Kategorie-Archiv: rezepte

Cervelle de Canut

Der Aufstand der Seidenweber von Lyon 1830 gilt als die erste gewaltsame Erhebung des Industriezeitalters und markiert einen Wendepunkt in der europäischen Sozialgeschichte. Mit der Revolution von 1830 setzt sich das liberale Bürgertum endgültig gegen die letzten Reste der Aristokratie durch und als die neue, herrschende Klasse von den Proletariern ab. Die Weber, die bisher als selbständige Handwerker Eigentümer ihrer Webstühle waren, verloren ihr spärliches Einkommen an die dampfbetriebenen Textilfabriken. Lyon, seit dem Mittelalter das Zentrum der Seidenproduktion, drohte zu verarmen. Der Aufstand der Weber wird mit militärischer Gewalt brutal niedergeschlagen. Der „Klassenkampf“ hat begonnen.

Auf französisch heißen die lyonnaiser Seidenweber „Les Canuts“. Die Herkunft dieses Namens ist unklar. Zwar ist Canut die französische Form des skandinavischen Knut, es erscheint aber wenig logisch, warum die Weber in Lyon „die Knuts“ genannt worden sein sollten. Wahrscheinlicher ist die Ableitung von Canette, die Spindel.

cervelle_de_canut1Es mag sein, dass es die Verachtung reicher lyonnaiser Bürger war, ihren aufgeschlagenen Frischkäse oder Quark Cervelle de Canut zu nennen, Seidenweberhirn. Paul Lacombe, Chéf und Gründer der bekannten Brasserie Léon de Lyon, von dem das Rezept 1934 erstmalig niedergeschrieben wurde, dürfte allerdings so eine negative Assoziation kaum noch gehegt haben. Manche Fans seiner Küche unterstellen ihm sogar eher, dem Weberaufstand ein kulinarisches Denkmal gesetzt zu haben. Wir haben an anderer Stelle diese Form des symbolischen Kanibalismus bereits beschrieben. Der gruselige Name könnte sich aber auch einfach von der Optik herleiten: Lamm-Hirn war ein typisches Festessen armer Leute in Frankreich und der weißlich-gelbe Klumpen Käse mag daran erinnern.

Wie dem auch sei – Cervelle de Canut gehört zu den ganz großartigen und einfachen Rezepten der lyonnaiser Küche:

Rezept

  • Frischkäse (am besten fetter, milder Ziegenkäse; nicht so gut geeignet für dieses Rezept ist grichischer Feta)
  • Creme Fraiche – kann man aber weglassen, wenn der Käse fett genug ist oder einfach etwas mehr Olivenöl nehmen.
  • Kräuter (in Lacombes Original-Rezept Kerbel, Schnittlauch und Petersilie, sehr gut passt auch Estragon oder Thymian)
  • Schalotten
  • Olivenöl
  • Weißweinessig
  • Salz, Pfeffer

Den Käse zusammen mit dem Öl, dem Essig, Kräutern, Salz und Pfeffer mit einer Gabel aufschlagen. Immer ein wenig Öl und Essig zugeben, bis der Käse die gewünschte Cremigkeit erreicht hat. Zum Schluss die feingehackten Schalotten unterrühren.

Der Essig lässt ganz andere Aromen des Käse hervortreten und erlaubt, zusammen mit dem Öl, alle Geschmacksstoffe der Kräuter zu entfalten – seinen sie polar oder fettlöslich.

Im Winter kann man das Cervelle de Canut auch mit Trüffelöl statt Kräutern zubereiten.

Neben einem Meursault schmeckt auch eine Maracuja sehr gut zu diesem Brotaufstrich.
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Wohliger Wolfsbarsch

»Daunischer Seebarsch besucht den Mund des Enganeus Timavus,
Wo mit dem Salze des Meers süßes Wasser er schlürft« (Martius)

Wolfsbarsch

Es überrascht wohl kaum, dass nach Plinius der beste Wolfsbarsch dort zu Hause ist, wo wenige Generationen zuvor Romulus und Remus an den Zitzen der kapitolinischen Wölfin saugten. Leider war in München kein römischer Loup de Mer aufzutreiben, auch die daunigen oder wolligen Wolfsbarsche aus Triest, von denen Martial so schwärmte, gab es auf die Schnelle nicht.

Man sagt, der Lupus hätte eine heimliche Vorliebe für Unrat, den er mit offenem Mund durch das Wasser gleitend verspeise und in festkochendes, saftiges, wenn auch bisweilen etwas muffiges Muskelgewebe verwandelt. Vermutlich ist es schon in der Antike ein gutes Mittel gegen den allzu heftigen Haut-goût des Kanalbarsches gewesen, ihn mit ordentlich Thymian und Rosmarin zu würzen und zu kochen. Thymol wirkt zwar äußerst stark antibakteriell, ist aber geschmacklich trotzdem noch zurückhaltend, so dass damit der Fisch nicht kaputtgewürzt wird. Und außerdem: Dieser Fisch hält’s aus. Dieser Daunenfisch kommt aus griechischer Aquakultur.

Für den historischen Koch wäre das aber auch kein Problem. Schon in der Antike hielt man den Wolfsbarsch in Zuchtbecken in Flussmündungen, denn der Hunger Roms nach Fisch war grenzenlos. Plinius jammerte schon darüber, dass Fisch auf dem Markt bereits teuer gehandelt werde als die dafür notwendigen Köche. Im Falle von Ferran Adrià, von dem dieses einfache und klassische Rezept kommt (aus seinem sehr geerdeten Werk Familienessen), wäre ich mir da aber nicht sicher. Sehr viel Koch braucht man für dieses herrliche Abendessen aber auch nicht. Wie die besten Gerichte der Kulturgeschichte, kocht es sich von selbst.

Loup de Mer in der Pfanne

Zutaten:

  • Loup de Mer, ca. einen pro Person
  • 2 Kartoffeln pro Person
  • 2 Tomaten pro Person
  • 1 Zwiebel pro Person
  • Je nach Geschmack 1-2 Knoblauchzehen pro Person
  • Gewürze: Rosmarin, Thymian, Salz, Pfeffer
  • Olivenöl

Zubereitung:

  1. Die Fische entschuppen oder auch nicht. Je nachdem, ob man die Haut mitessen möchte oder nicht. Innereien entfernen und Flossen unten, oben, hinten und an der Seite mit der Schere abschneiden.
  2. Die Fische auf jeder Seite dreimal tief einschneiden und innen wie außen salzen und pfeffern.
  3. Kartoffeln und Tomaten in maximal 1cm dicke Scheiben schneiden. Die Zwiebeln feiner schneiden. Den Knoblauch mit Schale zerdrücken.
  4. Backofen auf 180°C vorheizen.
  5. In ein geeignetes Gefäß (z.B. eine Gusseisenpfanne) mit der Hälfte des Gemüses eine Schicht Kartoffeln, eine Schicht Tomaten und eine Schicht Zwiebeln auslegen. Würzen und ölen. Dann mit dem Rest die zweite Schicht legen. Erneut würzen, ölen und den Knoblauch dazugeben. Die Pfanne mit Alufolie abdecken und für ca. 30 Minuten in den Ofen.
  6. Danach den Backofen etwas heißer stellen, die Alufolie entfernen und die Fische auf das Gemüsebett legen. Jetzt noch gute 10 Minuten garen, bis der Fisch gar ist. Noch einmal ein bisschen Rosmarin und Thymian darüberstreuen (insbesondere, wenn es ein Lupus aus dem Tiber ist) und servieren.

Loup de Mer mit Gemüse

Sauerbraten

„Ich dachte nicht dass Sie mir entgehen könnten, drum kam ich halb achte wieder wie die Tauben zum gewohnten Futter. In Ihrer Abwesenheit lass ich mir doch etwas Sauerbraten hohlen, und geb Ihnen dagegen eine gute Nacht. Adieu. Grüsen Sie Steinen.“

d. 25. May 1780. G.
(Goethe an Charlotte vom Stein)

Nach einer Pause von fast vier Jahren haben wir zum Jahreswechsel einen Vorsatz gefasst: wir fangen wieder an, über das Kochen zu bloggen. Was liegt näher, als eines der ganz alten Rezepte molekularer Küche zu beschreiben: den Sauerbraten.

Fleisch sauer einzulegen hat mehrere Vorteile: zähes Fleisch wird zart – die Säure denaturiert das Eiweis, man könnte das als eine Art Vorverdauen bezeichnen. Zum zweiten halten sich Pickles länger. Kein Wunder, dass Säure vor allem in Gegenden, fern vom Meer, wo das Salz teuer war, als Konservierungsmittel eingesetzt wurde. (Über den notorischen Surströmming aus Schweden hatten wir ja schon geblogt). Beides prädestiniert dem Sauerbraten zu einem der Standardgerichte im deutschen Binnenland.

W ‘verbreitet’ sich über die Zubereitung von Pferde=Sauerbraten.
Arno Schmidt, Zettels Traum

Da es einfachen Bauern kaum möglich war, genügend Futter für die Überwinterung großer Tiere einzulagern, mussten bis in die Neuzeit im Dezember alle Rinder geschlachtet werden, bis auf wenige, besonders kräftige und gesunde Tiere, die zur Weiterzucht und für die Spannarbeit unverzichtbar waren. Entrecôte oder Filet wurden abgehangen und direkt verzehrt. Die weniger schöne Stücke konnte man als Sauerbraten einlegen, der Rest wurde verwurstet. Auch das Fleisch älterer Pferde wurde als Sauerbraten noch genießbar – bis ins 20. Jahrhundert ist der traditionelle Sauerbraten in vielen Gegenden, wie z.B. dem Rheinland aus Pferdefleisch.

»So was man auf dem Dorfe hat, wenn Ausstellung ist. Eine Griessuppe mit Petersilie, grüngenüffte Klöße mit Sauerbraten und Speckgriefen, einen Eierkuchen mit Heidelbeermansch und hinterdrein einen Apfelbrei mit Zimmetgestreu. Das ist gar etwas Gutes. Man hat es nicht alle Tage, nicht einmal alle Jahre!«
Karl May, Erzgebirgische Dorfgeschichten

Im 19. Jahrhundert wird der Sauerbraten zum Inbegriff des Gutbürgerlichen – von Münchhausen bis Hackländer. So darf der Sauerbraten auch nicht fehlen, wenn in einem aktuellen Kochbuch zu „Essen und Trinken mit Heinrich Heine“ Rezepte vorgestellt werden, „die dem Gourmet Heine gefallen haben dürften“, wie der Autor vermutet.

Recht mittelalterlich ist auf jeden Fall die süß-saure Würze geblieben – Nelken, Piment, Kardamom, Senf, Pfeffer, Wachholder, Zimt. Duftende Gewürze hatten in Zeiten vor Erfindung der Kühlkette vor allem den Zweck, einsetzende Verwesungsaromen zu übertönen; besonders Zimt wird als Antidot bis heute von der Lebensmittelindustrie in der industriellen Fleischproduktion eingesetzt.

In heutigen Online-Rezeptsammlungen dominieren fertige Würzmischungen, was zu diesem preiswerten und eher derben Rezept eine nicht ganz unpassende zeitgenössische Entwicklung darstellt. Wir dagegen wollen einen traditionellen Sauerbraten beschreiben, sehr bürgerlich und festtäglich.

Rezept

    Rinderschulter (oder andere, durchwachsene Stücke)

Für die Marinade:

  • 1l Rotweinessig
  • 1l Rotwein (Burgunder)
  • bis zu 1l Wasser
  • 2-3 Zwiebeln, in Achteln
  • 2 Karotten, geviertelt
  • Sellerie, Petersilienwurzel
  • 2 TL Senfkörner
  • 1 TL Weißer Pfeffer (ungemalen)
  • 1 TL Nelken (ungemalen)
  • einige Wachholderbeeren
  • einige Pimentfrüchte (ungemalen)
  • Zitronenschale von einer halben Zitrone
  • Salz
  • (evtl. Kardamom, ungemalen, eine Zimtstange)

Für die Sauce

  • Rinderbrühe
  • Suppengrün
  • Dörrpflaumen
  • Lebkuchen

Alle Zutaten für die Marinade in einen Topf geben und kurz, kräftig aufkochen. Abkühlen lassen, das Fleisch hineingeben und mit Wasser auffüllen, bis das Stück ganz bedeckt wird. Mindestens drei und bis zu acht Tage zugedeckt an einem kühlem Ort stehen lassen. Wichtig: wegen der Säure entweder einen Edelstahltopf verwenden oder die Marinade zum beizen in ein Keramikgefäß umgießen.

Suppengrün (evtl. mit Speck) in einem Bräter anbraten, mit reichlich Marinade ablöschen. Gleichzeitig das Fleisch in einer schweren Pfanne von allen Seiten kurz sehr scharf anbraten. Das Fleisch herhausnehmen und in den Bräter geben, die Pfanne mit der Brühe ablöschen, ebenfalls in den Bräter schütten.

Bei 120°C im Rohr für 2-3 Stunden braten lassen, dabei ständig beschöpfen.
Braten herausnehmen und ruhen lassen.

Für die Sauce Dörrpflaumen in der Beize einlegen. In einem Topf fein zerkrümelte Lebkuchen in Butter zu einer Art Mehlschwitze verrühren, mit der Flüssigkeit aus dem Bräter aufkochen. Die Dörrpflaumen ausdrücken und in die Sauce geben.

Wir haben den Sauerbraten zu Silvester mit Spätzle und Rosenkohl gegessen.
Am liebsten esse ich den Sauerbraten aber als Sandwich.

Sauerbratensandwich

Kalbsrouladen mit geschmalzner Brezenfarce

Pretze, Crustula, Ranftlein oder Plechlein – kaum ein Gebildbrot wird mit derart lyrischen Begriffen umschrieben, wie die Brezel. Bei dieser Laugenfrucht wird sogar die sonst so studienrätisch-trockene Wikipedia schwärmerisch und beschreibt – vermutlich von den Zensoren und Deletionisten bislang übersehen – das Idealbild dieser Backware in reifer Kulinarprosa:

Idealerweise hat der in sich symmetrisch verschlungene Teigstrang der Laugenbrezel außen eine knusprig-ledrige Salzkruste und innen einen weichen Hefeteigkörper, ist am sanft geschwollenen Bauch etwas aufgesprungen und saftig, in den dünnen Teigarmen kross, aber nicht trocken.

Bei diesem kollaborativ erstellten Leckerbissen wird die Schwarmintelligenz zur schwärmerischen Intelligenz, die mit dem „sanft geschwollenen Bauch“ das klassische Bildrepertoire frühzeitlicher Fruchtbarkeitskulte bemühen. Die Breze als laugenteigige Wiederkehr der Venus von Willendorf. Aber in diesem Splitter stecken natürlich noch zahlreiche weitere Verweise: von den sexuellen Untertönen der „symmetrisch verschlungenen Teigstränge“ bis hin zu der stenographischen Skizze eines erfüllten Lebens – wer wünscht sich nicht, an seinem Lebensabend als „kross, aber nicht trocken“ bezeichnet zu werden.

Diese assoziativen Felder lassen sich aber mit Hilfe ausgesuchter Begleitzutaten aber noch verfeinern. In farcierter Form kann die Brezel eine an Saftigkeit kaum zu übertreffende Verbindung mit einem saftigen Schnitzel von der Oberschale eines Bio-Kalbes eingehen. Wie auf Twitter bereits angekündigt, nun das Rezept.

Zutaten

  • 2 Brezen (knusprig, ledrig, sanft geschwollen, kross, nicht trocken)
  • 1-2 Eier
  • 100ml Milch
  • Petersilie
  • Zesten von der Zitrone
  • 1 Lauchzwiebel
  • 1 Möhre
  • Butterschmalz
  • 8 dünne Kalbsschnitzel
  • Bier (zum Beispiel Andechser dunkel)
  • Kalbsfond
  • Senf

Zubereitung

  1. Brezen entsalzen. Eine Hälfte sofort essen und herausfinden, ob die Brezel dem oben beschriebenen Idealbild entspricht. In Würfel schneiden und in eine Schüssel zusammen mit den Eiern und der Milch geben. Vollsaugen lassen, bis der „sanft geschwollene Bauch“ bis zur Überreife anschwillt. Dauer: ca. 10-20 Minuten.
  2. Petersilie hacken, Lauchzwiebel und Möhre waschen, putzen und ebenfalls fein hacken. In einer Pfanne 1EL Butterschmalz erhitzen und Lauchzwiebel mit der Möhre leicht anbraten. Danach für wenige Sekunden die Petersilie dazugeben. Die Mischung zusammen mit der ebenfalls klein gehackten Zitrone zu der Brezenmischung geben. Abschmecken mit Salz und Pfeffer und gut verkneten.
  3. Schnitzel abbrausen, trocknen und plattieren. Nach Belieben mit Senf bestreichen und anschließend die Breznfarce großzügig aufbringen. Die Ränder umklappen, das Schnitzel aufrollen und mit Zahnstochern, Spießen oder Nadeln befestigen.
  4. Schmalz in einer tiefen Pfanne erhitzen und die Rouladen darin von allen Seiten anbraten, um die Maillard-Reaktion in Gang zu setzen. Anschließend Bier und Fond angießen und bei schwacher Hitze ca. 30 Minuten köcheln lassen. Rouladen aus der Sauce nehmen, anschneiden und die aufgekochte und mit Salz und Pfeffer abgeschmeckte Sauce darüberträufeln.

Tarte tatin aux coings – Quitten-Tarte-Tatin

Die Quitte, wie der Apfel, Frucht eines Rosengewächses, stammt ursprünglich aus dem Raum des östlichen Mittelmeers. Auch heute liefert allein die Türkei etwa ein viertel der weltweiten Produktion.

In Europa war die Quitte -neben Honig- bis in die Neuzeit wichtigster Lieferant von Süße in der Küche. Der hohe Pektingehalt der Frucht macht sie ausgesprochen gut geeignet für Gelees.
So ist das Quittenbrot, Cottoniack, membrillo auf Spanisch, cotognata in Italien, bis in die Renaissance die am weitesten verbreitete Süßspeise. Das Portugisische Wort für Quitte marmelo gibt denn auch der Marmelade ihren Namen. Recht bekannt sind auch die Quittenrezepte des Nostradamus …

Kocht man die hellgelben Früchte, werden sie zunächst rosa und nehen schließlich die charakteristische, tiefrote Farbe des Quittenbrotes an. Diese eindrucksvolle Farbveränderung stammt von den, im Fruchtfleisch reichlich enthaltenen Phenolen,die beim Kochen zum Teil in Anthocyan zerfallen.

Quitten lassen sich nicht roh verarbeiten; nicht zuletzt deshalb sind ist sie in den letzten Jahrzehnten stark aus der Mode gekommen und zählen heute definitiv nicht mehr zum Standard-Sortiment im Obsthandel.

Rezept

    4-5 Quitten
    150g Zucker
    150g Quittengelee, Apfelgelee, Rosengelee oder Honig
    1 Zitrone
    Vanilleschote, Sternanis

Für den Teig:

    150g Mehl
    100g sehr kalte Butter
    1-2 TL Zucker
    etwas Salz
    ca. 100ml Eiswasser

Die Quitten schälen (ja, ich weiß, die Schale enthält die meisten Aromen, aber in der Tarte schmeckt sie nicht gut.), vierteln und in ca. 2l Wasser mit dem Zucker, dem Gelee, der halbierten Zitrone und den Gewürzen köcheln, bis sie einigemaßen weich sind.

Abgießen. Den Sud auffangen und zu einem Sirup einkochen lassen. Die Quitten beiseite stellen.

Für den Teig Mehl, Zucker und Salz vermischen. Die in kleine Stückchen geschnittene kalte Butter dazugeben und kurz durchkneten (am besten die Hände vorher unter kaltes Wasser halten, abtrocknen und einmehlen). Den Teig auf Alufolie zu einer runden Scheibe ausbreiten, zudecken und mindestens 30 Minuten kaltstellen.

Den Quittensirup in eine Tarteform gießen. Die Quittenviertel hineindrücken. Den Teig mit dem Wellholz auswellen und über die Quitten breiten. Etwas festdrücken.
Ca. 45 Minuten bei 180°C im Ofen backen.

Die Tarte etwas Abkühlen lassen. Auf eine Platte stürtzen.

Kärntner Kasnudeln


Man merkt, dass man sich hier schon im Süden befindet. Ein echter Pastateig aus Wasser, Mehl, Ei und Olivenöl liefert die Umhüllung für die erfrischend-cremige Füllung aus Quark (Topfen), Semmeln und Kartoffeln. Doch das Geheimnis liegt hier nicht so sehr in den Zutaten, sondern in dem Verschluss der Teigtaschen, für die die Kärntner eigens ein Verb geprägt haben: krendeln. Man drückt die Nudeln also nicht zu, sondern krendelt sie zu. Es geht nicht nur um den sicheren Verschluss, sondern um den ornamentalen Gestaltungswillen. Wie das geht, demonstriert Fini Brugger in diesem Video eindrucksvoll:

Auf den ersten Blick sieht es einfach aus, doch wie bei einem guten Magier scheine ich immer eine winzige Kleinigkeit, von der die Aufmerksamkeit abgelenkt wird, zu übersehen. So ein wunderschönes Flechtband – seit der Antike eines der schönsten und am häufigsten verwendeten Ornamente – habe ich einfach nicht hinbekommen. Vielleicht gelingt den Lesern dieses Blogs das ja besser? Hier geht’s zum Wettkrendeln.

Und so kann ich nur staunen über diese vertrackte Verzierung – das Geheimnis dieser Kärntner Nudeln besteht nicht nur darin, was im Inneren verborgen ist, sondern auch darin, wie dieses Schnürwerk zustande gekommen ist.

Zutaten (4 Portionen)

  • 200g glattes Weizenmehl
  • 1/2 Ei
  • 75 ml Wasser
  • Salz
  • Olivenöl
  • 250g Quark
  • 70g Würfel aus alter Semmel
  • 35g Butter
  • 100 ml Milch
  • 25g fein gehackte Zwiebeln
  • 50g gekochte Kartoffeln
  • 1 EL Minze
  • 1 EL Kerbel
  • Weißer Pfeffer
  • Butter oder in Butter geröstete Semmelbrösel zum garnieren

Zubereitung

  1. Mehl, Ei, Wasser, Öl und Salz so lange kneten, bis man einen glatten und elastischen Teig erhält. Mit Wasser oder Mehl korrigieren, wenn zu trocken oder zu flüssig. Etwas ruhen lassen.
  2. Zwiebeln in etwas Butter glasig braten. Währenddessen Quark, Semmelwürfel und Milch vermischen und etwas quellen lassen. Zwiebeln, Kräuter und passierte Kartoffeln zu der Mischung geben. Mit Salz und Pfeffer abschmecken.
  3. Den Teig dünn ausrollen und etwa handtellergroße Scheiben ausstechen. Einen Löffel Fülle auf den Teig geben, halbmondartig zusammenfalten, Rand zudrücken und dann die Ränder krendeln (siehe Video).
  4. In siedendem Wasser ca. 15 Minuten kochen lassen. Abtropfen und mit brauner Butter oder Butterbröseln servieren.

Powidlpofesen (Arme Ritter mit Zwetschgenmus)

Powidlpofesen

Das wäre doch einmal ein perfekter Kandidat für eine molekulargastronomische Überarbeitung oder Aktualisierung: der „Arme Ritter“ oder in Österreich die Pofesen. Besonders faszinierend an diesem Gericht ist neben dem spektakulären Texturgradienten von dem knusprich-harten Eimantel bis zum vanillig-breiigen Innenleben seine lange Geschichte. Zwar findet man die Armen Ritter erst Ende des 18. Jahrhunderts in der deutschen Küche dokumentiert, aber wenn man einmal nach einem der zahlreichen Synonyme (Arme Ritter, Rostige Ritter, Fotzelschnitten, Semmelschnitten, Kartäuserklöße, Weckschnitten, Gebackener Weck, Pofesen, Blinder Fisch, Torrijas, Tostadas, Rabanadas, Pain Perdu oder French Toast) sucht, wird die lange und globale Tradition der ausgebackenen Eibrote oder -semmeln deutlich. Auch in der Literatur findet sich dieser Begriff immer wieder, zum Beispiel um 1350 in Hajeks Gute Spise:

Man […] snit denne abt snitten armeritlere und backe die.

Und Henisch gibt in seinem 1616 erschienen Werk einige geläufige Bezeichnungen des Gerichts an:

Arme Ritter | Brotküchlin | schnitten | guldene schnitz

Aber das Rezept lässt sich, so ist Davidsons Standardwerk zu entnehmen, noch viel länger zurückverfolgen: Bereits bei Apicius, dem großen Gastrosophen des ersten nachchristlichen Jahrhunderts, findet sich demnach ein ähnliches Rezept. In England ist dieses Gericht im Mittelalter angekommen – anscheinend als Import des französischen „Archetypus“ pain perdu. Die in den USA geläufige Bezeichnung French Toast erinnert immer noch an diese Genealogie.

Doch aus der armseligen Aufbereitung alten Brotes wurde schnell eine verfeinerte Köstlichkeit: durch die Zugabe von Wein, Honig, Mandelmilch oder Sirup. Auf jedem Fall sieht man in diesem Gericht bereits eine hohe molekularkulinarische Kunst der Veränderung von Texturen: aus dem harten Brotresten wird eine cremig-weiche Speise.

Eine der schönsten Variationen dieses Rezepts sind die österreichischen Powidl-Pofesen – die Bezeichnung Pofesen kommt übrigens vom italienischen Pavese, dem typischen Schild der mittelalterlichen Armbrust- und Bogenschützen -, die am besten mit einem reinen Zwetschgenmus (Powidl) gefüllt werden. Das Rezept aus Plachuttas Guter Küche ist ebenso einfach wie überzeugend:

Zutaten

  • Brot (aufgeschnittene Semmeln, Toastscheiben, Tramezzini etc. – die cremigste Fülle bekommt man mit frischem Weizentoast amerikanischer Art)
  • Milch
  • Vanillezucker
  • Eier
  • Mehl
  • Zwetschgenmus
  • Butterschmalz
  • Puderzucker

Zubereitung

  1. Brotscheiben (evtl. vorher entrinden) dick mit Mus bestreichen und zusammenklappen.
  2. Gefülltes Brot in der mit Vanillezucker verrührten Milch tränken (denkbar ist auch die Zugabe von etwas Rum).
  3. Brot im mit etwas Mehl verschlagenen Ei wenden und in der Pfanne bei mittlerer Temperatur in Butterschmalz hellbraun ausbacken.
  4. Mit Puderzucker bestreuen und servieren.

Powidlpofesen

"Messicani" – Involtini di vitello con prosciutto e parmigiano

Wie lange man schon Fleischstücke sorgfältig glättet oder klopft, mit einer Farce – meist aus Ei, Semmelbröseln, Wurst oder Fleisch – bestreicht und dann zusammenrollt gart, lässt sich nur schwer herausfinden. Die Geschichte der Roulade wurde noch nicht geschrieben. Alan Davidson definiert die Roulade als „something rolled up“, wobei er es offen lässt, ob es sich um eine herzhafte Mahlzeit handelt oder um eine Süßspeise. Der Begriff jedenfalls, so Davidson, ist vor allem gegen Ende des 20. Jahrhunderts in Mode gekommen. Enzyklopädien des 19. Jahrhunderts kennen unter dem Begriff „Roulade“ vor allem „eine Reihe von Tönen zur Verzierung der Melodie“.

Allerdings habe ich in dem 1740 in Amsterdam herausgegebenen Kochbuch „Le Cuisinier gascon“ ein Rezept für „Roulade de veau en canelons au selleri glacées“. Das „Nouveau dictionnaire de cuisine“ von Charles-Yves Cousin aus dem Jahr 1826 führt ein Rezept für eine „Roulade de veau à la bavaroise“ an – eine üppig gefüllte Roulade mit Schmalz, Schinken, Pfeffer, Nelke, Zimt, Muskatnuss, Koriander, Petersilie, Zwiebeln, Schalotten, Knoblauch, Rocambole, Thymian, Basilikum, Bohnenkraut, Lorbeer, Champignons, Kalbszitzen (tétine de veau), Kalbsbries und Butter. Kann es sein, dass diese herzhafte Würzmischung gebraucht wird, um einen möglicherweise schon zu starken Kalbs-haut-goût zu übertönen?

In der modernen Rouladenküche, die erst dann eine Breitenwirkung entfalten konnte, als man es sich leisten konnte, die jungen Kälber zu schonen, schlachten und zu essen anstatt sie bis zum erwachsenen Tier großzuziehen. Letztlich kann man zwei Funktionen der Farce feststellen: zum einen der Überraschungseffekt, der sich einstellt, wenn zum Beispiel die römischen Gäste von Trimalchio nach dem Öffnen eines Spanferkels in ihrem Inneren eine wohlschmeckende, sich farblich vom Fleisch abhebende Füllung aus Würsten und Blutwurst entdeckten – oder noch besser: erst beim Zubeißen. Oder aber zum anderen die Verwendung einer Füllung, die sich dazu eignet, die austretenden Fleischsäfte aufzusaugen und den Geschmack dadurch zu sammeln und konzentrieren. Gerade im Fall des mageren Kalbsfleisches bietet sich dies an.

Die italienische Küche ist eine sehr kalbslastige Küche, zahlreiche der bekanntesten Gerichte wie zum Beispiel Costoletta alla milanese, Piccata al limone, Osso bucco oder Vitello tonnato sind Kalbsgerichte. In den USA waren derartige Gerichte bis ins 19. Jahrhundert unbekannt. Erst mit der Einwanderung von deutschen und italienischen Immigranten im 20. Jahrhundert kamen auch die Amerikaner auf den Kalbsgeschmack – in den 1940er Jahren lag der durchschnittliche Kalbskonsum pro Person und Jahr bei viereinhalb Kilogramm. Mittlerweile hat der Kalbsverzehr aufgrund des hohen Preises wieder deutlich abgenommen. Hier nun das Rezept von Marcella Hazan.

Messicani

Zutaten (2 Portionen)

  • 2 flache Schnitzel von der Oberschale eines Biokalbes
  • 10g Weißbrotkrumen
  • 3 EL Milch
  • 25g fein gehackter Kochschinken
  • 25g Schweinehackfleisch
  • 1 kleines Ei
  • 3 EL Parmigiano Reggiano
  • Salz, Pfeffer, Muskatnuss
  • 15g Butter
  • 1 EL Öl
  • Mehl zum Wenden
  • 4 EL trockener Weißwein
  • 75 ml Fleischbrühe

Zubereitung

  1. Die Semmelbrösel mit der Milch vermischen, dann Schinken, Hackfleisch, Ei, Parmesan, Salz, Pfeffer und Muskat dazugeben und mit der Gabel kräftig verquirlen.
  2. Die flach geklopften Schnitzel mit der Farce bestreichen, zusammenrollen und die Rolle mit einem Holzspießchen befestigen.
  3. In einer schweren Pfanne Butter und Öl bei mittlerer Hitze erhitzen, dann die in Mehl gewendeten Rouladen scharf anbraten.
  4. Mit Wein ablöschen, kochen lassen bis der Wein verkocht ist. Dann die Rouladen salzen und die Brühe hinzugeben und mit geschlossenem Deckel etwa 20 Minuten leise köcheln lassen bis das Fleisch gar ist.
  5. Die Involtini anrichten und die Kochflüssigkeit je nach Bedarf noch etwas einkochen lassen oder verdünnen, dann über die Fleischrollen gießen.

Spare Ribs mit Kansas City Sauce

Aus dem Schweinebauch schneidet man in den USA wie bei uns im Wesentlichen zwei Stücke: das Rippenspeer, die Schälrippe, Ripple oder Leiterle und das Wammerl Bauchspeck oder Bauchfleisch.

Das Rippenspeer ist mit der billigste Teil des Schweinefleisches und Grundlage für zahllose Fleischgerichte nicht nur auf beiden Seiten des Atlantik, sondern sogar jenseits des Pazifik, denn auch in China zählt Pai Gu zu den beliebtesten Teilen des Schweins.

Der wochenlange, extrem trockene Ostwind dieser Tage sorgt auch an Pfingsten für perfektes Grillwetter; die Gelegenheit für Spare Ribs mit Kansas City Sauce – dem mit abstand beliebtesten BBQ-Vergnügen der USA.

Rezept

    Ketchup 0,5 l
    Ahornsirup ca. 0,1 l
    Worcestershiresauce ca. 80 ml
    Zitronenschale, gerieben
    etwas Zitronensaft
    Apfelessig
    Tabasco, Senf nach Geschmack
    ggf. brauner Zucker
    aromatische Holzschnitzel für den Rauch

Ketchup vorsichtig erwärmen – auf keinen Fall zum Kochen bringen, lediglich warm machen! Mit den übrigen Zutaten abschmecken. Je nach Süße des Ketchup noch mit Zucker nachsüßen.
Die Kansas City Sauce ist traditionell recht süß – ist auch wichtig für die Maillard Reaktion, die den Spare Ribs ihre aromatische Rinde verleiht. Allerdings sollte unsere Sauce nicht die penetrante Süße erhalten, wie sie im Handel erhältliche Grillsaucen üblicher weise zeigen.

Besitzt man einen geschlossenen Grill, so sollte die Sauce – möglichst hoch und nicht über den Kohlen – eine Weile im Rauch stehen. Idealer Weise gibt man die inzwischen bei den Grill-Ausstattungen meist mit angebotenen Holzschnipsel über die Kohlen. In den USA ist das besonders das Holz des Hickory oder des Mesquite. Auf diese Weise erhält die Sauce ein angenehmes, aromatisches Raucharoma.

Die Rippen mit der Sauce dünn bestreichen und auf oberster Etage auf den Grill legen. Bei geschlossenem Grill eine Alu-Schale mit Wasser in die Kohlen stellen. Bei offenem Grill immer wieder mit Bier  beschütten. Wenn die Sauce zu stark verkohlt, einfach abkratzen.

Das Schokoladenweindebakel

Als ich gelesen habe, dass Heston Blumenthals „Schokoladenwein“ einen Innovationspreis des Condé Nast Traveller-Magazins gewonnen hat und zudem sein Restaurant „The Fat Duck“ wieder einen Spitzenplatz in der Liste der 50 besten Restaurants der Welt erreichen konnte, war mir sofort klar: Dieses Dessert muss in der Molekularküche nachgekocht werden – zumal wir in der letzten Zeit die Molekularküche im engeren Sinne doch etwas vernachlässigt haben. Die Würdigung durch die Verlagssprecherin klingt durchaus verlockend:

Splicing grapes with cocoa beans and coming up with a surprising chocolate wine has proved a winning formula for Blumenthal.

Und dann hat diese Speise auch noch eine Geschichte, die sich angeblich bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts zurückverfolgen lässt (obwohl: Belege habe ich noch keine dafür gefunden). Wiedermal ein schönes Beispiel für die Fähigkeit der Molekularen Küche, alte Traditionen mit neuen Mitteln wiederaufleben zu lassen. Aber um es kurz zu fassen: geschmeckt hat’s allzu widerwärtig.

Davon ganz abgesehen, dass die Konsistenz nicht unbedingt „samtig schaumig“ gewesen ist, wie es die Times-Journalistin schreibt, sondern eine merkwürdige Zwischenposition zwischen dem Festen und dem Flüssigen. Aber geschenkt. Am schlimmsten war der Geschmack, der aus den Trauben das Saure und der Schokolade das Bittere hervorgehoben hat und dafür die ausgleichenden Elemente – das Fruchtige und das Süße – vollkommen unter den Tisch fallen lässt. Zudem fügten sich die Komponenten nur physikalisch in ein homogenes Ganzes. Geschmacklich blieb es eine schlichte Addition der Einzelbestandteile Schokolade, Milch und Wein.

Vielleicht war die Schokolade, eine 80prozentige Rausch-Tembadoro, doch etwas zu dunkel und der Wein, ein 2006er Paiara von Tormaresca (Antinori) aus Minervino Murge in Apulien, doch zu eindimensional lakritzig und schlicht zu sauer (ganz abgesehen von dem scheußlichen schwarzen Kunststoffstöpsel). Oder das Mischverhältnis, das uns das Times-Rezept leider (bewusst?) vorenthält, hat nicht ganz gestimmt. Jedenfalls ist das eher ein Gericht, das ich nur Leuten servieren würde, mit denen ich nichts mehr zu tun haben möchte. Aber vielleicht entfaltet dieses Dessert ja erst nach einem Lakritzlachs seine ganze wohltuende Kraft. Ich brauche jetzt auf jeden Fall erst einmal ein bis zwei Stangen Weißbrot zur Neutralisierung meines Geschmackssinnes.