finden. Dieser Stoff lässt sich vielleicht irgendwann einmal als geruchliches Empfängnisverhütungsmittel einsetzen. Die Verbindung riecht stark aldehydisch. Man könnte die Note als wachsig, seifig, blumig, zitronig, grün, fettig bezeichnen – in etwas so wie in einer Waschküche, in der gerade die frische Wäsche aus der Maschine geholt wurde. Dieses Molekül ist Teil des Buketts zahlreicher Früchte von der Banane über die Mandarine bis zu Nüssen.
  • Außerdem findet man in Fisch und Kaviar auch viele grüne Geruchsnoten, so zum Beispiel 2,4-Octadien-1-al ((2E,4E)-octa-2,4-dienal), das grün, fruchtig, melonig, zitronig, aber auch leicht fettig schmeckt und geruchlich auch an Birnen erinnert. Außerdem (E)-2-Nonen-1-al ((E)-non-2-enal), das neben der grünen Note auch etwas von Gurken und Melonen hat, sowie eine leichte fettig-aldehydische Begleitnote. Soja und Erdnuss sind zwei weitere Lebensmittel, in denen dieser Stoff vorkommt. Auch (E,E)-2,4-Hexadien-1-al ((2E,4E)-hexa-2,4-dienal) hat diesen grünen Geruch, riecht aber süßlicher, würziger, blumiger trotz ähnlicher wachsig-aldehydiger Noten. Diese beiden Stoffe sind auch im Bukett der Erdnuss zu entdecken.
  • Auch fettige Geruchsstoffe verbinden Fisch und Kaviar. Beispiele dafür sind 2-Decenal ((E)-dec-2-enal), einem Molekül, das eine starke wachsig-orangige Note auszeichnet und unter anderem auch in Sojabohnen zu finden ist, die in unserem Gericht ebenfalls eine Rolle spielen werden. Ebenfalls fettig riecht und schmeckt 2,4-Decadien-1-al ((2E,4E)-deca-2,4-dienal), das nicht nur fettig, sondern auch etwas ölig, gebraten, ranzig nach Huhn riecht. Auch diese Verbindung kann man in der Sojabohne und außerdem im Erdnussöl entdecken.
  • Ein weiterer Bestandteil ist Valeraldehyd (Pentanal), eine Verbindung die stark riecht und einen fermentierten Geruch besitzt, der holzig, vanillig, fruchtig oder nussig wirkt. Geschmacklich erinnert Undecanal an Wein, Brot, Kakao und Schokolade. Der Stoff findet sich in sehr vielen Lebensmitteln vom Apfel über Eukalyptus bis zur Walnuss. Auch in Erdnüssen und in der Sojabohne findet man diesen aromatischen Stoff.
  • Die letzte Verbindung, die ich gefunden habe, ist Butanal oder Butyraldehyd, ein Stoff, der in hohen Konzentrationen sehr stechend riecht, in geringeren Mengen aber ein sehr wichtiger Grundstoff für die Herstellung von Riechstoffen darstellt. Dieser Stoff verströmt einen intensiven Schokoladengeruch und hat eine stechende Note von Kakao, Moder, Malz, Brot und Grün. Man findet die Verbindung auch in vielen Gewürzpflanzen wie Salbei, Bergamotte, Hopfen und Eukalyptus. Auch in der Sojabohne kommt dieses Aroma vor.

Damit dürfte klar sein, dass die Kombination von Fisch und Kaviar durch die vielen Übereinstimmungen gut funktionieren kann. So zum Beispiel in diesem einfachen erfrischenden Rezept für Thunfischsashimi mit Kaviar von Ferran Adrià.

Zutaten

  • 200g sehr frische Thunfischfilets, „Sushi-Qualität“
  • Sojasauce
  • Sesamöl
  • Kaviar, hier: Forellenrogen

Zubereitung

  1. Den Thunfisch in Würfel schneiden und 5 Minuten in der Soja-Sesammischung marinieren lassen. Dann aufspießen und den Kaviar auf die Thunfischstückchen kleben.

Das war’s auch schon, aber geschmacklich und von der Konsistenz her absolut überzeugend.

Blumenthal verkauft The Fat Duck – oder auch nicht

266992163_68f0e09838_m.jpgDieser Meldung zufolge hat Heston Blumenthal sein Dreisterne-Restaurant „The Fat Duck“ (das „angeblich beste Restaurant der Welt„) an Ronnie Lowenthal, den Stiefbruder seines Vaters, verkauft. Für das Restaurant selber dürfte das aber wenig Konsequenzen haben, da Blumenthal angekündigt hat, auch weiterhin dort zu kochen.

Schon vor ein paar Tagen ist Heston in den Nachrichten gewesen, als er mit Clive Dixon einen Sternekoch für sein zweites Restaurant, den „Hind’s Head Pub„, ebenfalls in Bray, eingestellt hat.

Lässt sich das in die Richtung interpretieren, dass Blumenthal sich nun etwas aus Bray zurückzieht und verstärkt seinem potentiellen neuen TV-Partner Channel 4 sowie den Expansionsplänen in die Hauptstadt widmen will?

UPDATE: Dieser Meldung zufolge hat Blumenthal sein Restaurant doch nicht verkauft. Lowenthal hat schon vor einem Jahr eine Beteiligung an der Fat Duck übernommen.

123 – fertig ist der Klippfischbrei

Wenn so jemand wie Marc, Molekularküchenleser der ersten Stunde, ein Stöckchen hierher wirft, dann lässt sich das kaum ignorieren. In diesem 123-Stöckchen geht es darum, einen zufälligen Blick darauf zu erhaschen, welches Buch gerade auf dem Schreibtisch, Couchtisch, Nachttisch etc. der betroffenen Person liegt:

„pick sentence 6-8 on page 123 of the nearest book, write them down and pass the game on to 5 other bloggers. …“

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In der Molekularküche liegt selbstverständlich ein Kochbuch in unmittelbarer Reichweite. Aktuell: Paula Wolferts herrliches „The Cooking of Southwest France“, das man schon allein des großartigen Rezepts für das Rotwein-Zwiebelkompott (Compote d’Oignon au Vin Rouge, S. 348) kaufen sollte. Einen Eindruck in die stilistische Geschliffenheit des Buches von Wolfert – übrigens die einzige Autorin, bei der man sich absolut sicher sein kann, dass sie, wenn es im Buch heißt: „90% der Köche in Südwestfrankreich entfernen den grünen Trieb des Knoblauchs“, tatsächlich 100 Köchinnen und Köche befragt hat – vermitteln die ersten beiden gewünschten Sätze 6-8 auf Seite 123:

Beat until smooth. Keep warm.

Das könnte der Anfang eines Songtextes einer New Yorker Postpunkband sein, ist aber der Höhepunkt des Rezeptes einer „Morue à la Rouergate“ (Püree aus Klippfisch, Kartoffeln und Walnussöl). Weiter geht es mit

Meanwhile, scald the remaining 3/4 cup milk in a small saucepan and heat the remaining walnut oil in a second saucepan.

Und dann ist der Aufstrich fast fertig und kann auf die Knoblauchtoasts gestrichen werden.

Jetzt bin ich aber gespannt, welche (Koch?)Bücher bei euch in der Nähe liegen und reiche das Stöckchen weiter an

Delias Schummelküche: beyond horrible!

cheat.jpgWas für ein herrliches Format! Der Guardian hat bemerkt, dass Delia Smiths Bestsellerkochbuch „How to Cheat at Cooking“ kontrovers diskutiert wird – Ausverkauf? Geschmacklosigkeit? Überfällig? – und lädt sich kurzerhand einen Chefkoch (Aldo Zilli) sowie eine handvoll Gastrosophen ein, um dem einmal empirisch nachzugehen. Die Aufgabe des Kochs lautet: Koche sechs der Gerichte nach. Und dann wird probiert. Das Ergebnis dieser merkwürdigen Probierrunde – die Zutaten reichen von Kondensmilch über tiefgefrorenes Kartoffelpüree bis zum fertig geriebenen Gruyère – kann man in diesem Artikel nachlesen.

Delia plädiert in ihrem Buch für die Verwendung von Fertigzutaten – um Zeit und Geld zu sparen, aber auch um die Hürde für den Kochanfänger zu senken. Wer es sich nicht zutraut, eine Rinderoberschale durch den Fleischwolf zu drehen, hat vermutlich weniger Probleme damit, fertig geformte Fleischpatties in die heiße Butter zu werfen. Das Ziel sind dennoch gesunde und wohlschmeckende Gerichte, die dann gemeinsam von einer glücklichen, weil nicht durch den Kochstress aufgeriebenen, Familie genossen werden:

„I think I will have performed a great service if I can make it possible for families to sit round and eat a meal together,“ she has said. „That’s my mission.“

Im Prinzip ist gegen die Verwendung von Fertigzutaten nichts einzuwänden. Viele Fertigwaren wie Anchovis oder Käse gehören zu den faszinierendsten Zutaten überhaupt – und ich bin eigentlich ganz froh, dass ich das Fermentieren der Fische und das Verkäsen der Molke den Fachleuten überlassen kann. Zudem handelt es sich hier um ein altes Phänomen, das eigentlich mit der Entwicklung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung begonnen hatte – man denke etwa an die berühmten antiken Garumfabriken in Cartagena, Pompeji, Klazomenaid und Leptis.

Doch das ist vor allem eine Frage der Schwelle: in welchem Maß sind die verwendeten Produkte schon weiterverarbeitet. So kommen auch die Guardian-Testesser immer wieder zu dem Ergebnis, dass die Vorschläge in Delias Kochbuch nicht besonders viel Zeit sparen und auch nicht zwangsläufig billiger sein müssen als die Verwendung frischer Zutaten (im Übrigen kostet das Buch bereits stolze 30 Euro). So dauert die Zubereitung von Delias Wildpilzrisottos deutlich länger als ein frisches Risotto, da die getrockneten Pilze erst hydriert werden müssen. Und für so merkwürdige Dinge wie fertiggebratenen Speck oder geriebenen Käse gibt es nun wirklich weder eine Verwendungsmöglichkeit noch eine Ausrede. Noch dazu, wenn die fertigen Gerichte nicht besonders überzeugend schmecken. So heißt es über die Schokoladenplätzchen:

These were beyond horrible. They had the sheen of a freshly laid dog turd – and the consistency, with that potato in them … Ugh. No resistance, no bite, nothing.

Oder über den Huhn-Lauch-Kuchen:

Utterly horrible. It reminded me of the worst kind of school dinners. The pastry was tasteless and undercooked, it had that awful tinned-meat flavour, and the vegetables were almost raw.

Dabei gilt Delia Smith doch als kulinarischer Apostel, denn sie ist nicht nur seit fast 25 Jahren für die BBC als Kochlehrerin in der Öffentlichkeit sichtbar, sondern hat zudem mit ihren mittlerweile drei Bänden „How to Cook“ ein Standardwerk auf dem Gebiet vorgelegt. (via)

Ökoprivatismus versus Techno-Emocionale?

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Einen weiteren interessanten Beitrag zur kulinarischen Nomenklatur habe ich in dem Blog des australischen Bloggers Elliot Rubinstein gefunden. Er beschreibt dort einige aktuelle Trend auf dem Foodsektor von dem Durchstarten der Foodblogs, die vor wenigen Jahren noch überhaupt keine Rolle gespielt haben, bis hin zum Trend, lieber in der eigenen Küche mit selbst gekauften regionalen Zutaten zu kochen als ins Restaurant zu gehen. Letztere Entwicklung verknüpft er unter anderem
auch mit dem Scheitern der „Techno-Emocionale“, so lautet seine Bezeichnung der spanischen Molekularküche. Diese Richtung hat seiner Ansicht nach mehrere Probleme:

  • Zahlreiche Copycats, die in ihren kulinarischen Fähigkeiten den großen Vorbildern wie Ferran Adrià längst nicht das Wasser reichen können, haben das Ansehen der molekularen Küche beschädigt.
  • Ebenfalls problematisch wird das Format der Degustationsmenüs beschrieben. Durch die vielen „Unterbrechungen“ und die Erklärungen der Ober werden gesellige Gespräche der gemeinsam zu Tisch sitzenden Kommensalen unmöglich gemacht.
  • Dazu kommt, dass die große Zahl der für sich selbst schon ausdrucksstarken Weine, die zu den einzelnen Gängen gereicht werden, den Gaumen schlicht überwältigen und für feine Nuancen der Speisen unempfindlich machen.

Im Prinzip halte ich die Kritik für berechtigt. Allerdings ist die Aussage, dass molekularkulinarische Menüse eben kein Alltagsvergnügen darstellen. Und das ist auch gar nicht ihr Ziel. Insofern sind Zitate von Heston Blumenthal (The Fat Duck) oder Ferran Adrià (El Bulli), in denen sie darauf hinweisen, dass sie sich selbst gar nicht molekularkulinarisch ernähren, sondern mit ganz gewöhnlicher einfacher Alltagsküche, auch kein bisschen überraschend. Aber das schließt keineswegs aus, dass gewisse Elemente dieses neuen kulinarischen Esperanto in die Alltagsküche, ja vielleicht sogar die Convenienceküche, diffundieren.

Der Umgang mit Geliermitteln oder der Trend zum Aufschäumen (Espuma) dürften sich als Entwicklungen in diese Richtungen deuten lassen. Und dass die molekulare Küche nicht notwendig ein Gegenteil von regionalen Zutaten und ökologischer Produktion sein muss, dürfte ebenfalls offensichtlich sein – man muss sich dazu nur einmal die entsprechenden Mission-Statements der Molekularköche ansehen wie z.B. die 23 Punkte von Ferran Adrià.

(Abbildung „Øko Kaffe The? Juice“ von reinvented, CC-Lizenz)

Deutschlands kulinarische Oberschicht

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Dass Juan Amadors molekulare Küche in Langen zu den besten Restaurants in Deutschland gehört, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben – spätenstens seitdem er von den Michelin-Kritikern mit dem dritten Stern ausgezeichnet worden ist. Nun beginnt sich dieser Erfolg auch im Ausland herumzusprechen. Ganz vorne mit dabei natürlich die New York Times, die der Tradition der nueva nouvelle cuisine sowieso sehr aufgeschlossen gegenübersteht.

Während Amador aufgrund seines Namens und seiner Zeit bei Ferran Adrià eher in den iberischen Kontext eingeordnet wird, betont Carter Dougherty in der New York Times gerade die Verwurzelung in der deutschen kulinarischen Tradition. Wenn auch nicht ganz sicher ist, was man unter der deutschen Küche verstehen soll, ein Gericht gibt es, das wie kaum ein anderes damit verbunden wird: der Stramme Max. Amador dekonstruiert diesen Inbegriff der fettig-herzhaften Teutonenküche wie folgt: ein paar Tropfen Schweinefett und geräuchertes Öl zusammen mit einem Wachtelei in hauchdünnem Teig.

Gestützt durch Amador und Michelin-Herausgeber Jean-Luc Naret konstatiert Dougherty den Deutschen sogar so etwas wie eine Esskultur — und zwar durchaus auch jenseits der Sternewelt:

A restaurant culture has blossomed here in the last decade, with Germans shaking off a reputation for tightfistedness when it comes to eating out.

Der Ethnologe Gunther Hirschfelder (Uni Bonn), Autor der „Europäischen Esskultur“ bemüht sich freilich wieder, diesen leisen Aufbruch der deutschen Kulinaristik wieder zu relativieren. Er beschreibt eine gespaltene deutsche Esskultur: oben die Feinschmecker und unten eine breite Schicht von Menschen, deren kulinarische Erfahrungswelt auf die Erzeugnisse der Convenience-Industrie beschränkt bleiben — mit allen Folgen (juvenile Diabetes, Adipositas und Herzerkrankungen).

Das Argument, dass die haute cuisine ein natürliches Terrain der kulinarischen Oberschicht bleiben muss, halte ich allerdings für wenig tragfähig. Zeigen doch die kulinarischen Traditionen Frankreichs und Italiens, dass sich auch einfache Küchen von sehr guter Qualität herausbilden können. Und Bocuses Kochbücher haben an dieser Veralltäglichung des guten Essens einen kaum zu unterschätzenden Anteil.

(Abbildung „Strammer Max“ von FetchStyle)