Monatsarchiv: Januar 2008

Schokolade als Medizin: Stollwercks "Antioxidant"

antioxidant.pngVor einiger Zeit hatten wir an dieser Stelle schon einmal ein Indiz für die Verwissenschaftlichung des Schokoladengenusses präsentiert: eine goldglänzende Verpackungsfolie mit einem Diagramm der zeitlichen Entwicklung der Geschmackskomponenten. Heute gibt es ein weiteres Fundstück, das nicht nur dem Schokoladengenuss ein wissenschaftliches Image geben soll, sondern einen medizinischen Bezugsrahmen evoziert, um ein neues Schokoladenmarktsegment zu schaffen (Stichwort „Marketing als Framing“; vgl. dazu den lesenswerten Aufsatz „Bewegung im Markt“ von Kai-Uwe Hellmann in der aktuellen Kölner Zeitschrift): Stollwercks Neuentwicklung „Antioxidant„.

Während die Lokalisierung der Schokolade mittlerweile schon in den Discountern angekommen ist (Ecuador, Ghana, Tobago, Arriba), wird hier ein für Genusslebensmittel unkonventioneller Name etabliert: man begegnet Antioxidantien mittlerweile regelmäßig Werbung, aber als Produktbezeichnung ist dieser nach Chemie klingende Name ungewöhnlich. Dementsprechend bemüht sich der Begleittext, dieses Image in Richtung einer „Wohlfühlmedizin“ umzulenken und die chemisch-molekulare Ebene des Essens wird hier zum Schauplatz von Stress („oxidativer Stress“) und Entspannung („Wohlbefinden“) gemacht:

Antioxidantien sind gut für uns, denn der Alltag kann unseren Körper überfordern. Umwelteinflüsse, Bewegungsmangel oder unüberlegte Ernährung führen zu oxidativem Stress. Ein Übermaß an „Freien Radikalen“ ist die Folge und dies kann Zellschäden Vorschub leisten. Antioxidantien „fangen“ freie Radikale und schützen so den Körper.

Dabei geht die Verwissenschaftlichung hier noch weiter als in dem Goldfoliendiagramm. Die neue Stollwerck-Schokolade wird ebenfalls mit einem Diagramm präsentiert, das den überlegenen Antioxidantiengehalt der Schokolade im Vergleich mit einem Glas Rotwein darstellt:

diagramm.png

Man beachte insbesondere die wissenschaftlich korrekten (wenn man von einer leichten Inkonsistenz in der Formatierung und der fehlenden Seitenzahl im zweiten Fall absieht) Quellenangaben in der Fußnote:

Ding et al., 2006, Nutrition and metabolism, 3:2; Lee et al., Journal of Agricultural Food Chemistry Dec 3; 51(25):7292-5.

Hier wird also ein neues Produkt mit Bezugnahme auf Artikel in international anerkannten peer-reviewten Fachzeitschriften mit hohem Impact-Faktor auf den Markt zu bringen. Das geht ein ganzes Stück weiter als der bisher übliche Rückgriff auf „die Forschung“ oder „Dr. Best empfiehlt“. Dazu gibt es auch noch eine Webseite, auf der nicht nur das verwendete Verfahren erläutert wird, sondern auch noch Informationen über die Kakao-Polyphenole gegeben wird.

Allerdings hat man es hier deutlich mit einer Hybridstrategie zu tun, denn in der Farbgebung (gold, rot, dunkelblau, braun, schwarz) und auch im Schriftzug (eine gemäßigte, schlanke Grotesk) bleibt die neue Marke durchaus im Rahmen des klassischen Schokolademarketings. Man scheint hier also die Assoziation mit der kalten, synthetischen Welt der Wissenschaft zu vermeiden.

(via w&v)

Das Jüngste Gericht: Spaghetti mit Habaneros

img_7137.jpgZum einen gehören Habanero-Chilischoten zum Anregendsten, was man seinem Geschmacksapparat antun kann und zum anderen ist es einigermaßen erstaunlich, wie ein bekennender Jesus-Jünger auf dieser Seite sein Rezept für „Spaghetti Armageddon“ präsentiert. Ich bin mir gar nicht sicher, ob die vielen Verweise auf das Jüngste Gericht hier nicht völlig unironisch wortwörtlich gemeint sind:

Was wissen wir denn über das Gericht Gottes? Wenn meine Spaghetti den Leuten den Schweiß auf die Stirn treibt, was wird dann erst bei Gottes Gericht sein? Wird das dann auch feurig? Feuerpfuhl, Gut und Böse, das Buch des Lebens, die große Aufrechnung, Himmel oder Hölle, Fegefeuer?

250px-capsaicin_chemical_structure.pngWie auch immer, auch wenn man für den evangelikalen Manichäismus nicht empfänglich ist, das Rezept macht Freude. Außerdem lässt sich auf diese Weise die gesundheitsfördernde Wirkung des Chiliinhaltsstoffes Capsaicin am eigenen Leib erfahren: dem Körper wird eine Überhitzung suggeriert und die üblichen Kühlmechanismen werden angeworfen – man schwitzt und die Blutzirkulation wird verstärkt. Außerdem wir dem Gehirn von dem Capsaicin sehr schnell ein Sättigungsgefühl suggeriert. Die Vorteile liegen auf der Hand: man isst weniger und der Körper verbrennt mehr von den aufgenommenen Kalorien.

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Zutaten

  • Je nach Leidensfähigkeit 1-2 Habanero-Chilis (geviertelt, Samen entfernt)
  • 150g Speck
  • Olivenöl
  • 2 Zwiebeln
  • 400g Spaghetti

Zubereitung

  1. Nudeln in reichlich heißem Wasser kochen.
  2. Die gehackten Zwiebeln im heißen Öl glasig braten. Dann den Speck dazugeben und goldbraun braten.
  3. Die Pfanne vom Feuer nehmen und die geviertelten Habanero-Chilis dazugeben. 3 Minuten durchziehen lassen.
  4. Die Nudeln abgießen und im Topf mit der Zwiebel-Chilimischung übergießen. Gut durchmengen und servieren.

Wem die Schärfe zu stark ist – schließlich gehören Habaneros mit 80.000 bis 150.000 Scoville-Einheiten zu den schärfsten Chilisorten – kann sich mit leicht gesüßtem, kalten Wasser behelfen. Die Kälte setzt die Rezeptoren außer Kraft und die Süße hilft dabei, sie von der Schärfe „abzulenken“.

Da stellt sich wieder eine Frage, die uns schon lange beschäftigt: Wie sind die Menschen darauf gekommen, Chilis zu essen? Schließlich ist anzunehmen, dass die krasse Schärfe gerade als Abwehr gegen das Gefressen-Werden durch Säugetiere entwickelt wurde – Vögel sind gegen das Capsaicin immun. Dieser Plan der Natur scheint eindeutig daneben gegangen: mittlerweile betragen weltweite Chiliproduktion und -konsum das Zwanzigfache der Schwarzpfefferproduktion. Oder liegt die List der Natur gerade darin, durch diese herausfordernde Schärfe die eigene weltweite Verbreitung durch den Menschen anzutreiben?

Siehe zum Thema Chili auch folgende einschlägige Quellen: Chili und Ciabatta, Chili-Blog, Pepperworld, Hot Chili Peppers.

Alineabuch erscheint im Herbst

Im Herbst 2008 wird voraussichtlich das „Alinea-Book“ von Greg Achatz – ich sage nur „lamb in cubism“ – den erfolgreichen Trend opulent-multimedialer Spitzenkochbücher (siehe z.B. die El Bulli-Kochbücher oder das Oud Sluis-Kochbuch „Sergio“) fortsetzen. Wer das Buch auf dieser Webseite für 50 USD vorbestellt, wird nicht nur mit einem signierten Exemplar beliefert, sondern bekommt auch einen Zugang zu der begleitenden Webseite Alinea Mosaic, auf der weitere Achatz-Rezepte, Videos, wissenschaftliche Hintergrundinformationen und Bilder zu finden sind:


Alinea Book Trailer from 2061wc on Vimeo.
(via GFC)

Hestons 24-Stunden-Steak

Einfach und effektiv – das ist der Anspruch des 24-Stunden-Steak-Rezepts von Heston Blumenthal. Hier hat sich jemand die Mühe gemacht, das Ganze nachzukochen und dabei zu filmen. Wenn auch die Kommentare davon zeugen, dass z.B. der Zweck des Abflammens (Maillard-Reaktion, Bakterienabtötung) nicht recht verstanden wurde („So, das ist jetzt gut versiegelt“), ist diese Dokumentation recht unterhaltsam:

I. Akt: Die Lötlampe

II. Akt: 24 Stunden später: Noch nicht ganz durch

III. Akt: Hundefutter

IV. Akt: Wiederkehr des Verdrängten

Aber der Herd ist klasse, oder? Kühle Laboratmosphäre? Von wegen!

Spiceporn: Sternanis

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Durch Heston Blumenthal habe die kulinarische Allzweckwaffe „Sternanis“ (früher bekannt unter dem Marathi-Namen „Badian“) schätzen gelernt, die sich zum Beispiel wundervoll dafür eignet, Umamikomponenten z.B. bei einem Fleischgericht, in den Vordergrund zu rücken. Auf den ersten Blick scheint der Name perfekt zu der Frucht zu passen, denn sie ist sternförmig und hat ein stark an Anis erinnerndes Aroma. Eine Tüte Sternanis zu öffnen ist für die Nase ein ebenso markantes Erlebnis wie das Öffnen einer Flasche Raki oder Ouzo (im Pastis wird Sternanis verwendet). Tatsächlich hat Sternanis (Illicium verum) aber nichts mit dem Namensvetter Anis (Pimpinella anisum) zu tun. Aber weil beide (wie auch Süßfenchel) die phenolische Substanz Anethol enthalten, ähneln sie sich geschmacklich und geruchlich. Allerdings ist Sternanis etwas intensiver, schärfer und lakritziger.

Auf diesem Foto sieht man deutlich die sechs bis acht Kammern des getrockneten weiblichen Fruchtstandes, in denen sich die Samen befinden – ein ästhetisch äußerst angenehmer Anblick, wie die hochglänzenden Samen hier nur ausschnitthaft zu sehen sind:

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Öffnet man einen Samen, dann sieht das wie folgt aus. Man erhält zwei harte, glänzende Schalen und das eigentliche Innenleben des Samens – die Keimanlagen:

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Ich habe einmal die einzelnen Bestandteile der Reihe nach probiert: das Sameninnere ist trocken und hat nur einen ganz leichten Anisgeschmack. Es dominiert eine bittere Note. Die Hüllen schmecken schon deutlich intensiver nach Sternanis. Besonders schön ist die chitinartig-knusprige Konsistenz. Die äußere Schale ist der stärkste Geschmacksträger, allerdings lässt sich dieser Teil nur schwer kauen. Deshalb wird üblicherweise die gesamte Frucht kleingemalen oder gemörsert.

Sternanis ist ein wichtiger Bestandteil der chinesischen Küche. In Verbindung mit Zwiebeln und Sojasauce entstehen schwefelphenolische Aromaverbindungen, die sich dafür eignen, die Fleischnote hervorzuheben. Sternanis ist also ein natürlicher Umamiverstärker. Aber die hauptsächliche Verwendung ist mittlerweile nicht mehr das klassische chinesische Fünf-Gewürze-Pulver oder die keralische Garam-Masala-Variante, sondern liegt in der Medizin: der größte Teil der Ernte dieser Frucht geht in die Fabriken von Roche, wo aus der attraktiven Frucht das Antigrippemittel Tamiflu hergestellt wird. Aber bereits früher wurde die Frucht auch medizinisch eingesetzt: etwa als Gegenmittel zu Säuglingskoliken. Auch gegen Rheuma wurde die Pflanze in China eingesetzt.

Wer sich mit diesem Gewürz einmal auseinandersetzen möchte, dem sei dieses Heston Blumenthalsche Rezept für Spaghetti bolognese empfohlen, in dem Sternanis eine wichtige Rolle spielt (die Zubereitung dauert allerdings etwa neun Stunden):

Caramelising onions with star anise produces vibrant flavour compounds that really enhance the meaty notes of the sauce

McDonalds Sieg über Laktoseintoleranz nur eine Urban Legend?

1422981738_2bca5c81a0_m.jpgEin auf den ersten Blick faszinierendes Beispiel für den Umgang mit geschmacklicher bzw. sogar physischer Aversion habe ich in diesem Blogpost von „What I Learned Today“ gefunden: Wie wohl einigermaßen bekannt sein dürfte, sind die Milch-trinkenden (Nord-)europäer im globalen Maßstab eher eine Anomalie. Milch, neben Honig wohl das einzige Nahrungsmittel, das explizit für den Zweck des Verzehrs produziert wird, kann von dem großen Teil der Weltbevölkerung nicht verarbeitet werden.

Laktoseintoleranz bedeutet, dass größere Mengen Milchzucker unangenehmerweise (eigentlich: natürlicherweise) von der Darmflora des Dickdarms fermentiert werden. Die Folge sind Blähungen, Bauchdrücken, Krämpfe, Übelkeit, Erbrechen und Durchfälle. Das ist für den Absatz von Softeis z.B. in asiatischen McDonaldsfilialen ein klares Markthindernis.

Die Hamburgerbrater haben sich davon aber nicht abschrecken lassen und in einem eleganten Kunstgriff die Eiscreme in ihren indonesischen Filialen einfach kostenlos an die Kundschaft abgegeben. Was dann passierte, lässt sich sehr gut mit dem altdeutschen Sprichwort: „Lieber den Magen verrenkt als dem Wirt ‚was geschenkt“ zusammenfassen. Trotz Übelkeit, Blähungen und Durchfall griffen die indonesischen Fastfoodler gierig nach den Eishörnchen und gewöhnten Dünn- und Dickdarm dadurch langsam an wachsende Mengen Milchzucker. Mittlerweile scheint jedoch die Laktoseintoleranz dort zurückgegangen zu sein, so dass auf einmal einen indonesischen Markt für Speiseeis entstanden ist.

Das Problem an dieser Geschichte, wie auch nabeepchen bemerkt: Laktoseintoleranz ist zumindest als angeborener Laktasemangel nicht heilbar. Egal wieviele Eisportionen in Südostasien verdrückt werden: 98 Prozent bleiben laktoseintolerant. Entweder die Indonesier verdrücken als auch in naher Zukunft nur unter Schmerzen ihr kostenloses Softeis oder aber die Speiseeisanbieter behelfen sich durch begleitende Laktasegaben oder verwenden laktosereduzierte Milcherzeugnisse als Grundlage ihrer Eisproduktion. Wechselt man allerdings den Zeitrahmen, kann man feststellen, dass die Laktosetoleranz eine junge „Erfindung“ ist. Erst vor etwa 8000 Jahren mit Beginn der Tierzucht haben Teile der Menschheit die Fähigkeit erworben, Milch zu verdauen. McDonalds muss also in Südostasien nur etwas langen Atem beweisen, dann könnte es etwas werden mit dem Sieg über die Laktoseintoleranz.

(via, Abbildung „Ice Cream Sundae“ von swamibu)

Lakritz Lachs

Lakritze bietet einen der rätselhaftesten Geschmäcker. Bei wenigen Süßigkeiten reagiert die Menschheit so gespalten, wie bei Lakritz. Man gewinnt es aus der Wurzel des Süßholzes durch Raspeln, Eindicken und Gelieren. Und man hasst es entweder oder liebt es. Mich würde interessieren, ob es Hinweise auf angeborene Lakritz-Ab- oder Zuneigung gibt!

Das interessante am Süßholz ist die ihm den Namen gebende extreme Süße, die durch Glycyrrhizin entsteht, ein Seifenstoff, der 50 Mal süßer schmeckt als Rohrzucker.

Lakritz wird seit dem Altertum gegessen – Dioskurides beschreibt die wasserhaltende Wirkung, die z. B. die Skythen nutzten, um in der Wüste länger ohne Flüssigkeit überleben zu können. Als Mittel gegen Magengeschwüre oder Halsweh findet es in Asien und Europa seit Jahrhunderten breite Anwendung. Typischer Weise findet man Süßholz als Gewürz in der Esoterik-Ecke. Auch das Produkt, mit dem wir experimentierten macht dabei keine Ausnahme: Marke Hildegart.

Neben den verschiedenen positiven oder negativen medizinischen Wirkungen, erfreut sich Lakritz seit Aufkommen der Molekularen Küche einer nie gekannten Beliebtheit als Zutat außerhalb der Desserts: bereits Hervé This sinniert über das Phänomen des gleichzeitig bitteren, sauren, salzigen und süßen Geschmacks – er vermutet sogar eigene Rezeptoren auf der Zunge; hat jemand einen Beleg dafür? Ich habe bisher keinen gefunden! Und schließlich erfreut Heston Blumenthal den Gaumen seiner Gäste mit Lakritz-pochiertem Lachs und Birnen.

Genau diesen Lachs haben wir uns jetzt vorgenommen und ein Rezept für Lakritz-Lachs entwickelt.

Rezept

  • Lachsfilets
  • 1 EL Süßholzraspeln
  • 3 Lakritzschlagen
  • 1/4 Vanilleschote
  • einige cm Schale von der Bitteren Orange (oder anderer Zitrusfrucht)
  • 1 Löffelspitze Agar Agar
  • Olivenöl
  • Balsamico-Essig
  • Fleur de Sel

Süßholzraspeln und Lakritzschlangen in ca. 1l Wasser aufkochen und einkochen lassen, die Vanilleschote und die Orangenschale mitkochen lassen, bis sich eine braune, leicht sirupartige Flüssigkeit bildet. Agar Agar dazu, Hitze reduzieren, bis der Sirup nicht mehr kocht. Den Fisch in Würfel oder Streifen schneiden und im Sirup ca. 7-10 Minuten pochieren.

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Auf einem Teller anrichten, mit Fleur de Sel bestreuen und mit etwas Olivenöl und Essig umträufeln.

Der Lakritz-Sirup bekommt durch Zitrusschale und Vanille eine differenzierte und angenehme Note und weckt im Lachs bislang verborgene Aromen.

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So war das auf dem DLD

Zwar stimmt es wohl, was wir in wirres.net lesen: wenn sogar auf stern.de über den DLD geschrieben wird- schließlich eine Veranstaltung der Konkurrenz – was kann unser ein da noch posten? (zumal wenigstens einer von uns aufgrund beruflicher Verbindung dem Hause Hubert Burda Media nicht mehr wirklich objektiv … – also uns hat die Veranstaltung sehr gut gefallen! Damit das klar ist!)

Über das Essen auf dieser gigantischen Konferenz müssen wir aber pflichtgemäß berichten, schon allein, weil es Molekulare Gastronomie zu verkosten gab (davon mehr weiter unten).

Zunächst ist es bedauerlichauffällig, welch untergeordnete Rolle Essen und Kochen bisher im Kanon von Digital Lifstyle Design gespielt hat. Dieses kam zumindest Martha Stewart aufs Podium und berichtete uns unter anderem von ihrem Multifunktions-Herd („The meat event gets brown!“). Wir wünschen uns fürs nächste mal auf jeden Fall Food in the Digital Age …

Kein wirkliches Thema auf den Podien, aber der wichtigste Anker der sozialen Interaktion:
Die Bewirtung der Gäste zeigte eine gewisse Dialektik. Sonntags ging der eine von uns (bk) mit den Bloggern in den Hofbräukeller in Heidhausen, der andere (jb) mit den Referenten und Gästen des Verlegers ins jüdische Gemeindehaus am Jakobsplatz. /Highlight des dort servierten kosheren Dinners war der Lammbraten – sehr zart und auf Punkt und dabei für alle Gäste gleichzeitig serviert./ Montag Abend hatte dann der eine von uns (bk) die Ehre der Einladung ins Brenner, der andere (jb) in Schumanns Tagesbar.

Und wie angekündigt gab es am Montag zur ersten Kaffeepause tatsächlich etwas Molekulare Küche – gesponsort von ScienceBlogs.
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Und es hat gut funktioniert. Auf den Tischen standen Polypropylenflaschen mit aromatisiertem und mit alginat versetztem Sirup sowie Gläser mit Kalziumchlorid-Lösung und je einem kleinen Sieb. Die meisten Gäste waren zwar etwas ratlos – das Ergebnis, das man erzielen konnte aber stets überzeugend.

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Dazu wurde zum einen eine salzige Panna Cotta mit gefriergetrocknetem Rucola und Tomatenkaviar (im Bild – unscharf, da schlechte Nokia-Handy-Kamera) zum anderen ein Salat mit ebenso gefriergetrockneten Speck gereicht. Das Dessert fiel eher etwas ab: Reagenzgläser mit Pfefferminzbonbons. Für die meisten Besucher waren sicherlich die Nitro-Cocktails am eindrucksvollsten – der Effekt rauchender Nasenlöcher ist ja hinlänglich bekannt.

Eingefasst wurde diese molekulare Präsentation durch ein Preisausschreiben, bei dem es ein molekulares Cocktail-Set zu gewinnen geb. Alles sehr zeitgemäß und gut inszeniert – eines DLD durchaus würdig.

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Auf den Spuren der Chefs – warum Briten zu Hobbyköchen werden

cook.pngEine Studie der Marktforschungsabteilung von Marks & Spencer ist zu dem Ergebnis gekommen, dass Großbritannien sich langsam in eine Nation von Hobbyköchen verwandelt, die auf den Spuren Heston Blumenthals wandeln und einen Creme brulée-Brenner unter dem Weihnachtsbaum liegen hatten. Dieser Megatrend heißt „Cook It Yourself“ (CIY) und manifestiert sich zum Beispiel darin, dass 42 Prozent der Briten jeden Tag ein Gericht zubereiten. Und damit ist nicht das Aufwärmen von Mikrowellennahrung gemeint, sondern das „cooking from scratch“. Nur 30 Prozent kochen bereiten höchstens einmal in der Woche ein Gericht selbst zu.

Dieser Trend lässt sich auch als Reaktion auf eine breite lebensmitteltechnologische Verunsicherung der Verbraucher in der Risikogesellschaft deuten (Stichwort: BSE, Schweinepest, Vogelgrippe): knapp die Hälfte der Hobbyköche geben als wichtigstes Motiv an, durch die eigene Zubereitung genau zu wissen und kontrollieren zu können, was auf dem Teller landet. Aber auch die Möglichkeit, die Gerichte genau so zuzubereiten, dass sie dem eigenen Geschmack entsprechen, aber auch Kochen als Entspannung und Therapie spielen eine wichtige Rolle. Für mehr als ein Viertel der 1.500 Befragten ist Kochen eine wichtige Freizeitaktivität und fast 90 Prozent besitzen mindestens ein Kochbuch.

Man kann mehrere Typen von Hobbyköchen unterscheiden:

  • „Gastronomen“ (42 Prozent) kochen täglich ein Gericht von Grund auf selbst
  • „Vertrauensköche“ (29 Prozent) stützen sich in ihrer mindestens wöchentliche Küchenaktivität auf wenige, dafür geprüfte und zuverlässige Rezepte, die ihnen immer gut gelingen
  • „Möchtegernchefs“ (12 Prozent) haben keine Zeit, jeden Tag am Herd zu stehen, kochen aber sehr gerne und bereiten immerhin mehrmals im Monat ein Gericht zu.

Unsere Frage: Wie oft kommt ihr zum Kochen? Was ist eure wichtigste Motivation für das Kochen?

(via That’s Food and Drink, Abbildung „Pretty Cooked“ von eole)

Bildzeitung lobt Molekularküche

Mittlerweile hat der Diskurs über die molekulare Küche in Deutschland eine merkwürdige Wendung genommen. Die Kritik an der Verwendung von Lebensmittelzusatzstoffen wie Agar-Agar oder Xanthan kommt zum Beispiel aus den Reihen der Deutschen Akademie für Kulinaristik, in der nicht nur Eckart Witzigman, der vor 30 Jahren die deutsche Küche aus ihrer Provinzialität befreit hat, Mitglied ist, sondern auch der Physiker Thomas Vilgis (Max-Planck-Institut für Polymerforschung), der die deutschsprachigen Standardwerke zur molekularen Küche geschrieben hat.

Während sich die kuliarische Elite gegen die molekularen Schaumschläger, besonders in Gestalt experimentierender Hobbyköche, wendet, hat die molekulare Küche nun einen überraschenden Fürsprecher gefunden: Unter dem Titel „Wie gesund ist Gourmet-Küche aus dem Labor?“ schreibt die Bild-Zeitung heute über „Suppe zum Schneiden, Lachs als Schaumkügelchen, Cocktails in Bonbonform“. Zitiert wird Andrea Lambeck von der „Centralen Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft“ (CMA), erklärt, dass die Lebensmittelzusatzstoffe ausgereift genug seien, um sie in der Küche einzusetzen. Nach Juan Amador, der im Übrigen gerade als Liebhaber von Brot, Wurst und Käse „entlarvt“ wurde, kommt auch noch der „Dortmunder Restaurantkritiker Hans Böddicker“ zu Wort und wird wie folgt zitiert: „Aromen werden verbessert, verfeinert und intensiver.“

In einer der üblichen Leserumfragen wird gefragt, ob die Leser solche Gerichte essen würden: 28 Prozent lehnen das ab, während 47 Prozent angeben „Klar, warum nicht“. Ist die molekulare Küche in der breiten Masse angekommen?