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Kalbsschnitzel mit Nüssen und Balsamico nach Marcella Hazan

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Die Früchte des Haselstrauches sind auf der italischen Halbinsel seit der römischen Antike beliebt. Das merkt man allein daran, dass die Linnésche Bezeichnung der Pflanze Corylus avellana lautet, nach der kampanischen Stadt Abella (hier auf der Karte), die der Mittelpunkt der römischen Haselnusskultur gewesen ist. Damals wie heute hat man die Nüsse entweder frisch gegessen oder geröstet. Aber auch die Verwendung als Gewürz, um Speisen eine nussige Note hinzuzufügen, hat schon eine lange Tradition.

Man findet Hinweise darauf zum Beispiel bei Apicius, dem Escoffier des 1. nachchristlichen Jahrhunderts: in seinem Werk „De re coquinaria“ gibt es eine Sauce für gekochtes Wildschwein, in der türkische Haselnüsse („ponticas“ nach der Stadt Pontus) Verwendung fanden, einige Haselnusssaucen für verschiedene Vögel sowie eine weiße Schnitzelsauce mit eingeweichten und gereinigten (Wal-)Nüssen („nuces infusas et purgatas“). Diese Nusssaucen kombinieren in der Regel Nuss, Öl, Wein und Essig – genau die Verbindung, die auch Marcella Hazans „Scaloppine di Vitello con le Nocciole e l’Aceto Balsamico“ zu einem großartigen Erlebnis machen.

Marcella sagt über die Haselnüsse: „Their toasty flavor is also particularly compatible with veal.“ Das wollte ich mir dann doch einmal näher ansehen. Die Frage lautet also: Welche der Aromastoffe haben Haselnuss und Fleisch gemeinsam? Zum einen enthält der Geschmack von gebratenem Kalbsfleisch sowie so schon einige nussige Noten, zum Beispiel durch das 2-Acetyl-3-Methylpyrazin, 2-Acetyl-2-Thiazolin oder Corylonpyrazin. Aber ich habe auch drei Aromastoffe gefunden, die in beiden Zutaten vorhanden sind:

  • (E,E)-2,4-Decadien-1-al (kurz: 2,4-De), ein Dienaldehyd mit fettigem Geruch und einem Geschmack, der nach Fett, Huhn, Aldehyd, grün, gebraten und Kartoffeln erinnert. Dieser Stoff steht seit kurzem unter Verdacht, krebserregend zu sein.
  • Buttersäure, die ebenfalls entsteht wenn Butter ranzig wird und einen charakteristischen käsigen Geruch besitzt und sehr streng nach Milchprodukten, Käse, Butter sowie fruchtig schmeckt. Aber wie so oft macht die Dosierung und die Kombination hier die Musik.
  • 2,3-Diethyl-5-Methylpyrazin, auch bekannt unter der passenden Bezeichnung „Haselnusspyrazin“ ist ebenfalls in beiden Zutaten enthalten. Dieser Stoff hat einen muffigen Geruch und schmeckt ebenfalls muffig, geröstet, nussig, Kartoffel, Kakao oder auch erdig bis schmutzig. Dazu passt, dass Cato erwähnt hat, er bewahre seine avellanischen Haselnüsse immer in einem Tongefäß in der Erde auf.

Dazu kommt dann der Balsamico-Essig, der keine direkte geschmackliche Verbindung zum Fleisch und den Nüssen aufweist, aber zahlreiche typische Maillard-Produkte enthält wie zum Beispiel 5-Methylfurfural, 5-Hydroxymethylfurfural (HMF) oder Furfural (siehe diesen Artikel). Dadurch bekommt er seine fettige, karamellige Note und den süßen, ahornigen, braunen Geschmack. Passt also sehr gut zu den Maillardprodukten, die beim heißen Anbraten des Schnitzels entstehen.

Zutaten (2 Personen)

  • Zwei Kalbsschnitzel, dünn geklopft
  • 10-20 Haselnüsse
  • Butter
  • Öl
  • Mehl zum Panieren
  • Weißwein (ca. 1/2 Glas)
  • Salz, Pfeffer
  • 1 TL Balsamicoessig

Zubereitung

  1. Haselnüsse in einer Pfanne bei starker Hitze rösten. Oft wenden. Danach etwas abkühlen lassen und die Haut entfernen. Hacken, aber nicht zu fein.
  2. Butter und Öl in der Pfanne erhitzen und die kurz im Mehl gewendeten Schnitzel bei starker Hitze auf beiden Seiten kurz anbraten. Sobald sie leicht Farbe annehmen aus der Pfanne nehmen.
  3. Mit etwas Wein den Satz in der Pfanne auflösen und die Haselnüsse dazugeben. Kochen lassen bis die Flüssigkeit verdampft ist. Etwas Butter mit den Haselnüssen verrühren.
  4. Nun die Schnitzel salzen und pfeffern und in der Pfanne unter mehrfachem Wenden fertigbraten.
  5. Den Essig über die Schnizel träufeln und durch Wenden die Flüssigkeit gut verteilen. Anrichten und mit der restlichen Sauce in der Pfanne übergießen.

Was man so alles essen kann – Wurstpfannkuchen am Spieß

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Schoko-Pfannkuchen mit Würstchen am Spieß. Ein Beitrag zur Blogaktion „They Go Really Well Together“? Eine Kreation der avantgardistischen Molekularküche? Nein, bloß ein Beispiel für amerikanische Supermarktkost aber vielleicht auch eine Erklärung, warum die amerikanische Kulinaristik dem Esperanto der Molekularküche doch etwas offener gegenübersteht als die deutsche. Wenn man so eine Kombination bereits in der gruseligen Version (hier und hier findet man einige Zubereitungstipps) begegnet ist, weiß man die gelungene Version des Ganzen vermutlich umso mehr zu schätzen. (via Twitter)

(Abbildung: „Best Invention EVAR!“ von PunkJr, CC-Lizenz)

Wylie Dufresnes WD~50 bekommt dritten Stern

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… zwar keinen Michelinstern, sondern den dritten Stern des New York-Times Gastroressorts. Das ist nicht nur deshalb erfreulich, weil damit wieder ein Molekularer Gastronom ganz oben angekommen ist, sondern auch deshalb, weil damit eine äußerst lesenswerte Würdigung seiner Küche durch Frank Bruni, der bislang mit der amerikanischen Spielart der molekularen Küche nicht so viel anfangen konnte, verbunden ist.

Der Artikel beginnt mit einer ausführlichen Beschreibung eines der signature dishes von Dufresne: seinen Eggs Benedict. Hier haben wir dem Bericht von Bruni nach Molekulare Küche in ihrer feinsten Ausprägung. Der Ausgangspunkt ist ein ur-amerikanisches Gericht, das nicht nur wie es sich für eine ordentliche kulinarische Tradition gehört ganz unterschiedliche Begründungslegenden besitzt, sondern auch als Egg McMuffin in die Systemgastronomie und damit den kulinarischen Mainstream aller Mainstreams Eingang gefunden hat. Diese Legende der Art Deco-Küche wird von Wylie Dufresne dann verfeinert im besten Sinne des Wortes: zivilisiert, raffiniert und konzentriert. Bruni weiß das zu würdigen:

At once concise and comprehensive, it’s perhaps the tidiest Benedict the egg-loving world has ever known. It’s quite possibly the best, yielding more yolk, more hollandaise and a more pronounced juxtaposition of textures in each bite.

Die Frage ist, ob die Beobachtung der Kritiker, dass die experimentelle Küche von Wylie Dufresne immer besser geworden ist, tatsächlich darauf zurückzuführen ist, dass seine Küche, die sich weder um Konformismus noch um Grenzen des Denkbaren kümmert, treffsicherer geworden ist. Oder ist nicht viel eher der Fall, dass die Gastrokritik gerade lernt, an dieser neuen Küche Geschmack zu finden?

Ich bin zwiegespalten, wenn es um das „Geschmacksprinzip“ (pleasure principle) geht. Auf der einen Seite ist es selbstverständlich ein grandioses Erlebnis, wenn ein Gericht absolut harmonisch kombiniert ist und den Sinnen einfach nur Wohlgefallen spendet. Auf der anderen Seite sind kulinarische Herausforderungen von der Erweiterungen des eigenen Geschmacksfeldes um neue Noten und Kombinationen bis hin zum intellektuellen food for thoughts für mich ein ebensowichtiger Bestandteil eines guten Lebens. Insofern finde ich es gar nicht so negativ, wenn Wylie Dufresne in den letzten Kritiken „a certain contempt for the pleasure principle“ vorgeworfen wurde. Der gute Geschmack – auch eine dieser konventionellen Grenzen, die es einzureißen gilt? Auf diesem gastroklastischen Abenteuer kann es auch einmal notwendig sein, die Foie gras zu verknoten.

(Abbildung: „patriotic eggs benedict on crab cakes…“ von Joits, CC-Lizenz)

Nutrigenomik

Nikas Culinaria spricht schon von „real molecular gastronomy“, wenn es um das neue Wissenschaftsfeld der Ernährungsgenomik (kurz: nutrigenomics) geht. Allerdings geht es hier nicht um die volatilen Aromamoleküle, sondern um die „Grundbausteine“ des Lebens wie Genom, Proteom und Metabolom, in denen die Informationen über den Aufbau und die Arbeitsweise von Zellen gespeichert werden.

Die Genforschung hat in den letzten Jahren nicht nur mit Craig Venters Bekanntgabe der Entschlüsselung (Sequenzierung) des menschlichen Genoms von sich reden gemacht, sondern mit einer Verschiebung der Aufmerksamkeit von den Genen zu den Proteinen, die dahinter stehen (proteomics). Eine zentrale Erkenntnis des genomischen Blicks auf den Menschen liegt darin, dass der Mensch zum größten Teil gar nicht aus spezifisch menschlichen Geninformationen besteht, sondern sich aus Genen von Viren, Pflanzen etc. zusammensetzt. Mit Rimbaud könnte man das formulieren als „Je est un autre„. Vielleicht aus diesen Geninformationen der 3-Oxoacyl-Synthase der Habanero Chilis:

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Ein Weg, wie genetische Informationen aus Flora und Fauna in den menschlichen Organismus eingebaut werden, ist die Nahrungsaufnahme. In diesem grundlegenden Sinn beschreibt also die alte Redewendung „Der Mensch ist, was er isst“ die jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse ziemlich präzise. Deshalb versucht die Ernährungsgenomik herauszufinden, wie krankmachende, aber auch gesundmachende Erbgutinformationen über die Nahrung in den menschlichen Körper gelangen und schließlich zum Teil seines Erbguts werden.

Ob die Erkenntnisse dieser noch sehr jungen Wissenschaft irgendwelche Auswirkungen auf die Molekulare Gastronomie haben wird, ist nicht abzusehen. Ich halte das eher für unwahrscheinlich. Allerdings wird dadurch womöglich der Blick der Wissenschaft und Massenmedien noch etwas stärker auf die Bedeutung des Essens für Krankheit und Gesundheit gerichtet, so dass Brillat-Savarins aphoristische Formulierung, die Menschheit profitiere mehr von der Erfindung eines neuen Gerichts als von der Entdeckung eines neuen Sterns, eine neue, ganz praktische Bedeutung erhalten wird.

Gaschromatographie als Methode der Molekularen Küche

2186389457_23c1bcdf70.jpgEine schönes Beispiel für die radikale Verwissenschaftlichung des Kochens bzw. der Rezeptkreation ist die Suche nach bestimmten Passungen in den „Odor Activitiy Values“ der Grundzutaten, wie sie Hervé This und Heston Blumenthal gerne anwenden. Hier macht die molekulare Küche ihrem Namen alle Ehre, denn es geht tatsächlich um die molekularen Bestandteile des (guten) Geschmacks. Das Prinzip erklärt Martin Lersch auf seiner Seite zu Geschmackspaarungen wie folgt:

Based on the fact that aroma of foods is so important for the way we perceive them, a hypothesis can be put forward: if the major volatile molecules of to foods are the same, they might taste (and smell) nice when eaten together.

Die Gründungslegende dieses Ansatzes ist der Vorschlag von François Benzi auf einem der legendären Kurti/This-Workshops in Erice, doch einmal mit der Kombination von Jasmin und Schweineleber zu probieren, da das Aroma beider Substanzen wesentlich auf dem chemischen Molekül Indol basiert. Und wie findet man solche Geschmackspaare? Zum einen gibt es eine kostenpflichtige Datenbank mit dem futuristischen Namen VCF 2000, zum anderen gibt es aber auch freie Datenbanken wie das Flavornet, die gelungene Visualisierung Foodpairing sowie eine umfangreiche Aromadatenbank der Good Scent Company, die man über Google bequem nach gemeinsamen Aromastoffen durchforsten kann.

chroma.pngNoch etwas wissenschaftlicher ist das Vorgehen, in Aufsätzen aus Fachjournalen wie dem Journal of Agricultural and Food Chemistry nach den „Odor Activity Values“ (OAVs) der Zutaten sowie ihren Wahrnehmungsschwellen zu suchen. Diese lassen sich errechnen, indem man die Konzentration der flüchtigen Aromastoffe durch den sensorischen Schwellenwert teilt. Ein Wert von 100 bedeutet dementsprechend, dass die Konzentration eines Aromamoleküls 100 Mal höher ist als die Wahrnehmungsschwelle. Wer einen Gaschromatographen in der Küche herumstehen hat, kann diesen dafür verwenden.

Ein kurzes Beispiel zur Illustration:

  • Es geht in unserem Fall um die Geschmackspaarung Popcorn und Kaffee. Ich könnte mir vorstellen, dass das kombinieren lassen müsste.
  • Ein Blick auf Flavornet zeigt, dass zahlreiche Röstaromen im Popcorn vorhanden sind: Ethyldimethylpyrazin, Propionylpyrrol, Acetylthiazolin.
  • acetylpyrazin.pngNun weiter zur Good Scents Company. Meine Annahme bekommt weitere Unterstützung: 2-Acetylpyrazin kommt in beiden Substanzen natürlich vor (diese Substanz wird im Übrigen auch als „Popcornpyrazin“ bezeichnet). Ebenfalls in beiden vorhanden: 2-Acetylpyrrol und 2,3,5-Trimethylpyrazine. Es gibt also einige Anhaltspunkte für eine „geschmackliche Wahlverwandtschaft“ von Kaffee und Popcorn.
  • Jetzt kann man sich noch ein wenig in die wissenschaftliche Literatur einlesen, denn es geht nun um die Frage, ob die gemeinsamen Aromamoleküle auch oberhaupt der Wahrnehmungsschwelle liegen. Zum Thema Popcorn gibt es z.B. den Aufsatz „Popcorn Flavor : Identification of Volatile Compounds“ von Walradt, Lindsay und Libbey (J. AGR. FOOD CHEM., VOL. 18, NO. 5, 1970), zum Kaffee „Volatile Constituents of Coffee. Pyrazines and Other Compounds“ von Bondarovich et al. (J. AGR. FOOD CHEM., VOL. 15, NO. 6, 1967).
  • Aus dem Popcorn-Artikel ergeben sich die folgenden typischen Aromabestandteile: 2-Acetylpyrazin (das charakteristische nussige Popcornaroma), Furfural, 5-Methylfurfural und Furfurylalkohol (leicht verbrannte Noten), 2-Methylpropanal und 3-Methylpropanal (malzige, gebrannte Aromen), N-Furfurylpyrol (grüne Aromen), dazu im Hintergrund noch 4-Vinyl-2-Methoxyphenol (Vorform von Vanilin, erinnert an Nelken) und 4-Vinylphenol (starkes rauchiges Aroma). Leider findet man in dem Artikel nur die Ergebnisse der Gaschromatographie ohne Angaben der jeweiligen Schwellenwerte.
  • Der erste Kaffeeartikel weist zwar zahlreiche Pyrazine nach, aber nicht die Stoffe, die ich suche. Aber da gibt es ja noch einen aktuelleren Artikel: „Isolation and identification of headspace volatiles from brewed coffee with an on-column GC/MS method“ von Shimoda und Shibamoto. Dort treffen wir wieder auf die folgenden Stoffe, die auch im Popcorn vorhanden waren: 2-Acetylpyrazin, Furfural, 5-Methylfurfural, Furfurylalkoho und, 2-Methylpropanal. Leider auch hier keine Angaben darüber, ob die Werte über den Schwellenwerten liegen. Die wiederum findet man in einem Artikel von Semmelroch und Grosch, „Studies on Character Impact Odorants of Coffee Brews„. Hier findet man das Vanilin sowie die beiden malzigen Aromen 2- und 3-Methylpropanal.
  • So könnte man noch eine ganze Weile machen. Andererseits lässt sich an dieser Stelle auch einfach eine praktische Validierung durchführen: man bereitet zum Beispiel eine Kaffeecreme mit Popcornpulver zu und probiert selbst, wie die Kombination schmeckt.

(Abbildung „pipoca & café“ von fotemas)

Kochen als Sprache – von Marcella Hazan bis zum molekularen Esperanto

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simg_t_o0679764372.jpgGestern habe ich mir endlich Marcella’s Italian Kitchen von Marcella Hazan zugelegt. Und schon im ersten Abschnitt über „Cooking: A Language“ stehen einige Dinge, die auch für unsere Theorie der kulinarischen Semantik wichtig sind. Kochen erscheint dort nicht als einfaches handwerklichen Können, sondern primär als Mittel zur Vergemeinschaftung:

[I]t is no coincidence that the campfires where human words were first exchanged also witnessed, at some point, the change from merely eating food that was gathered or caught to preparing it. Language has been described as a loom on which the fabric of society has been tightly woven. To a narrower, but nonetheless significant extent, the same can be said of cooking.

In unserer Kritik an dem kulinarischen Naturbegriff bekommen wir hier also Schützenhilfe von der zentralen Figur der klassischen italienischen Küche. Denn genau in dem Moment, in dem der Mensch Nahrung nicht nur en passant verzehrt, sondern sich der Zubereitung widmet, wird die Nahrungsaufnahme kultiviert. Hier liegt der Bruch mit der natürlichen Lebensweise. Wobei ich die These wagen würde, dass auch vor dieser steinzeitlichen Urkulinarik bereits kulinarische Zeichen existiert haben, zum Beispiel in der Verbindung bestimmter Farben mit Essbarkeit oder Giftigkeit. Aber das eher auf der Ebene z.B. der Kommunikation von Bienen, also noch nicht als Sprache.

Besonders gut gefällt mir die enge Verbindung des Kochens mit der Entstehung und Reproduktion von Gemeinschaft durch einen geteilten Geschmack – ganz analog zur gemeinsamen Sprache:

The evocations of flavor of shared cooking, like the familiar accents of a common tongue, established one’s identity, formed tribal bonds, chased solitude.

Ganz abgesehen davon, dass jeder wohl schon einmal selbst erfahren hat, wie ein gutes Essen mit Freunden oder Familie jeglichen Anflug von Einsamkeitsgefühlen in Luft aufgelöst hat, schafft das Kochen eine Gemeinschaft. Interessant dass Ferdinand Tönnies, der große soziologische Theoretiker von Gemeinschaft, zwar von Freundschaft, Verwandtschaft oder Nachbarschaft spricht, aber eine Vergemeinschaftung durch den Geschmack nicht erwähnt. Und mit Geschmack ist nicht der „gute Geschmack“ im Sinne von Veblen oder Bourdieu gemeint, sondern die basale Kategorie einer geteilten Geschmackswelt. Diese findet man paradigmatisch in Regionalküchen und -gerichten, die für Fremden höchst ungewöhnlich schmecken, da sie mit ihren kulinarischen Selbstverständlichkeiten brechen (daher auch Diskriminierungen wie „Spätzlefresser“, „Makkaroni“ oder „Knödelbayer“). Wahrscheinlich liegt genau in dieser heute in Resten noch vorhandenen kulinarischen Vergemeinschaftung der Reiz der exotischen Küchen. Im geteilten Geschmack oder Hazans „languages of cooking“ drückt sich also ein Wesenwillen aus, zu einem Kollektiv zu gehören. Die Vergemeinschaftung durch Konsum – man spricht hier von Markengemeinschaften oder sogar neotribalen Konsumgemeinschaften – ist in den letzten Jahren immer intensiver erforscht worden – wo bleibt die Forschung über Geschmacksgemeinschaften?

Wenn man das Kochen von dieser Seite her betrachtet, ergeben plötzlich auch einige Besonderheiten der Molekularen Küche Sinn. Denn hier hat man es verstärkt mit Zutaten zu tun, die keiner regionalen Koch- oder Essenstradition zuzuordnen sind. Es geht also, wenn man die Analogie von Kochen als Sprache hier fortführt, nicht um Lehnwörter, sondern um Kunstwörter. Ein Lehnwort wäre zum Beispiel die Verwendung des Lorbeerblattes in der deutschen Küche. Durch Apicius weiß man, dass dieses Gewürz in der Küche des alten Rom eine wichtige Beigabe für Gerichte aller Art gewesen ist (dort fand im Übrigen auch die Rinde Anwendung beim Kuchenbacken, siehe Catos De agricultura). Das Lorbeerblatt in deutschen Suppentöpfen ist also ein Lehnwort aus der römischen Küche (ein Latinismus), ganz ähnlich wie Fenster vom lateinischen fenestra stammt.

esperanto.jpgDagegen lässt sich die Verwendung von Xanthan und Gellan, das Kryokochen oder das Aufschäumen keiner älteren Küche zuordnen, hier haben wir es demnach mit einem kulinarischen Esperanto zu tun. Genau wie das Esperanto nicht auf das Abschaffen der bestehenden Nationalsprachen abzielt, will die Molekulare Küche nicht die verschiedenen Regional- und Nationalküchen abschaffen, sondern im Gegenteil: es bedient sich der dort vorhandenen Vokabeln, grammatikalischen und phonetischen Regeln um sie zu einer neuen Sprache zu verbinden – zu esperantisieren. Zum Beispiel: Die Endung „-o“ kennzeichnet ein Substantiv. Von „Knabe“ kommt man dann schnell zum Esperantobegriff „knabo“. In der Molekularen Küche scheint es ähnliche (leider immer noch implizite) Grundregeln zu geben, wie man von einem klassischen Gericht zur molekularen Variante kommt: von der Foie gras zum knotbaren Foie-gras-Gel.

Doch Ziel des Ganzen ist nach wie vor – hier bin ich wieder bei Marcella Hazan – ein hervorragender Geschmack, bzw. etwas breiter: ein hervorragendes kulinarisches Erlebnis. Die Bedeutung des Kontextes, die etwa in der Küche Heston Blumenthals (The Fat Duck) eine zentrale Bedeutung hat, spielt Marcella immer wieder runter. Für sie sind das „incidentals“, die „may add circumstantial interest to the business of eating, but they add nothing to taste and signify nothing when taste is lacking“. Da ist die Geschmacksforschung mittlerweile anderer Ansicht und hat immer wieder belegt, welche Bedeutung z.B. das Aussehen eines Gerichtes sowie das, was wir darüber denken, für die empirische Geschmackswahrnehmung besitzt. Wenn es um diesen Aspekt geht, kann das Esperanto der Molekularen Küche tatsächlich eine wichtige Bereicherung der Geschichte des Essens darstellen.

(Abbildung oben: „ordering food without spoken language“ von Padday)

Über das Verfeinern

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„Verfeinern“ – dieses Wort ist für mich der Inbegriff der deutschen Kochkunst. Man nehme ein Fertigprodukt – sei es die Spaghetti-Sauce oder eine Tiefkühlpizza – und fügt dem Gericht noch eine weitere Zutat hinzu, die nicht getrocknet, gefroren oder sonstwie konserviert ist. Man brät also ein paar Zwiebeln an und kippt dann die Fertigtomatensauce darauf. Oder man belegt die Pizza mit etwas frisch aufgeschnittener Wurst.

Dahinter steckt die Philosophie, dass durch die Kombination aus einem eher geschmacklosen Fertigprodukt und einer frischen Zutat ein „leckeres“ Essen entsteht. Viele der Verfeinerungsanweisungen haben explizit ein „leckeres“ Essen als Ziel – in besonderen Fällen geht es um eine „leckere“ Tiefkühlfischpfanne, die mit einem Schuss Sahne oder ähnlichem „noch leckerer“ wird. Also die drittbeste Kombination nach einem vollständig aus frischen Zutaten gekochten Gericht und einem Gericht, in dem überwiegend frische Zutaten mit einer Fertigzutat zusammen kommt. Denn Verfeinern bedeutet, dass die verfeinernde Substanz nur ein Addendum darstellt. Das eigentliche Grundgerüst des Essens ist also unfein.

Verfeinern ist aber nicht dasselbe wie Garnieren oder Würzen. Es geht dabei nicht allein um den feinen Geschmack, sondern um das Gefühl, selbst etwas zum Geschmack beigetragen zu haben. Verfeinern lässt sich nicht auf die verwendeten Substanzen reduzieren, sondern ist (ein residualer) Ausdruck des kochenden Subjekts, die Vergewisserung der eigenen Handlungsfähigkeit und ein Schritt jenseits des sturen Befolgens von Anweisungen. Verfeinern könnte man auch als minimales Residuum einer handwerklichen Nahrungszubereitung bezeichnen. Oder als Simulacrum des Kochens. Durch das Verfeinern eignet man sich eine anonyme, fremde Ware an und macht sie zu einem Werk. Meine These ist, dass das Verfeinern eine notwendige Begleiterscheinung der Convenienceküche.

Mit der ursprünglichen Bedeutung des Verbs hat diese Art von Verfeinern nicht mehr viel zu tun: Kultivieren, Zivilisieren, Humanisieren ist im Fall der zu verfeinernden Fertigprodukte gar nicht mehr nötig. Es handelt sich bereits um zivilisatorische Produkte. Gerade im Fall des Verfeinerns mit roher, frischer Ware geht das Verfeinern eher in das Gegenteil. Man möchte die Künstlichkeit, Zivilisiertheit des Produktes abmildern. Die Gefahren der Verfeinerung beschreibt im Übrigen Jean Paul in „Levana oder Erziehlehre“:

Besonders die Exerzitien des Geschmacksinnes lasse man weg, für dessen haut-goût ohnehin die Küchen die hohen Schulen sind; zumal da wir jetzo nicht erst durch ihn zwischen Gift und Kost zu richten brauchen, sondern vielmehr durch seine Übung an großen Tafeln beide verwechseln lernen, so daß wir, ungleich den Tieren, welche nur jung aus ungeübtem Geschmack auf der Weide zu schädlichen Kräutern fehlgreifen, oft aus verfeinertem gerade nach Giftschüsseln und Giftkelchen langen.

Ein kurzer Blick ins Internet zeigt folgende teils gruselige, teils wohlschmeckende Beispiele für Verfeinerungen:

Kaum ein Weblog, in dem nicht verfeinert wird. In diesem Blog bisher nur sehr abstrakt. Damit das nicht so bleibt, hier eine sehr schöne Verfeinerungen, die von Ferran Adrià selbst stammen soll und in ihrer Schlichtheit wohl kaum zu überbieten ist.

Zutaten

Zubereitung

  1. Die Kartoffelchips mit Pfeffer und Essig anmachen.

(Abbildung „Gemüsesuppe“ von tin.G)

Das Ende der Szechuanpfefferprohibition

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Für mich gehört der Szechuanpfeffer (Zanthoxylum piperitum, der chinesische Blütenpfeffer Hua Jiao) zu den faszinierendsten Gewürzen. Nur leider passt der Name nicht besonders gut zu dem Gewürz, denn mit Pfeffer hat es außer der Kugelform nichts gemeinsam. Tatsächlich ist es die Frucht des Gelbholzstrauches, der mit den Zitruspflanzen verwandt ist (gibt es auch als Bonsai). Der Geschmack ist ganz anders – am besten beschreibt es tatsächlich das Adjektiv „elektrisch“. Denn wenn man eines der Körner zerbeißt empfindet man auf der Zunge einen elektrisierenden Geschmack, in etwa so wie wenn man an den Polen einer 9-Volt-Blockbatterie leckt.

199248051_c125375979_m.jpgMit diesem Gewürz, das in der Szechuanküche einen prominenten Platz einnimmt und essentieller Bestandteil des chinesischen Fünfgewürzepulvers ist, kann man also das übliche fünfdimensionale Koordinatensystem des Geschmacks verlassen und so etwas wie „kulinarische Transzendenz“ erleben. Im Chinesischen gibt es für diesen Geschmack mit sogar ein eigenes Zeichen, das Taubheit, Anästhesie, Lähmung bedeuten kann.

Zu dem elektrisierenden Gefühl, dem Hauptelement des Geschmackserlebnisses, das auch nach dem Herunterschlucken eine ganze Weile anhalten kann, kommt dann noch eine angenehm frische, limonadige Süßsauernote. Dazu dann noch hölzerne Bestandteile – und fertig ist das wunderbare Szechuanpfefferbouquet. In den USA gab es seit 1968 kaum eine Möglichkeit, das auf legalem Weg zu erleben, den Szechuan war dort fast 40 Jahre lang verboten. Von wegen „Amerika, du hast es besser„. Man befürchtete nämlich, dass sich durch das Gewürz ein Baumkrebs („canker„) auf den ökonomisch bedeutenden amerikanischen Zitrusplantagen ausbreiten könnte. Kurios ist dabei die Tatsache, dass dieser Erreger Xanthomonas die Grundlage für die Produktion des Hydrokolloids Xanthan ist. Die US-Regierung hat also der Bevölkerung die Möglichkeit, eine authentische Szechuanküche zu schmecken, genommen, um im Pflanzenschutz auf der sicheren Seite zu sein.

2094250747_9d8c3afa9f_m.jpgJetzt wurde dieses Verbot wieder aufgehoben und die Chinarestaurants des Landes können wieder ihre kalten Nudeln mit Szechuanpfeffer, ihr Hühnchen in Szechuanpfefferöl, die warmen Nudeln in Szechuanpfeffersauce und die grünen Bohnen mit zerstoßenem Szechuanpfeffer genießen. Und wer weiß wie viele Amerikaner von der anästhesierenden Würzigkeit der Körner fast schon abhängig werden. Eine habe ich schon gefunden. Saucy Contessa schreibt nämlich: „it is what we use as our everyday pepper – this goes in almost everything we cook!“ Dabei ist die von diesem Gewürz ausgelöste Geschmacksempfindung, wie Harold McGee schreibt, eine faszinierende Angelegenheit. Es werden verschiedene Nervenenden angeregt, ein Berührungs- und Kältegefühl zu senden, die normalerweise für diese Empfindungen gar nicht zuständig sind. Er spricht demzufolge von einer „neurologischen Verwirrung“.

Trotz der Aufhebung der Szechuanpfeffer-Prohibition – legal verkauft werden kann das Gewürz aber nur, wenn es kurzzeitig auf 70°C erhitzt wurde -, ist es in den USA noch längst nicht überall zu finden. Aber es steht bereits in den virtuellen Regalen von amazon.com und kurioserweise beziehe ich meine Körner ebenfalls von einem amerikanischen Anbieter.

Auch die Blogosphäre kocht gerne mit diesem Gewürz, von einer Apfel-Kokos-Möhrensuppe über ein Grünes Spargel Sushi mit Szechuan-Pfeffer oder ein Fondue mit asiatischem Gewürzsud bis hin zu Ricottatörtchen oder einer asiatischen Glühweinvariante.

(Abbildungen „HuaJiao (Sichuan Pepper)“ und „HuaJiao field (Sichuan Pepper)“ von Philou.cn, „Shrimp“ von Laurel Fan)

Video: Kochmützen in der molekularen Küche

Das erste achtminütige Video des Molekularküchen-Kochkurses der Kochmützen ist jetzt online. Man sieht dort, untermalt von einer etwas penetranten Home-Shopping-meets-Warteschleifenmusik, wie 18 staunende Köchinnen und Köche um Lars Ginsberg herumstehen und staunen: über kryogekochten Champagnergries, über Olivenölnudeln, Rote-Beete-Kaviar und Espumas aller Art:

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Jede Menge AgarAha-Effekte und man lernt: die Olivenölnudel „wird fest und schmeckt tatsächlich auch nach was“.

Der Geruch des Weltraums

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Das hier wäre doch einmal eine wirkliche Herausforderung für die molekulare Küche à la Heston Blumenthal: der Geruch des Weltalls. Der ISS-Wissenschaftsoffizier Don Pettit beschreibt in seinem Weltraumtagebuch diesen unmöglichen Geruch – unmöglich, da das Vakuum eigentlich gar nicht riechen kann – nämlich wie folgt:

Each time, when I repressed the airlock, opened the hatch and welcomed two tired workers inside, a peculiar odor tickled my olfactory senses. At first I couldn’t quite place it. It must have come from the air ducts that re-pressed the compartment. Then I noticed that this smell was on their suit, helmet, gloves, and tools. It was more pronounced on fabrics than on metal or plastic surfaces. It is hard to describe this smell; it is definitely not the olfactory equivalent to describing the palette sensations of some new food as „tastes like chicken.“ The best description I can come up with is metallic; a rather pleasant sweet metallic sensation.

Doch wie soll man sich diesen Geruch vorstellen? Nach Pettit ist der süßliche Geruch, der beim Umgang mit einem Schweißgerät entsteht (meint er den süßlichen Geruch bei der Verbrennung des Acetylengases?) dem Weltraumduft am ähnlichsten. Aber: Wie aber kann man überhaupt den Weltraum riechen? Im Fall des nach Schießpulver riechenden Mondstaub) kann man sich das ja noch einigermaßen vorstellen. Die direkte Sinneserfahrung des Weltraums jedoch ist theoretisch möglich, aber lebensgefährlich.

Kein Problem, es gibt schließlich noch andere kulinarische Erfahrungen die lebensgefährlich sind. Und das scheint den Genuss sogar noch zu beflügeln. Man denke zum Beispiel an den in Japan genossenen Kugelfisch (Fugu). Auch einige Studien wie etwa von Pollatos et al., kommen zu dem Ergebnis, dass Gerüche durch unangenehme Emotionen zwar unangenehmer, aber intensiver wahrgenommen werden.

Das Problem mit dem Weltraum ist aber nicht nur, dass es wenig zu beißen gibt (nicht einmal Luft), sondern vor allem, dass es der kosmische Gourmet nicht überleben würde, diesen Ur-Geruch einzuatmen. Ja, er oder sie käme wahrscheinlich nicht einmal dazu, einen tiefen Atemzug zu machen. Die einzige Möglichkeit ist, das berichtet auch Pettit, die indirekte Erfahrung des Geruchs. Einige schwebende Geruchspartikel bleiben anscheinend an der Oberfläche von Weltraumanzügen hängen und können nach der Wiederherstellung einer überlebensfähigen Atmosphäre gerochen werden. Jetzt frage ich mich nur, warum der Wissenschaftsoffizier nicht sofort seine Messinstrumente geholt hat um einmal nachzumessen, welche volatilen Verbindungen für den smell of space verantwortlich sind. Das wäre doch einmal eine spannende Grundlage für echtes space food. (via)

(Abbildung „Building the ISS“ von dgroth)