Monatsarchiv: Dezember 2007

Hestons Weihnachtsmenü – "weeping at the sheer beauty of the food"

Jetzt müsste man in den Vereinigten Königreichen wohnensurfen, dann würde man auf dieser BBC-Seite nicht nur die Textmeldung sehen, sondern das große Weihnachtsmenü, das Heston Blumenthal seinen Gästen in der Sendung „In Search of Perfection“ gekocht hat (immerhin gibt es hier ein Foto von dem Essen).

blumenthal.png

Grandios, wie der Fat Duck-Koch es schafft, zu polarisieren. Die einen halten seine Suche nach Rentiermilch für übertrieben oder gar krankhaft; die anderen sind begeistert, erstaunt und überwältigt von seiner visionären Küche – „food that no-one will ever cook“ – und sehen in ihm längst keinen Koch mehr, sondern einen postmodernen Alchemisten. Allein das Sorbet mit Pfeifenrauch- und Ledersesselaroma! Oder der Gänsebraten der etwas aufwändigeren Art:

He fed his goose (turkey is so not him) with pine-feed so it would taste of Christmas. Alongside the goose, he served a chestnut velouté in a bell jar that contained the smell of chestnuts roasting on an open fire.

Ich glaube, ich fliege am Sonntag nach London um mir die Wiederholung anzusehen.

Die Reaktion der bodenständigen Kost

Und weiter geht es: die Reaktion schlägt zurück. Urs Bühler schreibt in der Kolumne „Mit Leib und Seele“ in der Neuen Züricher Zeitung:

Was bleibt, wenn hochtrabende Begriffe wie «fusion kitchen» verblassen oder wenn die ganze Aufregung um molekulare Küche sich einmal gelegt hat? Ein Müsliblätter-Chüechli, das längst vergessen geglaubten Salbeiduft verbreitet […]
Wer also für Heiligabend einen Braten oder ein simples Rollschinkli auf die Festtafel zu stellen gedenkt, statt mit flüssigem Stickstoff zu hantieren, Lammhirn mit Garnelen zu kombinieren oder ein Curry mit Lebkuchen zu fusionieren, liegt ganz gewiss nicht falsch.

Was ist da schief gegangen? Das läuft jetzt so ähnlich, wie damals, als der Vorwurf in aller Munde kam, Nouvelle Cuisine, das wären drei rohe Erbsen und eine Tomate auf einem Teller. Woher kommt denn diese Häme? Wer hat denn wirklich schonmal darunter gelitten, dass er ein mit Stickstoff gekochtes Menü essen musste! So als ob es das jetzt in jeder Pommes-Bude zu kaufen gäbe.

Da nehmen wir wieder einmal die 23 Thesen von Adrià zur Hand, beispielweise These 3:

„Alle Produkte haben den gleichen gastronomischen Wert, unabhängig vom Preis“

Klarer gehts denke ich nicht.

In der Tradition der neuen "cuisine molecular"

Ist das nicht ein schönes Oxymoron: schon hat die Molekularküche eine Tradition! Das Wiesbadener Tagblatt berichtet uns vom Restaurant von Doris und Bernd Wagner im Opelbad in Wiesbaden.

in der Tradition der neuen „cuisine molecular“: „Essen ist ein Event geworden, die Leute wollen nicht mehr so viel essen, aber von vielem probieren – darauf richten wir uns ein. Auf kleinen Tellerchen kann mal also kleine Portionen unterschiedlichster Speisen kosten.“

Das wars also: kleine Tellerchen – Molekül bedeutet ja auch „kleine Masse“ … definitiv eine sehr weite Auslegung. Die Speisekarte des betreffenden Restaurants hat dann doch mehr die alte Tradition zu bieten (Kalbsragout „Prinzess“, Kräutersüppchen etc.).

Moleculare Mixology – ruhe in Frieden!

In Bitters Blog lesen wir einen interessanten Beitrag über die „Beerdigung der Molekular Mixology“ – wir hatten auch schon mal davon … – , bevor sie wirklich zum Trend geworden war. Das da beschriebene Unwohlsein beschleicht auch uns von Zeit zur Zeit. Over-Exposure und ständiger Hype haben schon mach lustige Sache vorzeitig den Garaus gemacht.

Aber: es ist ja nicht die Terminologie die gute Küche (bzw. eine gute Bar) ausmacht. Und was die Kollegen im Bitters Blog als den Bar-Trend „Cuisine Style“ beschreiben, nämlich den Einsatz von Gewürzen und anderen Ingredentien, klingt zumindest artverwand zur molekularen Sicht der Dinge.

Es spricht doch einiges dafür, für die neue Epoche der Küche einen neuen Begriff zu suchen. „Nueva Nouvelle Cuisine“ wie Adrià vorschlägt, ist so ähnlich wie Neomoderne. Was kommt danach? Die Neo Nueva Nouvelle Cuisine?

Lieber Leser: nur her mit den Vorschlägen!

Isn't everything a chemical?

Hier eine aktuelle Besprechung der
Kulinarischen Geheimnisse von Hervé This.

Die Columbia Universität veröffentlicht auf ihrem Server die Kapitel über Tee und Alkohol.

"Jetzt ist eben die Küche dran" – FAZ lobt TV-Köche

Jakob Strobel y Serra bricht in der FAZ eine Lanze für das Kochfernsehen. Ausgangspunkt ist die immer wieder geäußerte Klage der TV-Kritiker, es gäbe zu viele (zwangsläufig schlechte) Kochsendungen im deutschen Fernsehen:

Sie unterwirft Kochsendungen einem viel strengeren Urteil als den großen Rest des Fernsehprogramms und verlangt von ihnen einen didaktischen Impetus, eine Moralität, als sei das Fernsehen eine Schillersche Erziehungsanstalt mit kulinarischem Klassenzimmer.

Doch diese Kritik läuft nach Strobel y Serra ins Leere, da man an der kulinarischen Kultur der Deutschen gar nicht viel kaputtmachen kann. Im Gegenteil: „Schön wär’s, gäbe es viel zu ruinieren.“ Insofern können auch die Kochsendunge im Unterhaltungsprogramm einen Beitrag dazu leisten, dass in deutschen Küchen ein bisschen mehr ausprobiert wird.

Wobei er damit streng genommen nichts weiter tut, als die Medienkritik durch eine Kulturkritik zu ersetzen. Ein Blick auf die höchst lebendige und experimentierfreudige Genussblogszene hätte Strobel y Serra allerdings gezeigt, wo das kulinarische Deutschland zu finden ist, das sich der fastfoodianischen und TV-kulinarischen Unmündigkeit entledigt hat, und dabei gelernt hat, sich seines eigenen VerstandesGeschmackes zu bedienen. Auf die Masse zu schimpfen ist da doch etwas billig.

30 Weihnachtstipps von Heston Blumenthal

garrett-buffet.jpgWeihnachtszeit ist Rezeptezeit. Und da gilt es zu beweisen, dass die molekulare Küche zu mehr taugt als zu sternedekorierten Degustationsmenüs in 25 Gängen. Die Frage lautet jetzt: Was leistet die molekulare Küche bei feiertagspraktischen Problemen mit Gans, Ente und Kartoffeln. So stellten die Leser des Independent am vergangenen Freitag Heston Blumenthal zur Rede und fragten unter anderem danach,

  • ob Gänseschmalz tatsächlich das Nonplusultra für Bratkartoffeln sei
    (Antwort: Nicht unbedingt, denn zu knusprigeren Resultaten führt Olivenöl, in dem zuvor des Geschmacks wegen ein paar Kartoffelschalen bei niedriger Temperatur mehrere Stunden gegart wurden)

  • welches Küchenspielzeug man sich dieses Jahr wünschen solle
    (Antwort: Trockeneis)

  • wie man den Truthahn perfekt goldbraun und saftig hinbekomme
    (Antwort: Sehr lange bei niedrigeren Temperaturen, etwa 60°C, garen und dann kurz bei 250°C bräunen, siehe dazu auch unsere Experimente mit der sous-vide-Garmethode)

  • welche Musik man zum Weihnachtsessen hören sollte
    (Antwort: frühen Äthiopischen Avantgardejazz oder Dr Rubberfunk)

  • wie man mit wenig Geld ein tolles Weihnachtsmenü anbieten kann
    (Antwort: Mehr Kartoffeln als üblich, vielleicht eine Schweineschulter anstelle des Truthahns)

  • wie man ohne Stress durch die Feiertage kommt
    (Antwort: Das Geschenkekaufen an die Frau delegieren)

  • welches Kochbuch man sich wünschen sollte
    (Antwort: Theodore Francis Garretts „Encyclopaedia of Practical Cookery, Band I und II„, in der unter anderem ein 170-Gänge-Menu von König George en detail beschrieben wird)

Alles weitere gibt es in dem Zeitungsartikel zu lesen. Und wem das noch nicht genug Blumenthal-Weihnachten ist, der kann auch noch die folgenden Artikel mitnehmen:

(Abbildung: Tischdekoration aus dem oben erwähnten Werk „The Encyclopaedia of Practical Cookery“, vielen Dank an Historic Food für das Bild)

Chocolat coulant

chocolate.pngSchokolade und Blauschimmelkäse? Nicht unbedingt die Paarung, an die man auf Anhieb denkt, wenn es gilt eine leckere Nachspeise zu backen. Aber die aromentheoretische Verbindung, die Foodpairing anzeigt, lässt sich mit Heston Blumenthals (bzw. ursprünglich Michael Bras) „Chocolat coulant“-Rezept (siehe auch hier eine käselose Variante) überprüfen:

Auf dieser Seite der Royal Society of Chemistry gibt es noch weitere schöne Videos aus Blumenthals molekularer Küche. Dabei bietet es sich an, gleich noch nebenan ein bisschen Küchentheorie durchzuarbeiten. Vielleicht will die Gesellschaft deutscher Chemiker ja auch einmal mit einem derart ansprechenden küchenchemischen Angebot nachziehen?

"Die Molekül-Küche" von Thomas Vilgis

Die Molekül-KücheDie Maßstäbe, mit denen die „Die Molekül-Küche“ (S. Hirzel) von Thomas Vilgis zu messen ist, dürften klar sein: Wer ein Buch schreibt, das versucht, küchenwissenschaftliche Aufklärung mit Geschmack und Genuss zu verbinden, tritt in die mächtigen Fußstapfen von Hervé This. Dieser hat in seinen beiden Grundlagenwerken zur molekularen Gastronomie zum einen Chemie und Physik von Saucen, Emulsionen und Garmethoden überaus anschaulich dargestellt und anschließend ausgewählte molekulare Kochrezepte vor diesem Hintergrund präsentiert.

Genauso geht auch der theoretische Physiker Thomas Vilgis vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung vor, dessen Molekül-Küche nunmehr in der sechsten Auflage vorliegt. In dem Buch behandelt Vilgis die Chemie und Physik von Farbstoffen, Aromastoffen, Temperaturen, Garvorgängen, Zubereitungsmethoden, Saucen, Pökeln, Marinaden, Kristalle, Emulsionen, Hydrokolloide, Schäume, Milchprodukte, Teige, Kaffee und Schokolade. Dabei werden die theoretisch erklärenden Abschnitte – unter dem Titel „Genetische Sommertränen“ geht es zum Beispiel um Propanthial-S-Oxid, Thiosulphat und LF-Synthase oder etwas verständlicher: die Biochemie des Tränenflusses beim Zwiebelschälen – immer wieder mit kurzen Rezeptenvorschlägen unterbrochen: von parmesanisiertem Spinat über Marsaillaiser Bouillabaisse à la Lotte flotte bis hin zum bereits in unserem Blog erfolgreich nachgekochten indischen Paneer.

Nach über 200 Seiten anschaulicher und wundervoll zu lesender Genießerprosa auf hohem wissenschaftlichem Niveau steht als Resümee fest: Der Vilgis sollte nicht nur einen Stammplatz in jedem molekulargastronomischen Bücherfach erhalten, sondern schafft sogar das Kunststück, den Thies in einigen Punkten zu übertreffen. In der wissenschaftlichen Erklärungstiefe, der systematischen Darstellung der Küchenchemie und vor allem in der sehr bodenständigen Art der Wissensvermittlung, die selten dozierend auftritt, sondern den Leser (und Experimentator) immer wieder dazu anregt, sich auf das eigene Augenmaß zu verlassen und die dargestellten Inhalte selbst zu begreifen und zu erschmecken.

Thomas Vilgis: Die Molekül-Küche. Physik und Chemie des feinen Geschmacks, Stuttgart, S. Hirzel Verlag, 2006, ISBN 9783777613703, 19,80 EUR.

Emincé vom Huhnnach Hervé This

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Ein klassiker der Molekularen Küche, frei nach Hervé This „Kulinarische Geheimnisse“. Der Witz ist die saure Marinade, genau wie beim Zarten Huhn von Papua. Durch die Säure wird das Eiweis denaturiert. Dadurch ist das Fleisch vorgegart ohne durch Hitze trocken oder zäh zu werden (s. Abb.)

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Hühner- oder Putenbrust
Knoblauchzehen
ca. 20 kleine Zwiebeln oder Schalotten
2-3 Zitronen
Weißwein
Hühnerbrühe
Sahne
Zucker
Thymian
Lorbeer
Pfeffer
Meerrettich

Hühnerbrust in gleichmäßige ca. daumendicke Streifen schneiden. In einem Topf zusammen mit den Zwiebeln, Lorbeer, und Thymianzweig mit dem Saft der Zitronen und dem Wein bedecken.
Mindestens 2 Stunden marinieren.

Nach Ende der Marinierzeit die Zwiebeln mit etwas Zucker und Salz in Butter anschwitzen. Mit Hühnerbrühe, etwas Wein und einigen Löffeln aus der Marinade bedecken und leise kochen lassen. Wenn die Zwiebeln fertig sind, aus der Brühe nehmen.

Die Hühnerstreifen in Butter heiß anbraten, dass sie schön braun werden. Aus der Pfanne nehmen. Mit der Brühe aufgießen und mit etwas Sahne die helle Sauce abschmecken.

Frisch geriebenen Meerrettich dazu. Z. B. mit Reis servieren.