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Molekulare Gastronomie auf hoher See

serena.pngWährend sich die deutschen Printmedien immer wieder in ihrer „kulturkritischen“ molekular-aversiven Haltung gefallen, scheint in Kanada zur Zeit genau das Gegenteil zu passieren. Alle paar Tage liest man in den Zeitungen voller Hingabe geschriebene Liebeserklärungen an Stickstoff, Gel und Schaum. Gerade eben war wieder einmal der Toronto Star dran, in dem Heather Greenwood Davis die molekulare Küche an Bord des Luxuskreuzschiffs „Costa Serena“ (mit 3780 Passagieren in Europa Spitze) beschreibt:

And as the doors swing open and sous-chef Fiori makes his way to the table with his tell-tale jug in hand, it’s all I can do to restrain myself from jumping up and down in my seat, clapping my hands and saying in a voice like my 2-year-old: „Do it again! Do it again!“

Das Menü wurde entworfen von dem italienischen Sternekoch Ettore Bocchia („Mistral“ im Grand Hotel Villa Serbelloni, Bellagio). Wahrscheinlich ist es aber ein Bärendienst an der molekularen Gastronomie, sie als „scary name for a simple idea – taking food down to its scientific core and then messing around with it a little“ zu banalisieren, wie Davis es in ihrem Artikel tut.

(Bild: „Costa Serena“ von turismosavona)

Hestons Weihnachtsmenü – "weeping at the sheer beauty of the food"

Jetzt müsste man in den Vereinigten Königreichen wohnensurfen, dann würde man auf dieser BBC-Seite nicht nur die Textmeldung sehen, sondern das große Weihnachtsmenü, das Heston Blumenthal seinen Gästen in der Sendung „In Search of Perfection“ gekocht hat (immerhin gibt es hier ein Foto von dem Essen).

blumenthal.png

Grandios, wie der Fat Duck-Koch es schafft, zu polarisieren. Die einen halten seine Suche nach Rentiermilch für übertrieben oder gar krankhaft; die anderen sind begeistert, erstaunt und überwältigt von seiner visionären Küche – „food that no-one will ever cook“ – und sehen in ihm längst keinen Koch mehr, sondern einen postmodernen Alchemisten. Allein das Sorbet mit Pfeifenrauch- und Ledersesselaroma! Oder der Gänsebraten der etwas aufwändigeren Art:

He fed his goose (turkey is so not him) with pine-feed so it would taste of Christmas. Alongside the goose, he served a chestnut velouté in a bell jar that contained the smell of chestnuts roasting on an open fire.

Ich glaube, ich fliege am Sonntag nach London um mir die Wiederholung anzusehen.

"Jetzt ist eben die Küche dran" – FAZ lobt TV-Köche

Jakob Strobel y Serra bricht in der FAZ eine Lanze für das Kochfernsehen. Ausgangspunkt ist die immer wieder geäußerte Klage der TV-Kritiker, es gäbe zu viele (zwangsläufig schlechte) Kochsendungen im deutschen Fernsehen:

Sie unterwirft Kochsendungen einem viel strengeren Urteil als den großen Rest des Fernsehprogramms und verlangt von ihnen einen didaktischen Impetus, eine Moralität, als sei das Fernsehen eine Schillersche Erziehungsanstalt mit kulinarischem Klassenzimmer.

Doch diese Kritik läuft nach Strobel y Serra ins Leere, da man an der kulinarischen Kultur der Deutschen gar nicht viel kaputtmachen kann. Im Gegenteil: „Schön wär’s, gäbe es viel zu ruinieren.“ Insofern können auch die Kochsendunge im Unterhaltungsprogramm einen Beitrag dazu leisten, dass in deutschen Küchen ein bisschen mehr ausprobiert wird.

Wobei er damit streng genommen nichts weiter tut, als die Medienkritik durch eine Kulturkritik zu ersetzen. Ein Blick auf die höchst lebendige und experimentierfreudige Genussblogszene hätte Strobel y Serra allerdings gezeigt, wo das kulinarische Deutschland zu finden ist, das sich der fastfoodianischen und TV-kulinarischen Unmündigkeit entledigt hat, und dabei gelernt hat, sich seines eigenen VerstandesGeschmackes zu bedienen. Auf die Masse zu schimpfen ist da doch etwas billig.

30 Weihnachtstipps von Heston Blumenthal

garrett-buffet.jpgWeihnachtszeit ist Rezeptezeit. Und da gilt es zu beweisen, dass die molekulare Küche zu mehr taugt als zu sternedekorierten Degustationsmenüs in 25 Gängen. Die Frage lautet jetzt: Was leistet die molekulare Küche bei feiertagspraktischen Problemen mit Gans, Ente und Kartoffeln. So stellten die Leser des Independent am vergangenen Freitag Heston Blumenthal zur Rede und fragten unter anderem danach,

  • ob Gänseschmalz tatsächlich das Nonplusultra für Bratkartoffeln sei
    (Antwort: Nicht unbedingt, denn zu knusprigeren Resultaten führt Olivenöl, in dem zuvor des Geschmacks wegen ein paar Kartoffelschalen bei niedriger Temperatur mehrere Stunden gegart wurden)

  • welches Küchenspielzeug man sich dieses Jahr wünschen solle
    (Antwort: Trockeneis)

  • wie man den Truthahn perfekt goldbraun und saftig hinbekomme
    (Antwort: Sehr lange bei niedrigeren Temperaturen, etwa 60°C, garen und dann kurz bei 250°C bräunen, siehe dazu auch unsere Experimente mit der sous-vide-Garmethode)

  • welche Musik man zum Weihnachtsessen hören sollte
    (Antwort: frühen Äthiopischen Avantgardejazz oder Dr Rubberfunk)

  • wie man mit wenig Geld ein tolles Weihnachtsmenü anbieten kann
    (Antwort: Mehr Kartoffeln als üblich, vielleicht eine Schweineschulter anstelle des Truthahns)

  • wie man ohne Stress durch die Feiertage kommt
    (Antwort: Das Geschenkekaufen an die Frau delegieren)

  • welches Kochbuch man sich wünschen sollte
    (Antwort: Theodore Francis Garretts „Encyclopaedia of Practical Cookery, Band I und II„, in der unter anderem ein 170-Gänge-Menu von König George en detail beschrieben wird)

Alles weitere gibt es in dem Zeitungsartikel zu lesen. Und wem das noch nicht genug Blumenthal-Weihnachten ist, der kann auch noch die folgenden Artikel mitnehmen:

(Abbildung: Tischdekoration aus dem oben erwähnten Werk „The Encyclopaedia of Practical Cookery“, vielen Dank an Historic Food für das Bild)

Chocolat coulant

chocolate.pngSchokolade und Blauschimmelkäse? Nicht unbedingt die Paarung, an die man auf Anhieb denkt, wenn es gilt eine leckere Nachspeise zu backen. Aber die aromentheoretische Verbindung, die Foodpairing anzeigt, lässt sich mit Heston Blumenthals (bzw. ursprünglich Michael Bras) „Chocolat coulant“-Rezept (siehe auch hier eine käselose Variante) überprüfen:

Auf dieser Seite der Royal Society of Chemistry gibt es noch weitere schöne Videos aus Blumenthals molekularer Küche. Dabei bietet es sich an, gleich noch nebenan ein bisschen Küchentheorie durchzuarbeiten. Vielleicht will die Gesellschaft deutscher Chemiker ja auch einmal mit einem derart ansprechenden küchenchemischen Angebot nachziehen?

"Die Molekül-Küche" von Thomas Vilgis

Die Molekül-KücheDie Maßstäbe, mit denen die „Die Molekül-Küche“ (S. Hirzel) von Thomas Vilgis zu messen ist, dürften klar sein: Wer ein Buch schreibt, das versucht, küchenwissenschaftliche Aufklärung mit Geschmack und Genuss zu verbinden, tritt in die mächtigen Fußstapfen von Hervé This. Dieser hat in seinen beiden Grundlagenwerken zur molekularen Gastronomie zum einen Chemie und Physik von Saucen, Emulsionen und Garmethoden überaus anschaulich dargestellt und anschließend ausgewählte molekulare Kochrezepte vor diesem Hintergrund präsentiert.

Genauso geht auch der theoretische Physiker Thomas Vilgis vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung vor, dessen Molekül-Küche nunmehr in der sechsten Auflage vorliegt. In dem Buch behandelt Vilgis die Chemie und Physik von Farbstoffen, Aromastoffen, Temperaturen, Garvorgängen, Zubereitungsmethoden, Saucen, Pökeln, Marinaden, Kristalle, Emulsionen, Hydrokolloide, Schäume, Milchprodukte, Teige, Kaffee und Schokolade. Dabei werden die theoretisch erklärenden Abschnitte – unter dem Titel „Genetische Sommertränen“ geht es zum Beispiel um Propanthial-S-Oxid, Thiosulphat und LF-Synthase oder etwas verständlicher: die Biochemie des Tränenflusses beim Zwiebelschälen – immer wieder mit kurzen Rezeptenvorschlägen unterbrochen: von parmesanisiertem Spinat über Marsaillaiser Bouillabaisse à la Lotte flotte bis hin zum bereits in unserem Blog erfolgreich nachgekochten indischen Paneer.

Nach über 200 Seiten anschaulicher und wundervoll zu lesender Genießerprosa auf hohem wissenschaftlichem Niveau steht als Resümee fest: Der Vilgis sollte nicht nur einen Stammplatz in jedem molekulargastronomischen Bücherfach erhalten, sondern schafft sogar das Kunststück, den Thies in einigen Punkten zu übertreffen. In der wissenschaftlichen Erklärungstiefe, der systematischen Darstellung der Küchenchemie und vor allem in der sehr bodenständigen Art der Wissensvermittlung, die selten dozierend auftritt, sondern den Leser (und Experimentator) immer wieder dazu anregt, sich auf das eigene Augenmaß zu verlassen und die dargestellten Inhalte selbst zu begreifen und zu erschmecken.

Thomas Vilgis: Die Molekül-Küche. Physik und Chemie des feinen Geschmacks, Stuttgart, S. Hirzel Verlag, 2006, ISBN 9783777613703, 19,80 EUR.

Brodelwarnung

Kein Weihnachtsmarkt ohne Glühwein, keine Weihnachtszeit ohne Lebensmittelpanik. Dieses Mal kommt beides zusammen und munter wird der Glühwein dafür diskriminiert, krebserregende Stoffe zu beinhalten. Denn, so die Verbraucherschützer, wenn man das Getränk zu stark erhitzt, dann werden Zucker und Kohlehydrate zersetzt und bilden die Aldehyd- und Furan-Verbindung Hydroxymethylfurfural (HMF). Und diese Substanz ist nicht nur ein potentieller Bioenergieträger oder Polyestergrundstoff sowie ein mögliches Heilmittel für die Sichelzellenanämie, sondern vielleicht auch ein Karzinogen. HMF ist auch in Honig enthalten, weswegen auch davon abgeraten wird, Honig zu erhitzen. Und wer hat“s entdeckt? Der große Urvater der Molekularküche natürlich: Louis Maillard.

Farbenspiele II: Rotkohl / Blaukraut

Und da wir gerade schon einmal beim pH-Wert sind: Es gibt so viele leckere Rotkohl/Blaukraut-Rezepte, an denen man ganz praktisch die Wirkung von Säuren und Basen auf die im Rotkohl enthaltenen Anthocyane testen kann, zum Beispiel dem Elsässer Rotkohl mit Maronen. Sehr rot und überaus wohlschmeckend.

Zutaten

  • 1/2 Rotkohl
  • 100g Speck, in Streifen geschnitten
  • 10 Maronen
  • Bund aus Petersilie, Thymian und Lorbeer
  • Zwiebel, gespickt mit einer Nelke
  • 1-2 Esslöffel Essig
  • etwas Kalbsfond

Zubereitung

  1. Rotkohl waschen, trocknen, in feine Streifen schneiden und in einem Topf mit kochendem Wasser sechs Minuten kochen. Abtropfen lassen.
  2. Edelkastanien kreuzweise einschneiden und im sehr heißen Ofen erhitzen bis sie aufplatzen. Herausnehmen und schälen.
  3. In einem hohen Topf eine Schicht Rotkohl, Speck und Kastanien anordnen, dann eine weitere Schicht Rotkohl mit der Zwiebel und den Gewürzen und schließlich den Rest Speck, Kastanien und Rotkohl daraufgeben. Salzen und pfeffern und mit etwas Kalbsfonds und dem Essig aufgießen. Wenn der Rotkohl beim Kochen blau geworden ist, nimmt er an dieser Stelle wieder ein sattes violett oder dunkelrot an. Ganz zum Schluss noch ein paar Butterflocken oben drauf geben.
  4. Deckel auf den Topf und zum Kochen bringen. Sobald der Rotkohl kocht geht es weiter:
  5. Mit einer Alufolie die Oberfläche gut abdecken und bei 180° für zwei bis zweieinhalb Stunden in den Ofen.

Die Farbenspiele des Spargelkohls

6a00c225222d048e1d00e398c16ee90002-500pi.jpgTar von Tech/food/rant setzt sich in diesem Post mit den verschiedenen Farbvarianten auseinander, die Brokkoli nach dem Kochen annehmen kann. Abhängig von den zugegebenen Chemikalien – Natriumcarbonat, Backpulver, Natriumtartrat und Weinsäure – entstehen unterschiedliche Farbtöne von schön grün (Natriumcarbonat) bis unansehlich braun (Weinsäure). (via Kompottsurfer)

"Abnormal Delicacies"

Egil Valentine, Chef der kreativen Cateringfirma Macondo, betont in diesem Artikel im Daily Texan noch einmal die Selbstverständlichkeit: dass es bei der molekulargastronomischen Dekonstruktion nicht nur darum geht, ohne Rücksicht auf den Geschmack Lebensmittel mit Hilfe von „Sodium alginate, Versa Whip 600, gellan, maltodextrin, calcium chloride, lecithin, methyl cellulose and Activa RM“ in Schäume, Gels und Pulver zu verwandeln:

„Molecular gastronomy is deconstruction. You play with the rules. You play with texture, but flavor is the key – I mean it needs to taste good,“ he said. „That’s a danger in molecular gastronomy. Some people use the techniques of molecular gastronomy, and then the mango tastes weird or doesn’t taste like mango anymore, or it tastes like mango with an accent of something weird. Then the food becomes confusion.“

Für Valentine ist es wichtig, die feine Grenze zwischen Kochen als Kunst und Kochen als Unterhaltung ernstzunehmen, da gerade die molekulare Gastronomie oft dazu neigt, zu sehr auf Wow-Effekte zu setzen. (via)