Schnecke trifft Espuma

berlinale.pngOkay, der Tagesspiegel vermeldet: Adrià wird also nicht auf der Berlinale kochen – das war nach dem Documenta-Rückzug auch nicht zu erwarten. Die Diskussion mit Carlo Petrini, dem Slow Food-Gründer, am 11. Februar um 19:00 dürfte jedoch interessant werden. Vielleicht merken dann die Zurück-zur-Natur-Kulinaristen, dass beide Richtungen gar nicht so weit von einander entfernt sind. Im Flyer zum Kulinarischen Kino heißt es nämlich:

„In der Welt der Haute Cuisine können wir manchmal die Realität nicht sehen“, sagt Ferran Adrià. Doch Carlo Petrini hat ihm die
Augen geöffnet und aus ihm einen Slow Food Anhänger gemacht. Beide kämpfen für die kleine Landwirtschaft, für Jugendprojekte
und für gesunde Ernährung.

Wobei sich allerdings die verwendeten Sprachspiele deutlich unterscheiden und ich zugeben muss, dass mir die selbstironische Alchemistensprache eines Adrià deutlich sympathischer ist als das neoviktorianische Elitesprech à la „Convivium“ und „Arche„.

Molekulare Gastronomie im Mittelalter

islamic.jpgJuliette Rossant (Super Chef) findet erstaunlich moderne, fast schon molekularkulinarische Praktiken in dem Buch „Medieval Cuisine of the Islamic World: A Concise History with 174 Recipes“ (University of California 2007) von Lilia Zaouali:

What is amazing is that the dishes sound so modern. The use of vinegar and sweeteners is prominent. There are strange, almost molecular gastronomy dishes like Artificial Marrow (p. 90) in which a copper tube is filled with liver and fat and boiled.

Hamburgercuvées

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Das gute alte Web mit seinen werbewirksamen Bildergalerien, die aus einem minimalistischen Textbeitrag zehn, zwanzig oder noch viel mehr Page Impressions herausholen. So zum Beispiel in der Hamburgergalerie der Time Out New York.

Da wir in der Molekularküche in Anschluss an Heston Blumenthal hellhörig geworden sind für die verschiedenen Mischungen von Hamburgern, habe ich mich einmal durch die Time Out Top Ten der New Yorker Burgerie geklickt (die deutschen Begriffe entsprechen den amerikanischen nicht immer, da es unterschiedliche Traditionen gibt, das Rind zu zerlegen):

  1. Market Table: 50% brisket (Rinderbrust), 50% sirloin (Rostbraten/Roastbeef)
  2. Telepan: 100% chuck (Schulter)
  3. Prune: Rind, Lamm
  4. Back Forty: Peter Hoffmanns geheime „Steakburger“-Mischung
  5. Shorty’s .32: sirloin (Rostbraten/Roastbeef), short-rib (Rippe) und weitere Sorten (20% Fett)
  6. 67 Burger: chuck (Schulter), tenderloin (Filet)
  7. BLT Burger: sirloin (Rostbraten/Roastbeef), chuck (Schulter), short-rib (Rippe), brisket (Rinderbrust) vom Black Angus-Rind
  8. Primehouse: 80% chuck (Schulter), 20% tenderloin (Filet)
  9. Resto: cheek (Rinderbacken), hanger steak (Brust), fatback (Speck)
  10. Stand: chuck (Schulter), short-rib (Rippe), brisket (Rinderbrust) mit 22% Fett

Heston macht es übrigens genauso wie das Burgerrestaurant Stand in Greenwich Village mit 25% chuck (Schulter), 50% short-rib (Rippe) und 25% brisket (Rinderbrust).

(via Eater. Abbildung „Hamburger“ von food in mouth)

Besteck für die molekulare Küche

brewster.pngEs erscheint nur folgerichtig, einer gastronomischen Entwicklung, die sich bemüht, neue Geschmackskombinationen oder gar -richtungen und Texturen zu entwickeln, auch ein neues Besteck zu verpassen. Ein Besteck, das auch den Akt des In-den-Mund-Führens verfremdet bzw. in einem neuen Licht erscheinen lässt.

Das experimentelle Besteck „Season of Love“ der britischen Künstlerin Simone Brewsters, das die klinische Reinheit der weißen Farbe mit einer geschwungenen, sinnlich-körperlichen Formensprache in Beziehung setzt, könnte diese Funktion erfüllen.

(via torc)

Seelachs im Maillard-Mantel

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Eine sehr schöne Methode, Fisch oder Fleisch saftig zu garen, ist das Belegen oder Umhüllen mit Schinkenscheiben. In diesem Fall wird ein Seelachs mit einem wunderbaren Parmaschinken umwickelt, scharf angebraten und dann im Ofen fertig gegart. Das Anbraten setzt die Maillard-Reaktion in Gang: der Schinken wird gebräunt und entfaltet ein kräftiges Aroma, während der Lachs im Innern gut geschützt ist und durch das sanfte Garen schön saftig bleibt. Auch der Bissfestigkeitsgradient ist spannend: von dem knusprigen Schinken zum zarten Fisch. Dazu passen sehr gut die Rosmarin-Ofenkartoffeln, die man natürlich auch etwas aufwändiger à la Heston Blumenthal (also mit einem Kartoffelschalenöl) zubereiten darf.

Zutaten (2 Personen)

  • 2 Seelachsfilets
  • 4 Scheiben Parmaschinken
  • 2 EL Wermut (Noilly-Prat)
  • 2 Schalotten
  • 1 Möhre
  • 1 Tasse Gemüsebrühe
  • 1/2 Blatt Gelatine, in kaltem Wasser eingeweicht
  • 3 Knoblauchzehen
  • 1 Rosmarinzweig
  • Basilikum
  • Olivenöl
  • Butter
  • Salz, Pfeffer

Zubereitung

  1. Kartoffeln schälen und achteln. In einer ofentauglichen Pfanne mit Butter heiß anbraten bis sie auf allen Seiten goldgelb sind. Dann zwei Knoblauchzehen mit Schale und den Rosmarinzweig dazugeben und in den 190° heißen Ofen stellen.
  2. Möhre, Schalotten und Knoblauch kleinschneiden und in einem kleinen Topf in Butter bei mittlerer Hitze garen (zuerst die Möhre, wenn sie einigermaßen weich geworden ist, die Schalotten und den Knoblauch dazugeben. Nach ein paar Minuten mit der Brühe und dem Wermut aufgießen, die Gelatine dazugeben (man könnte auch einen Fischfond dafür nehmen, aber durch den Wermut und die Schalotten ist hier schon viel Geschmack drin, deshalb tut’s auch die Gelatine), kurz aufkochen lassen, dann abschmecken und beiseite stellen.
  3. Danach den Fisch abbrausen, trockentupfen und pfeffern. Nun den Fisch mit dem Parmaschinken umwickeln. In einer sehr heißen Pfanne von beiden Seiten anbraten. Dann auf ein Blech in den Ofen legen, das zuvor leicht eingeölt wurde. Noch ca. sechs Minuten im Ofen zusammen mit den Kartoffeln fertiggaren.
  4. Fisch mit Gemüse und Kartoffeln anrichten. Etwas kleingehacktes Basilikum und die Sauce auf dem Fisch verteilen.

Geld schmeckt besser

rangel.pngIn der Molekulargastronomie gehört der Umgang mit Magnetresonanztomographen fast schon zum guten Ton, schließlich sind diese medizinischen Großgeräte ein nützliches Hilfsmittel, wenn es gilt, das Eindringen der Joghurtmarinade in eine Hühnerbrust zu beobachten. Aber natürlich kann man auch Menschen in dieses Gerät stecken, zum Beispiel um zu erfahren, dass ein Wein tatsächlich besser schmeckt, wenn die Probanden der Überzeugung sind, er habe mehr gekostet als ein anderer Wein. Zu diesem Ergebnis kommen zumindest die kalifornischen Wissenschaftler um den Neuroökonomen Antonio Rangel in ihrem Beitrag „Marketing actions can modulate neural representations of experienced pleasantness„:

Our results show that increasing the price of a wine increases subjective reports of flavor pleasantness as well as blood-oxygen-level-dependent activity in medial orbitofrontal cortex, an area that is widely thought to encode for experienced pleasantness during experiential tasks. The paper provides evidence for the ability of marketing actions to modulate neural correlates of experienced pleasantness and for the mechanisms through which the effect operates.

Ein weiterer Beweis also für die Abhängigkeit des Geschmackserlebens vom Kontext, die von vielen molekularen Köchen immer wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt wird (siehe z.B. Blumenthals „Sound of Sea„).

(via Winzerblog)

Spaß mit der molekularen Gastronomie

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Neben den vielen kulturkritischen, elitären oder naturköstlerischen Beiträgen über die Molekularküche, hier endlich einmal wieder eine positive Würdigung. Die Zeitung „Westword“ aus Denver konzentriert sich in dem Artikel „Fun With Molecular Gastronomy“ auf ein ganz wichtiges Element, das neben den Michelin-Erfolgen zur Zeit die wichtigste Grundlage für den molekularen Boom sein dürfte: den Spaß am Experimentieren mit neuartigen Geschmackserlebnissen, zum Beispiel im Fall von

dishes that made my hardened brigade of gastronauts giggle like schoolchildren and lapse into moments of babbling reverie, struggling for words to describe the indescribable.

Aber das muss nicht bedeuten, dass hier bloß um des Effekts willen molekular gekocht wird, denn im Vordergrund steht nach wie vor der Geschmack. Und die Zubereitung von „vacuum-compressed tomatoes with a flavor like an entire summer condensed down into one perfect day“ ist als Geschmacksziel auch für die Haute Cuisine legitim:

It might not look like food, might not have the temperature you’re expecting, or the texture, the color or even the flavor. But every plate that he makes is inarguably food.

Vielleicht fehlt den Gegnern der molekularen Küche auch einfach nur die grundlegende Fähigkeit zur gastronomischen Hermeneutig, gutes Essen auch dann zu erkennen, wenn es nicht so aussieht wie gewohnt?

Aber die schönste Beobachtung von Jason Sheehan ist ein molekulargastronomischer Trickle-down-Effekt: Zwar erreichen Adrià, Blumenthal und Amador in ihrem Umgang mit Gels, Schäumen und Stickstoff eine ganz andere Dimensionen der Perfektion und Kochkunst, aber auch haubenlose Köche fühlen sich durch diese neuen Kochmethoden zu kulinarischen Experimenten inspiriert, so dass daraus eine technische Aufrüstung der Küchen folgt:

And in the next couple of years, I think it’s going to be a rare kitchen that doesn’t have a vacuum sealer and a thermal circulator — two of the more pedestrian gadgets used regularly by molecular gastronomists and proponents of cutting-edge prep.

Besonders spannend daran: Obwohl viele Köche sagen, mit der molekularen Küche und ihren Chemikalien nicht viel am Hut zu haben, ist eine rasche Veralltäglichung dieser Geräte im Gang. Mittlerweile, so Sheehan, ist die Methode des Vakuumgarens (sous-vide) zur Normalität geworden – noch vor fünf Jahren war das „way too far out for most guys“.

Ich würde hinzufügen, dass von diesem Wandel nicht nur um Profiköche betroffen sind, sondern dass sich auch Amateurköche und Hobbyexperimentatoren zunehmend für diese Möglichkeiten interessieren, wozu die Möglichkeiten, über das Internet Rezepte, Bezugsquellen und Tipps auszutauschen, sicher maßgeblich beigetragen hat. So schreibt zum Beispiel jemand im Feinschmeckerforum: „Durch die Molekulare Gastronomie hab ich endlich die blöden Gänse im Griff.“

(Abbildung: „Billowing Potion“ von gskx)

Rene Redzepi: nordisk gourmetkøkken statt nueva nouvelle cuisine

noma.jpgWas der Tagesspiegel unter dem Titel „Die Gewürze des Nordens“ schreibt, klingt so, als könne man nur noch dann als Spitzenkoch vor den Kritikern des Guide Michelin bestehen, wenn man sich ausdrücklich von der Molekulargastronomie distanziert. Der Anlass ist die Auszeichnung von Rene Redzepi, der in Kopenhagen das Restaurant „Noma“ führt, mit zwei der begehrten Sterne:

Redzepi hat bei zwei Giganten der Küche gelernt, bei Ferran Adria in Katalanien und bei Thomas Keller in Kalifornien, doch er ist so schlau, nichts von diesen höchst gegensätzlichen Chefs direkt zu übernehmen. Das heißt speziell, dass er kaum Anleihen bei Adrias avantgardistischer Küche der Dekonstruktion macht, sondern auf bester handwerklicher Basis einen eigenen Weg geht.

Da sind wir doch gespannt, wie denn diese undekonstruktivistische Küche so aussieht, die ihm metaphorischen Terrain des Handwerks zu Hause ist und nicht in der kalten, sterilen Welt der experimentellen Wissenschaft, wie sie Adriàs „Taller“ sicher für den Tagesspiegelautor Bernd Matthies verkörpern dürfte. Liest man aber die im folgenden Absatz vorgestellten Gerichte, so könnte man sich doch die Frage stellen, was hier denn so ganz anders aussieht, beziehungsweise, was ein handwerklich hergestelltes „intensiv nach Austern schmeckendes Gelee“ von einem auf auf wissenschaftlicher Grundlage entworfenen „intensiv nach Austern schmeckenden Gelee“ unterscheiden soll. Oder wie Matthies dazu kommt, in Redzepis „Samsø-Kartoffeln ‚in Texturen'“ den eigenen Weg sieht, der so gar nichts mit der Avantgardeküche zu tun hat?

Der Fehler scheint mal wieder darin zu liegen, dass die Bedeutung der molekularen Gastronomie bzw. der nueva nouvelle cuisine als Paradigmenwechsel des Kochens zu Anfang des 21. Jahrhunderts übersehen wird. Es geht nicht um substanzlose Aha-Effekte auf speziell dafür entworfenen Degustationstellern, sondern um eine neue Hermeneutik des Geschmacks und die experimentelle Freude daran, konzentrierten Geschmacksideen mit neuen, zum Teil aus der Lebensmittelchemie stammenden Methoden näher zu kommen. Für mich liegen die Samsø-Kartoffeln genau auf dieser Linie. Und sagt Redzepi nicht selbst im gemeinsam mit Claus Meyer verfassten Manifest für eine neue nordische Küche: „The flavor shouldn’t hit you in the face—you have to taste the food and find the flavors yourself.“

(via GourmetReport, Abbildung „NOMA appetizers“ von trixieskips)

Die deutsche Kulinaristik warnt vor riskanter Schaumküche

schaum.jpgErst versucht man es mit intellektuellen und moralischen Argumenten, wenn das nicht greift, geht es ans Eingemachte: Wolfgang Bornheim, der Vorsitzende der Deutsche Akademie für Kulinaristik warnt vor den Gesundheitsgefahren der entfesselten molekularen Gastronomie. Er fordert, dass die dort häufig verwendeten Zusatzstoffe wie Carrageenan, Xanthan und Co. deklariert werden müssen.

Ein Dorn im Auge ist der Akademie insbesondere der Langener Juan Amador. Gefürchtet wird nämlich, dass die Verleihung des dritten Michelinsterns an den Chef, der immer wieder der hydrokolloidophilen Avantgardeküche zugerechnet wird, zu einem Massenansturm auf diese Reagenzien führen wird: „Jetzt wird diese Mode sprunghaft um sich greifen, nicht nur bei den Spitzenköchen, sondern auch bei Dilettanten und Hobbyköchen“. Ein bisschen erinnert die Panikmache, in der „Dilettanten und Hobbyköche“ auf einmal zu Risikoköchen („riskante Schaumküche“) werden an die Aufregung 1963 um Ingrids Bergmanns nackten Busen:

Bornheim erwartet nun eine ungezügelte Verbreitung der Experimente der Molekularköche, die mit Algenpulver vermischte Säfte und Öle zu Gelees formen, stabilisierte Schäume aufschlagen und mit 160 Grad kalten Eisdämpfen hantieren.

Und wenn wirklich das Abendland durch diese neue Küche untergehen sollte, so wird das wenigstens eine Schaumparty. Also, schon einmal die Badehose anziehen, Herr Bornheim!

(Abbildung von Freundeskreis-Selfkant)

Orangenwein jetzt ansetzen!

Nur von Mitte Januar bis Mitte Februar gibt es bittere Orangen. Diese Kreuzung von Pampelmuse und Mandarine, auch als Pomeranze Citrus × aurantium – bekannt, ist spätestens seit dem Mittelalter in Europa in Verwengung, u. a. als Mittel gegen Epilepsie. Süße Orangen sind eine erneute Kreuzung der Pomeranze mit Mandarinen.

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Die bitteren Orangen duften und schmecken herb und sehr aromatisch und entfalten schon beim Aufschneiden ein herrliches Zitrusaroma.

Hervé This gibt uns in seinen Kulinarischen Geheimnissen ein Rezept für einen aromatischen Aperitif, für welchen wir die bittere Orangen benötigen – und auf dessen Ergebnis wir dann drei Monate warten müssen; daher: jetzt ansetzen!

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Rezept

    4 bittere Orangen
    1 Zitrone (beides unbehandelt!)
    ca. 1 l Obstbrand
    1 Nelke, 1/4 Vanille-Schote
    zum Fertigstellen (erst in drei Monaten): 5 Flaschen Weißwein, 1 kg Zucker

In einem großen Glasgefäß die ganze Zitrone, die ganzen bitteren Orangen, Nelke und Vanille mit Obstbrand übergießen, so dass die Früchte ganz mit Schnaps bedeckt sind; in unserem Fall veredlen wir neben meinem letzten Renéclauden- und Kirsch-Schnaps aus alten Kirchgruppen-Beständen auch einen köstlichen, allerdings mit seinen ca. 70% für den „rohen“ Genuss sehr starken Brand, den ich von einer hochgeschätzen Kollegin von ihrer Familie aus Rumänien mitgebracht bekam.

Den Aufguss verschließen und an dunklem, kühlen Ort drei Monate stehen lassen.

Der nächste Teil folgt dann zu Ostern!