Kategorie-Archiv: chemie

Home of BBQ: Interview mit Martin Lersch

Ein – wie stets lesenswertes – Interview über das Grillen gibt Martin Lersch, Autor von Khymos.org auf dem Blog Home of BBQ.

Neben der allgegenwärtigen Maillard Reaktion erfährt man Neues über die regionalen Unterschiede in der Viskosität von Steak Saucen, über Schweinefleisch mit Kruste und über Geschmacksphysiologie.

Thunfischsashimi nach Art der Costa Brava

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Ich gebe zu, besonders originell ist die Verbindung von Fisch und Kaviar nicht. Aber schön ist der Gedanke schon, in den aromatischen Übereinstimmungen zwischen dem ausgewachsenen Tier und seinen Eiern so etwas wie die Wurzel des Fischgeschmacks zu suchen, eine Konstante, die das gesamte Leben der Fische prägt.

Tatsächlich findet man auch zahlreiche aromatische Verbindungen, die sowohl den Kaviar als auch den Fisch auszeichnen:

  • Zunächst das Trimethylamin (N,N-dimethylmethanamine), ein farbloses, brennbares Gas, das schon in geringer Konzentration seinen charakteristischen fischigen, öligen, ranzigen, fruchtigen Geruch entfaltet. Auch eine leichte Schweißnote kann man darin wahrnehmen. In höheren Konzentrationen, um die wir uns hier nicht kümmern müssen, erinnert TMA eher an einen stechenden Ammoniakgeruch. Künstlich lässt sich dieser Stoff aus Methanol und Ammoniak produzieren, natürlich kommt es nicht nur in Fisch und Kaviar vor und ist der charakteristische Indikator für Fisch, der nicht mehr allzu frisch ist („Heringslake“), sondern in Käse, Kakao, Kaffee, Whiskey und Bier. Aber auch in Bucheckern findet man diesen Stoff sowie im Vaginalsekret und dem männlichen Ejakulat.
  • Auch zwischen dem nächsten Geruchsstoff, Undecanal, und der menschlichen Fortpflanzung findet man einen Zusammenhang: dieses Aldehyd blockiert nämlich die Geruchsrezeptoren und damit Fähigkeit der männlichen Keimzellen, die Eizelle zu finden. Dieser Stoff lässt sich vielleicht irgendwann einmal als geruchliches Empfängnisverhütungsmittel einsetzen. Die Verbindung riecht stark aldehydisch. Man könnte die Note als wachsig, seifig, blumig, zitronig, grün, fettig bezeichnen – in etwas so wie in einer Waschküche, in der gerade die frische Wäsche aus der Maschine geholt wurde. Dieses Molekül ist Teil des Buketts zahlreicher Früchte von der Banane über die Mandarine bis zu Nüssen.
  • Außerdem findet man in Fisch und Kaviar auch viele grüne Geruchsnoten, so zum Beispiel 2,4-Octadien-1-al ((2E,4E)-octa-2,4-dienal), das grün, fruchtig, melonig, zitronig, aber auch leicht fettig schmeckt und geruchlich auch an Birnen erinnert. Außerdem (E)-2-Nonen-1-al ((E)-non-2-enal), das neben der grünen Note auch etwas von Gurken und Melonen hat, sowie eine leichte fettig-aldehydische Begleitnote. Soja und Erdnuss sind zwei weitere Lebensmittel, in denen dieser Stoff vorkommt. Auch (E,E)-2,4-Hexadien-1-al ((2E,4E)-hexa-2,4-dienal) hat diesen grünen Geruch, riecht aber süßlicher, würziger, blumiger trotz ähnlicher wachsig-aldehydiger Noten. Diese beiden Stoffe sind auch im Bukett der Erdnuss zu entdecken.
  • Auch fettige Geruchsstoffe verbinden Fisch und Kaviar. Beispiele dafür sind 2-Decenal ((E)-dec-2-enal), einem Molekül, das eine starke wachsig-orangige Note auszeichnet und unter anderem auch in Sojabohnen zu finden ist, die in unserem Gericht ebenfalls eine Rolle spielen werden. Ebenfalls fettig riecht und schmeckt 2,4-Decadien-1-al ((2E,4E)-deca-2,4-dienal), das nicht nur fettig, sondern auch etwas ölig, gebraten, ranzig nach Huhn riecht. Auch diese Verbindung kann man in der Sojabohne und außerdem im Erdnussöl entdecken.
  • Ein weiterer Bestandteil ist Valeraldehyd (Pentanal), eine Verbindung die stark riecht und einen fermentierten Geruch besitzt, der holzig, vanillig, fruchtig oder nussig wirkt. Geschmacklich erinnert Undecanal an Wein, Brot, Kakao und Schokolade. Der Stoff findet sich in sehr vielen Lebensmitteln vom Apfel über Eukalyptus bis zur Walnuss. Auch in Erdnüssen und in der Sojabohne findet man diesen aromatischen Stoff.
  • Die letzte Verbindung, die ich gefunden habe, ist Butanal oder Butyraldehyd, ein Stoff, der in hohen Konzentrationen sehr stechend riecht, in geringeren Mengen aber ein sehr wichtiger Grundstoff für die Herstellung von Riechstoffen darstellt. Dieser Stoff verströmt einen intensiven Schokoladengeruch und hat eine stechende Note von Kakao, Moder, Malz, Brot und Grün. Man findet die Verbindung auch in vielen Gewürzpflanzen wie Salbei, Bergamotte, Hopfen und Eukalyptus. Auch in der Sojabohne kommt dieses Aroma vor.

Damit dürfte klar sein, dass die Kombination von Fisch und Kaviar durch die vielen Übereinstimmungen gut funktionieren kann. So zum Beispiel in diesem einfachen erfrischenden Rezept für Thunfischsashimi mit Kaviar von Ferran Adrià.

Zutaten

  • 200g sehr frische Thunfischfilets, „Sushi-Qualität“
  • Sojasauce
  • Sesamöl
  • Kaviar, hier: Forellenrogen

Zubereitung

  1. Den Thunfisch in Würfel schneiden und 5 Minuten in der Soja-Sesammischung marinieren lassen. Dann aufspießen und den Kaviar auf die Thunfischstückchen kleben.

Das war’s auch schon, aber geschmacklich und von der Konsistenz her absolut überzeugend.

Gaschromatographie als Methode der Molekularen Küche

2186389457_23c1bcdf70.jpgEine schönes Beispiel für die radikale Verwissenschaftlichung des Kochens bzw. der Rezeptkreation ist die Suche nach bestimmten Passungen in den „Odor Activitiy Values“ der Grundzutaten, wie sie Hervé This und Heston Blumenthal gerne anwenden. Hier macht die molekulare Küche ihrem Namen alle Ehre, denn es geht tatsächlich um die molekularen Bestandteile des (guten) Geschmacks. Das Prinzip erklärt Martin Lersch auf seiner Seite zu Geschmackspaarungen wie folgt:

Based on the fact that aroma of foods is so important for the way we perceive them, a hypothesis can be put forward: if the major volatile molecules of to foods are the same, they might taste (and smell) nice when eaten together.

Die Gründungslegende dieses Ansatzes ist der Vorschlag von François Benzi auf einem der legendären Kurti/This-Workshops in Erice, doch einmal mit der Kombination von Jasmin und Schweineleber zu probieren, da das Aroma beider Substanzen wesentlich auf dem chemischen Molekül Indol basiert. Und wie findet man solche Geschmackspaare? Zum einen gibt es eine kostenpflichtige Datenbank mit dem futuristischen Namen VCF 2000, zum anderen gibt es aber auch freie Datenbanken wie das Flavornet, die gelungene Visualisierung Foodpairing sowie eine umfangreiche Aromadatenbank der Good Scent Company, die man über Google bequem nach gemeinsamen Aromastoffen durchforsten kann.

chroma.pngNoch etwas wissenschaftlicher ist das Vorgehen, in Aufsätzen aus Fachjournalen wie dem Journal of Agricultural and Food Chemistry nach den „Odor Activity Values“ (OAVs) der Zutaten sowie ihren Wahrnehmungsschwellen zu suchen. Diese lassen sich errechnen, indem man die Konzentration der flüchtigen Aromastoffe durch den sensorischen Schwellenwert teilt. Ein Wert von 100 bedeutet dementsprechend, dass die Konzentration eines Aromamoleküls 100 Mal höher ist als die Wahrnehmungsschwelle. Wer einen Gaschromatographen in der Küche herumstehen hat, kann diesen dafür verwenden.

Ein kurzes Beispiel zur Illustration:

  • Es geht in unserem Fall um die Geschmackspaarung Popcorn und Kaffee. Ich könnte mir vorstellen, dass das kombinieren lassen müsste.
  • Ein Blick auf Flavornet zeigt, dass zahlreiche Röstaromen im Popcorn vorhanden sind: Ethyldimethylpyrazin, Propionylpyrrol, Acetylthiazolin.
  • acetylpyrazin.pngNun weiter zur Good Scents Company. Meine Annahme bekommt weitere Unterstützung: 2-Acetylpyrazin kommt in beiden Substanzen natürlich vor (diese Substanz wird im Übrigen auch als „Popcornpyrazin“ bezeichnet). Ebenfalls in beiden vorhanden: 2-Acetylpyrrol und 2,3,5-Trimethylpyrazine. Es gibt also einige Anhaltspunkte für eine „geschmackliche Wahlverwandtschaft“ von Kaffee und Popcorn.
  • Jetzt kann man sich noch ein wenig in die wissenschaftliche Literatur einlesen, denn es geht nun um die Frage, ob die gemeinsamen Aromamoleküle auch oberhaupt der Wahrnehmungsschwelle liegen. Zum Thema Popcorn gibt es z.B. den Aufsatz „Popcorn Flavor : Identification of Volatile Compounds“ von Walradt, Lindsay und Libbey (J. AGR. FOOD CHEM., VOL. 18, NO. 5, 1970), zum Kaffee „Volatile Constituents of Coffee. Pyrazines and Other Compounds“ von Bondarovich et al. (J. AGR. FOOD CHEM., VOL. 15, NO. 6, 1967).
  • Aus dem Popcorn-Artikel ergeben sich die folgenden typischen Aromabestandteile: 2-Acetylpyrazin (das charakteristische nussige Popcornaroma), Furfural, 5-Methylfurfural und Furfurylalkohol (leicht verbrannte Noten), 2-Methylpropanal und 3-Methylpropanal (malzige, gebrannte Aromen), N-Furfurylpyrol (grüne Aromen), dazu im Hintergrund noch 4-Vinyl-2-Methoxyphenol (Vorform von Vanilin, erinnert an Nelken) und 4-Vinylphenol (starkes rauchiges Aroma). Leider findet man in dem Artikel nur die Ergebnisse der Gaschromatographie ohne Angaben der jeweiligen Schwellenwerte.
  • Der erste Kaffeeartikel weist zwar zahlreiche Pyrazine nach, aber nicht die Stoffe, die ich suche. Aber da gibt es ja noch einen aktuelleren Artikel: „Isolation and identification of headspace volatiles from brewed coffee with an on-column GC/MS method“ von Shimoda und Shibamoto. Dort treffen wir wieder auf die folgenden Stoffe, die auch im Popcorn vorhanden waren: 2-Acetylpyrazin, Furfural, 5-Methylfurfural, Furfurylalkoho und, 2-Methylpropanal. Leider auch hier keine Angaben darüber, ob die Werte über den Schwellenwerten liegen. Die wiederum findet man in einem Artikel von Semmelroch und Grosch, „Studies on Character Impact Odorants of Coffee Brews„. Hier findet man das Vanilin sowie die beiden malzigen Aromen 2- und 3-Methylpropanal.
  • So könnte man noch eine ganze Weile machen. Andererseits lässt sich an dieser Stelle auch einfach eine praktische Validierung durchführen: man bereitet zum Beispiel eine Kaffeecreme mit Popcornpulver zu und probiert selbst, wie die Kombination schmeckt.

(Abbildung „pipoca & café“ von fotemas)

Sauerteig durch spontane Säuerung (Teil 4)

Wie schreibt Jeffrey Steingarten so schön: „The chef has swelled and smells tangy, somewhere between beer and yogurt! I am proud as a parent“. Auch in meiner Mehlsuppe ist einiges los, wie man auf dem nachfolgenden Bild erkennen kann:

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Nur der Geruch passt nicht so ganz. Es riecht angegoren, aber nicht besonders würzig oder sauer. Eigentlich eher unangenehm. Aber vielleicht ändert sich das ja noch. Auch schon etwas gewachsen ist der Teig, ca. 1/8 hat er durch die Gasproduktion an Höhe gewonnen.

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Diesmal habe ich bei der „Fütterung“ die Hälfte des Starters verworfen und wiederum 1/4 Tasse Wasser und 3/8 Tassen Mehl hinzugefügt. Mal sehen, wie es in 12 Stunden aussieht. In der Theorie sollte es wie folgt ablaufen: die Glucose reagiert mit dem ADP und freiem Phosphat zu Milchsäure und ATP. Zudem wird das Reduktionsmittel NADH gebildet, das die Brenztraubensäure (genauer: ihr Anion Pyruvat) zu Milchsäure reduziert und dadurch das NADH wieder in NAD+ verwandelt.

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Stattfinden sollte das ganz in den Laktobazillen, die überall dort zu finden sein dürften, wo es Säugetiere, Milch oder Pflanzen gibt. Also z.B. Lactobacillus plantarum, das in der Produktion von Silage wie auch des koreanischen Nationalgerichts Kimchi eine Rolle spielt, oder Lactobacillus brevis, dessen positive Wirkung auf das menschliche Immunsystem zur Zeit in der Forschung überprüft wird.

Sauerteig durch spontane Säuerung (Teil 3)

Die ersten 12 Stunden sind um. Es haben sich noch einige Bläschen mehr auf der Oberfläche angesammeln. Die Luft in dem Gefäß ist feucht und riecht etwas merkwürdig. So sieht die Mischung aus:

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Jetzt darf ich den Starter das erste Mal füttern. Das heißt also: es kommt noch einmal 1/4 Tasse Wasser und 3/8 Tassen Mehl dazu. Kräftig umgerührt und dann sieht es so aus (etwas zäher als vorher, wahrscheinlich war es beim ersten Mal ein wenig zuviel Wasser):

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Morgen Mittag geht es mit dem Sauerteiglivebloggen weiter.

Blätterteig mit Octenol und Dipropylsulfid

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Wie sagte Jonathan Swift, der Verfasser von Gulliver’s Reisen einst: „For this is every cook’s opinion, No savoury dish without an onion“. Tatsächlich gehören die überwiegend auf Schwefelkomponenten beruhenden Zwiebelnoten zu den am leichtesten erkennbaren Geruchsnoten.

Dieses Geruchsbukett setzt sich zusammen aus den beiden nach Obst riechenden Aldehyden 2-Methyl-pentanal und 2-Methyl-butanal sowie einer großen Zahl an Schwefelverbindungen, die den charakteristischen Zwiebelgeruch verströmen, allen voran Dipropyldisulfid (Tokarska and Karwowska, Die Nahrung 25, 565-571 (1981)). Ein Teil der Verbindungen (z.B. Allylsulfid) gehen dabei eher in Richtung Knoblauch, während der andere Teil einen süßlichen Geruch beisteuert (die Propylverbindungen).

Dazu kommen bei diesem Gericht aus Ferran Adriàs schneller Küche dann noch Benzaldehyd (das sogenannte „falsche Bittermandelöl“), 1-Octen-3-ol (auch bekannt als Octenol) und 1,5-Octadien-3-ol (hier als Modell), die aromatisch wirksamen Bestandteile des französischen Brie (Karahadian, Josephson and Lindsay, J Dairy Sci 68, 1865-1877 (1985)) sowie die Oliven mit den Aromastoffen Hexanal (Apfelnote), 2-Hexenal (grüne Mandelnote), Hexan-1-ol („vorwiegend frisch-grün, etwas „pilzig“, mit krautiger Beinote“), 2-Hexen-1-ol, 3-Hexen-1-ol (beide mit ausgesprochen grüner Note) sowie 3-Methylbutanal (diesen fruchtigen Aromastoff findet man ebenfalls in Kakao und Parmesankäse) (siehe auch Morales, Berry, McIntyre and Aparicio, J Cromatography A 819: 267-275 (1998)).

Zutaten

  • Blätterteig
  • Frühlingszwiebeln
  • Schwarze Oliven
  • Olivenöl
  • Briekäse

Zubereitung

  1. Blätterteig in längliche Stücke schneiden, mit den blanchierten Frühlingszwiebelstreifen belegen und bei 180°C 4 Minuten im Ofen backen.
  2. Währenddessen die Olivenpaste zubereiten: Oliven entkernen, klein schneiden und mit dem Olivenöl vermengen.
  3. Nun die Blätterteigstücke mit dem Brie (ohne Rinde) belegen und weitere 4 Minuten backen bis der Käse verlaufen ist.
  4. Etwas von der Olivenpaste darauf verteilen und servieren.

Einführung in die Hydrokolloidküche

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Einmal mehr zeigt Thomas Vilgis in seinem Aufsatz „Hydrokolloide – zwischen Avantgardeküche und Einsteins Physik“ (Mitteilungen des Internationalen Arbeitskreises für Kulturforschung des Essens, 2007, Heft 15:2-13), dass man über Lebensmittelzusatzstoffe wie Xanthan, Carrageene und Agar-Agar auch ganz anders schreiben kann als in dem üblichen Zurück-zur-einfachen-Küche-Tonfall. Im Kern geht es dabei um die Frage, welche physikalisch-chemischen Erklärungsmöglichkeiten es für medizinisch relevante Eigenschaften der Geliermittel gibt. Zugleich lässt sich dieser Aufsatz aber auch als anschauliche und gut lesbare Einführung in einen Teilbereich der Hydrokolloidphysik lesen. Basisvokabeln wie „Hyperverzweigung“, „Scherkraft“ oder „Entquellung“ werden auf eine auch für Nicht-Fachleute verständlich erklärt. Und natürlich lässt sich der passionierte Hobbykoch die Gelegenheit nicht entgehen, auch hin und wieder auf die molekulare Avantgardeküche einzugehen.

Doch nun zu den wichtigsten Ergebnissen des Aufsatzes, bzw. zur Aufklärung über Gesundheitsgefährdungen durch die neuen (und alten) Texturgeber:

  • Stärke ist zwar ein klassischer Texturgeber, ist aber zum einen aufgrund der komplexen Verdickungsmechanismen – dabei spielen Amylose, Amylopektin sowie Proteine eine Rolle – sowie aufgrund des Energiegehalts nicht als neutrales mouthfeel-Werkzeug geeignet. Ganz zu schweigen von der „Mehlnote„, die oftmals auftritt.
  • Cellulose ist zwar energieneutral, da sie die menschliche Verdauung unverändert durchläuft, aber sie lässt sich nicht für die Texturveränderung einsetzen.
  • Xanthan hat demgegenüber als „scherkraftabhängiger Texturgeber“ deutliche Vorteile: auch bei Hitze bleiben Gels auf Xanthanbasis stabil, werden jedoch bei Druckausübung (z.B. durch Zunge und Gaumen) flüssig. Darüber hinaus ist Xanthan vollständig unverdaulich und pH-unabhängig, so dass auch keine abführenden Aufquelleffekte zu befürchten sind.
  • Carrageene schmelzen ebenfalls unter Druck, sind allerdings aufgrund ihrer molekularen Struktur (den negativen Ladungen entlang der Molekülketten) pH-empfindlich und quellen im Darm auf – Carrageenprodukte können also eine abführende Wirkung haben. Außerdem können sich kurzkettigen Carrageene an biologische Oberflächen anlagern und möglicherweise die Zellstrukturen pathologisch verändern.
  • Agar-Agar ist zwar pH-unempfindlich, da die hochgequollenen Gelstücke aus Agarose nicht verändert werden können, ist auch hier eine abführende Wirkung möglich.
  • Alginate, die Mittel der Wahl für „Geschmacksexplosionen“ in verkapselter Form, haben dagegen den Nachteil, dass sie in der Magen-Darm-Passage essentielle Mineralstoffe einlagern können und – da sie selbst unverdaulich sind – aus dem Körper entfernen. Bei Mangelerscheinungen oder Kleinkindern kann das gefährlich werden.
  • Gelatine, „der tierische Klassiker“, ist eigentlich kein Lebensmittelzusatzstoff, sondern ein Lebensmittel. Im Unterschied zu Alginaten können Gelatinen von Verdauungsenzymen aufgespalten und dem Nahrstoffkreislauf zugeführt werden.

(Foto: „Carageenan“ von Lana aka BADGRL)

Für die Kupferpfanne

Kupfer ist unbestritten eines der schönsten Elemente. In der Alchimie mit dem Planeten Venus identifiziert (♀) kommt es wie Gold und Silber gediegen in der Natur vor. Es gehört es zu den ersten Metallen, die von Menschen bearbeitet wurden. Mit Zinn legiert gibt es Bronze, die über Jahrtausende die Grundlage für die wichtigsten Werkzeuge bildete.

Durch die lange Zeit, die unsere Vorfahren in Kupfertöpfen kochten, sind die Menschen gegen die dabei entstehenden Kupfersalze wohl weitgehend resistent geworden. Kupfersulfat in Form der Boreauxbrühe wird auch im biologischen Weinbau als Fungizid eingesetzt.

Als Material für Töpfe und Pfanne reagiert es schnell leider schnell mit Säuren und läuft auch in salziger Umgebung grün oder braun an, so dass Kupfer mit Aufkommen des Gusseisen und schließlich des rostfreien Stahls ziemlich aus der Mode gekommen ist.

In einigen Bereichen der Lebens- und Genussmittelherstellung hat Kupfer aber nach wie vor seine Bedeutung behalten: beim Bierbrauen für die Maische (seltener) und den Sudkessel und beim Destilieren von Bränden wie z. B. Whiskey. Interessanter Weise scheint sich das Kupfer gerade beim Brennen positiv auf die Aromen des Destilats auszuwirken. Auch werden Marmeladen, die man in Kupfertöpfen kocht, fruchtiger.

The organic fruits are cooked in traditional copper boiling pans and produce rich, brightly coloured soft set jams and marmalades.
Beschreibung der Preserves von Duchy Originals

Ein Grund ist sicherlich, dass Kupfer die Wärme besser leitet, als jedes andere Metall, dass für die Herstellung von Töpfen in Frage kommt (da Gold und Silber aus bekannten Gründen ausscheiden). Insbesondere Temperaturänderungen werden schnell an das Kochgut weitergeleitet.

Es scheint aber doch noch mehr dahinter zu stecken.

La Varenne unterscheidet in seinem Cuisinier Français von 1651 bereits sehr genau, aus welchem Material seine Kochgefäße für das jeweilige Rezept zu sein haben.

Caroline Smith-Kizer vermutet in ihrem 18th century cuisine blog, dass Kupfer die Maillard Reaktion fördert.

Ich habe dazu nichts brauchbares gefunden. Handelt es sich um Katalyse, um Komplexe?
Ich freue mich auf Kommentare!

Vorsicht Olivenöl!

2072331638_0d4abc5be6_m.jpgWas man an Artikeln wie Lars Fischers (Spektrum) äußerst unterhaltsamen und erhellenden Blick auf die Olivenöl-Debatte lernen kann: Gesundheit hat eine Geschichte, ist eine historische Tatsache. Was gestern als gesund bezeichnet wurde, kann heute ein gefährlicher Krankmacher sein. Was heut eine Bedrohung darstellt, kann morgen zur wiederentdeckten Quelle der ewigen Jugend werden. Das unterscheidet Gesundheit nicht von Schönheit, Normalität, Kriminalität oder eben Krankheit.

Der Gesundheitsdiskurs steckt voller Verheißungen und die Wissenschaft tut ihr übriges dazu, immer wieder neue Akteure auf diese Bühne zu schubsen. Vom unheimlichen Hydroxymethylfurfural zu den wohltuenden Antioxidantien, vom mediterran-entspannenden Olivenöl zum potentiellen Gefährder Carrageenan. Konstant bleibt nur die Tatsache, das sich, was als gesund und ungesund gilt, immer wieder ändern wird.

(Abbildung „Öl 1“ von 96dpi)

Schokolade als Medizin: Stollwercks "Antioxidant"

antioxidant.pngVor einiger Zeit hatten wir an dieser Stelle schon einmal ein Indiz für die Verwissenschaftlichung des Schokoladengenusses präsentiert: eine goldglänzende Verpackungsfolie mit einem Diagramm der zeitlichen Entwicklung der Geschmackskomponenten. Heute gibt es ein weiteres Fundstück, das nicht nur dem Schokoladengenuss ein wissenschaftliches Image geben soll, sondern einen medizinischen Bezugsrahmen evoziert, um ein neues Schokoladenmarktsegment zu schaffen (Stichwort „Marketing als Framing“; vgl. dazu den lesenswerten Aufsatz „Bewegung im Markt“ von Kai-Uwe Hellmann in der aktuellen Kölner Zeitschrift): Stollwercks Neuentwicklung „Antioxidant„.

Während die Lokalisierung der Schokolade mittlerweile schon in den Discountern angekommen ist (Ecuador, Ghana, Tobago, Arriba), wird hier ein für Genusslebensmittel unkonventioneller Name etabliert: man begegnet Antioxidantien mittlerweile regelmäßig Werbung, aber als Produktbezeichnung ist dieser nach Chemie klingende Name ungewöhnlich. Dementsprechend bemüht sich der Begleittext, dieses Image in Richtung einer „Wohlfühlmedizin“ umzulenken und die chemisch-molekulare Ebene des Essens wird hier zum Schauplatz von Stress („oxidativer Stress“) und Entspannung („Wohlbefinden“) gemacht:

Antioxidantien sind gut für uns, denn der Alltag kann unseren Körper überfordern. Umwelteinflüsse, Bewegungsmangel oder unüberlegte Ernährung führen zu oxidativem Stress. Ein Übermaß an „Freien Radikalen“ ist die Folge und dies kann Zellschäden Vorschub leisten. Antioxidantien „fangen“ freie Radikale und schützen so den Körper.

Dabei geht die Verwissenschaftlichung hier noch weiter als in dem Goldfoliendiagramm. Die neue Stollwerck-Schokolade wird ebenfalls mit einem Diagramm präsentiert, das den überlegenen Antioxidantiengehalt der Schokolade im Vergleich mit einem Glas Rotwein darstellt:

diagramm.png

Man beachte insbesondere die wissenschaftlich korrekten (wenn man von einer leichten Inkonsistenz in der Formatierung und der fehlenden Seitenzahl im zweiten Fall absieht) Quellenangaben in der Fußnote:

Ding et al., 2006, Nutrition and metabolism, 3:2; Lee et al., Journal of Agricultural Food Chemistry Dec 3; 51(25):7292-5.

Hier wird also ein neues Produkt mit Bezugnahme auf Artikel in international anerkannten peer-reviewten Fachzeitschriften mit hohem Impact-Faktor auf den Markt zu bringen. Das geht ein ganzes Stück weiter als der bisher übliche Rückgriff auf „die Forschung“ oder „Dr. Best empfiehlt“. Dazu gibt es auch noch eine Webseite, auf der nicht nur das verwendete Verfahren erläutert wird, sondern auch noch Informationen über die Kakao-Polyphenole gegeben wird.

Allerdings hat man es hier deutlich mit einer Hybridstrategie zu tun, denn in der Farbgebung (gold, rot, dunkelblau, braun, schwarz) und auch im Schriftzug (eine gemäßigte, schlanke Grotesk) bleibt die neue Marke durchaus im Rahmen des klassischen Schokolademarketings. Man scheint hier also die Assoziation mit der kalten, synthetischen Welt der Wissenschaft zu vermeiden.

(via w&v)