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Warum man die Molekulare Küche nicht ignorieren kann

Das Ende der Molekularen Küche haben wir hier schon mehrfach besungen. Aber nicht die Herangehensweise, sich systematisch mit dem Kochen zu beschäftigen – auch außerhalb der industriellen Gastronomie -, sondern mehr die Albernheit mancher Begrifflichkeiten und der hole Hype stand dabei im Mittelpunkt unserer Kritik.

Umgekehrt lohnt es, sich vor Augen zu führen, was Molekulare Küche vielleicht auf Dauer im den Kanon der Esskultur verankern könnte. Dies fasst eine Pressemitteilung der Mastercuisine, einer Tochter des elsässischer BEN BOR SARL.

Bisher wurden die meisten Rezepte aus Erfahrungen gewonnen und von Generation zu Generation weitergegeben. Nun wollen wir wissen, was beim Kochen eigentlich geschieht und weshalb bspw. das Eiweiss steif wird. Mit diesen Erkenntnissen können qualitativ hochwertige Nahrungsmittel gezielter und sparsamer eingesetzt werden. Angesichts der Preissteigerungen bei Bioprodukten und dem zunehmenden Mangel an Rohstoffen machen kulinarische Innovationen durchaus Sinn.

Das gezielte Verbessern von Qualität durch Konzentration auf die richtige Dosierung von hochwertigen Rohstoffen – ich finde das einen guten Ansatz, worum es uns in der Molekularen Küche gehen sollte.

Sensorische Prüfung

Die Qualität von Lebensmitteln wird nach deutschem und EU-Agrarrecht ausschließlich nach messbaren Kriterien wie Form, Farbe oder Inhaltsstoffen beurteilt. Der Geschmack bleibt vollkommen ohne Berücksichtigung; unglaublich dumm, aber wahr.
Äpfel, Tomaten, Kartoffeln oder Käse werden durch die marktverzerrenden Subventionen so zu genormten Objekten vereinheitlicht.

Der Protest, vor allem französischer Agrar-Revolutionäre wie José Bové, hat in die bezüglich kulinarischer Themen eher passive Öffentlichkeit zum Glück etwas sensibilisiert. (Diesem Themenkomplex müssen wir uns in nächster Zeit unbedingt noch ausführlich stellen!) Aber auch im Verbraucherschutz ist der Geschmack von Speisen fast nie ein Thema – vorherrschend sind gesundheitliche Aspekte oder das Aufdecken von Hygiene-Skandalen – beides ist ja auch wirklich wichtig …

In den USA ging der Verbraucherschutz interessanter Weise einen anderen Weg. Vom Moment der Gründung an waren Lebensmittel ein zentrales Thema der Consumer Reports, deren erste eigenständige Veröffentlichung sich Milch und Cerealien widmete. Schon der Begriff – in USA heißt es Consumer Rights, bei uns müssen Verbraucher geschützt werden – spricht Bände über das Menschenbild.

Anders als die Stiftung Wahrentest, die nicht selbst testet, sondern Institute beauftragt, verfügen die Consumer Reports über eigene große und moderne Labors. Und es gibt eine eigene Abteilung zur sensorischen Prüfung und zwar insbesondere zur olfaktorischen. Getestet wird nicht nur der Geschmack von Lebensmitteln, sondern auch Gerüche von Non-Food-Artikeln.

Die Leiterin der Abteilung, Maxine Siegel beschreibt in Wired, auf welche Weise sich die Tester auf ihre Aufgabe vorbereiten:

„We’ll use a penny to get a baseline for a metallic taste, Crisco for that fatty mouthfeel, cornstarch mix for a chalky texture. We’ll chew on birthday candles to get a sense of wax.“

Sous-vide für alle!

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Bislang waren meine Experimente mit dem sous-vide-Garen, also dem langsamen Garen von vakuumverpackten Fleisch und Fisch bei niedrigen Temperaturen, nicht richtig befriedigend. Vor allem die Schwierigkeit, mit einem Elektroherd und einem offenen Kochtopf die richtige Temperatur über eine längere Zeit konstant zu halten, hält mich davon ab, mich mit diesem Thema ernsthaft auseinanderzusetzen.

Doch jetzt gibt es möglicherweise eine Lösung: Im Blog von chadzilla ist von einem Thermostat namens „Sous Vide Magic“ zu lesen, mit dessen Hilfe man einen gewöhnlichen Reiskocher in ein Wasserbad verwandeln kann, dessen Temperatur auf ein Grad Celsius genau geregelt werden kann. Und das für einen Preis von gerade einmal 200 US-Dollar.

Ein paar Anweisungen für das richtige sous-vide-Garen findet man zum Beispiel in diesem Wired-Feature über den ehemaligen Microsoft-CTO Nathan Myhrvold, der durch seine Beiträge im eGullet-Forum mittlerweile zum geheimen sous-vide-Guru der Foodhacker avanciert ist. Mir gefällt es immer, wenn man Dinge so knapp formulieren kann wie:

Cook short ribs forever.

Übrigens: im Oktober 2008 erscheint im Matthaes-Verlag das Buch „Sous-Vide: Garen im Vakuum“ von Viktor Stampfer (Küchenchef des The Ritz-Carlton in Dubai).

Faulfisch

Speisen kann man auf die unterscheidlichste Art konservieren. Man kann sie erhitzen und so evtl. vorhandene Keime abtöten, man kann hygroskopische Substanzen einsetzen – Salzen, Zuckern, Pökeln, in Alkohol einlegen, man kann Speisen trocknen und Schädlingen so das zum Leben notwendige Wasser entziehen, man kann sie säuern, da viele Schädlinge in saurem Milieu nicht überleben.

Und man den Prozess der Verderbnis gezielt in Gang bringen, so dass nur nützliche Organismen wachsen und durch ihre Ausscheidungen die Schädlinge dezimieren. Die Salami zum Beispiel, wird überzogen mit Milchsäurebakterien. In diesem Blog ausführlich behandelt ist die Herstellung von Sauerteig. Auch Edelschimmel können die Haltbarkeit von Lebensmitteln erhöhen.

Eine der spekakulärsten Arten solcher Haltbarmachung durch Verderbnis ist der skandinavische Faulfisch.

Besonders beliebt ist die Spezialität in Schweden, wo sie unter dem Namen Surströmming bekannt ist: Sauer Ostseehering (Strömling). Faulen ist eine Fermentation unter Luftabschluss. Der laichfreie Fisch wird dazu in der Regel ohne Kopf in eine Salzlake gegeben und in Holzfässern zum Faulen gebracht, dann in Blechdosen abgefüllt, die nicht vorher pasteurisiert werden. Gelagert werden soll der Fisch bei Terperaturen unter 8°C. In den Dosen setzt sich die Fäulnis fort. Nach etwa einem Jahr sind die Dosen stark von den Faulgasen aufgebläht. Jetzt ist der Fisch verzehrfertig.

Der Witz dabei ist, dass durch die Kulturen der Bakterienstämme Haloanerobium eine milchsaure Umgebung schaffen, die das Wachstum giftiger Bakterien wie z. B. Botulismen – vulgo Leichengift – verhindert. Als Nebenprodukte entwickeln sich unter anderem Schwefelwasserstoff (faule Eier), Buttersäure (saure Milch), Essigsäure und ganz besonders wichtig, Propionsäure (Erbrochenes), die für das charakteristische Aroma dieser Spezialität verantwortlich sind. Daher gilt Surströmming als eines der am stärksten stinkenden Lebensmittel weltweit!

Eine Andekdote zum Faulfisch ist das Surströming-Urteil, in dem das Landgerichts Köln die Rechtmäßigkeit einer fristlosen Kündigung an eine Mieterin bestätigte, die im Treppenhaus ihres Wohnhauses versehentlich Surströmming-Lake vertropft hatte – der Richter war sofort überzeugt, als die beklagte Partei im Gerichtssaal eine Dose Faulfisch öffnete (12.1. 1984, AZ 1 S 171/83). Auch der Transport von Faulfisch im Flugzeug wird von meheren Linien ausdrücklich verboten, weswegen der Verkauf von Faulfisch auf schwedischen Flughäfen eingestellt wurde. Zum Verzehr öffnet man die Fischdose üblicher Weise unter Wasser, um ein herausspritzen der stinkenden Lake zu verhindern.

Die norwegische Variante ist der Rakfisk, der aber wesentlich kürzer fermentiert wird und dem daher der starke Gestank des Surströmming fehlt.

Auch in Island gibt es fermentierten Fisch: Kæst Skata, den Gammelrochen, der traditionell am Fest des Heiligen Þorlákur, dem 23. Dezember verzehrt wird. Das besondere an dieser isländischen Rochenart ist die Tatsache, dass der Fisch keine Harnblase besitzt und daher den Harnstoff in sein Gewebe einlagert, wodurch sein Fleisch giftig wird. Um es dennoch verzehren zu können, wird der Rochen eingegraben und fermentiert (faulen gelassen). Das Ergebnis stinkt nicht so faulig wie der schwedische Surströmming, dafür umso stärker nach Urin – und so schmeckt er auch.

Nicht zu verwechseln ist der Faulfisch mit dem Laugenfisch, dem Ludfisk oder Lutefisk, der nachdem sein Eiweiß durch Einlagen in Natronlauge weitgehend denaturiert ist, eine geleeartige Konstitenz aufweist.

Das Faulenlassen zur Fermentation von Fisch wird mindestens seit der Antike praktiziert und zwar Weltweit. Was den Römern ihr Garum oder Liquamen war, ist den Vietnamesen ihre n??c m?m – im Gegensatz zur römischen Fischsauce nicht aus den Innereien hergestellt.

Es ist interessant, dass in Claude Levi-Strauss‘ Dreieck von roh-gekocht-verfault, über dass wir uns an mehreren Stellen Gedanken gemacht hatten – ausgerechnet der empfindliche Fisch die besten Beispiele für Speisen in der Ecke des Verfaulten liefert. In unserem Kulturraum scheint man sich aber mit dem fauligen in der Neuzeit eher schwer zu tun. Klabunds Bettellied, dass ihm neben bei bemerkt den Vorwurf der Gotteslästerung einbrachte, zeigt uns die Position, die verfaulter Fisch in der Metaphorik Mitteleuropas im 20. Jahrhunder (und vermutlich heute noch) hat:

Ach, schenkt den armen drei Königen was.
Ein Schöpflöffel aus dem Heringsfaß
– verschimmelt Brot, verfaulter Fisch,
da setzen sie sich noch fröhlich zu Tisch.
Kyrieeleis.

Neu, neu, neu und immer neurer – Amerika entdeckt den Sodasiphon

img_7067.jpgUnter der Überschrift „Exotic soda siphon makes comeback in home bars“ berichtet Joanne Sasvari für die kanadische Tageszeitung Vancouver Sun über die derzeitige Siphon-Welle in Amerika. Unsere Annahme, dass dieses Gerät (auch bekannt als Sahnesprüher oder Sodaspender) bislang außerhalb Deutschland und Österreich kaum bekannt ist, wird darin voll bestätigt, denn Sasvari nennt den Apparat so „exotic even the people who sell it don’t necessarily know what it is.“

Aber dank der molekularen Küche interessieren sich auch in Amerika immer mehr experimentierfreudige Köche und Barkeeper für dieses merkwürdige Gerät, das eigentlich ganz gut in die ebenfalls anwachsende Steampunk-Welle passt (oder für Neal Stephenson-Fans: Neoviktorianismus). In diesem Kontext erscheint der Siphon wie gerufen, da er zum einen die ultramoderne dekonstruktionistische Avantgardeküche eines Ferran Adrià repräsentiert („Now with the fad for molecular gastronomy, it’s making a comeback of sorts as chefs use it to foam everything from soup to nuts“), zum anderen aber auch auf eine mittlerweile 80-jährige Tradition zurückblicken kann – erfunden 1829 von dem ungarischen Benediktiner Anyos Jedlik und nicht weg zu denken aus dem (östlichen) Europa der 1920er und 1930er Jahre.

Bezeichnend ist auch, dass eine Amazon-Suche nach dem Sahne-Siphon verwandten Produkten folgendes Ergebnis liefert:

Kunden, die sich diesen Artikel angesehen haben…
Isi Thermo Whip, 0,5 l
interessierten sich auch für diese Artikel:
Die Revolutionen des Ferran Adria. Wie ein Katalane das Kochen zur Kunst machte Gebundene Ausgabe von Manfred Weber-Lamberdière

Das TEUBNER Buch – Deutsche Küche (Teubner Edition) Gebundene Ausgabe von Nikolai Buroh

Die Molekül-Küche. Physik und Chemie des feinen Geschmacks Broschiert von Thomas Vilgis

Tapas – Das Kochbuch Gebundene Ausgabe von Juan Amador

Dieter Müller – Einfach und genial. Rezepte aus der Kochschule des Meisters Gebundene Ausgabe von Dieter Müller

Die Molekularküche Gebundene Ausgabe von Thomas Vilgis

Die unsichtbare Allerweltszutat

Harold McGee widmet seine stets lesenswerten Kolumne The Curious Cook heute der Hitze:

The Invisible Ingredient in Every Kitchen.

Dabei geht es ihm zum ersten darum, auf molekulare Weise – sprich durch Nachdenken – bessere Ergebnisse zu erzielen. Und zwar egal ob beim Kochen, Schmoren, Braten oder Backen. Wichtiger noch ist ihm der Aspekt des Energiesparens.

Aiming to cook a roast or steak until it’s pink at the center, we routinely overcook the rest of it. Instead of a gentle simmer, we boil our stews and braises until they are tough and dry. Even if we do everything else right, we can undermine our best cooking if we let food cool on the way to the table — all because most of us don’t understand heat.

Dabei macht er Vorschläge zum Energiesparen, die selbst für denjenigen, der sich mit Sous-Vide-Garen abgefunden hat, noch hart zu akzeptieren sind: Da trockene Speisen innerlich erst kochen, wenn sie sich mit Wasser vollgesogen haben, spart es bis zu 2/3 der Kochzeit ein – so McGee – die Pasta vor dem Kochen in kaltes Wasser zu geben; und die Nudeln kleben dann angeblich nicht zusammen. – Das werden wir auf jeden Fall gleich mal testen!

McGees Empfehlung, beim Braten den Schritt des Garens von dem der Maillard-Reaktion zu trennen, folgen wir ohnehin (Das perfekte Steak).

Richtig professionell wird’s natürlich erst durch regelmäßigen Einsatz eines Thermometers (Taking the Temperature of the Dinner).

Also: molekular kochen und Klima schonen!

Mal wieder: Zurück zur Natur vs. Molekularküche

bon-appetit-january-08-coversmall.jpgBon appétit hat für die TODAYShow (NBC) die gastronomischen Höhepunkte des vergangenen Jahres zusammengefasst und gibt auch einen kurzen Ausblick auf mögliche Topthemen im Jahr 2008. Mit dabei auf die molekulare Gastronomie – und zwar unter der Überschrift „… And the trends that we might not need“:

On the one hand this makes sense, because it is the science of figuring out why food reacts the way it does under certain circumstances, like applying heat or cold or steam. But the term has come to describe an approach where these understandings are then used to present food in whole new ways, and they are often ways that are very far removed from anything found in nature — such as being presented with a globe made from gelatin or sugar and inside is a flavored air. It’s edible, so I guess we can call it food. And it is intriguing and can be fun … but someone just give me a perfectly ripe peach!

Die übliche verfehlte Zurück-zur-Natur-Rhetorik, die sich der simplen Wahrheit verschließt, dass nahezu jede vom Homo Erectus praktizierte Art der Nahrungszubereitung Kultur / Technik ist und nicht „Natur“. Wir haben jedenfalls kein Problem damit, dass eine Crema Catalana „very far removed from anything found in nature“ ist.

(via foodie obsessed)

Vom Sahnesiphon zur Espumamaschine

Als ich vor vielen Jahren einen Sahnesiphon geschenkt bekam, war es klar: das Ding verwendet man zum Herstellen und Dosieren von Sprühsahne. In dem Rezeptheft, das mit dem Gerät kam, waren noch einige Variationen abgedruckt: Mokka-Creme, Vanille-Joghurt-Creme, Mousse au Chocolat, Bacardi-Creme und Tiramisu ließen sich ebenfalls in dem Aufschäumer herstellen. Wie sehr mittlerweile die molekulargastronomische Innovation der Espumas in den Alltag eingedrungen ist, zeigt die aktuelle Beschriftung der N2O-Kapseln, früher auch: Sahnekapseln:

img_6998.jpg

Zwar steht die Sahne immer noch an erster Stelle, aber schon als dritte Anwendung werden die milch- und sahnefreien Espumas genannt. Noch deutlicher ist dies im Internet, denn die gastronomischen Seiten des Siphonherstellers isi heißt schlicht espumas.at und dort ist die Reihenfolge so: Espumas, Saucen, aromatisierte Sahne. Jeder kann also zum Foam-Boy oder Foam-Girl werden. Und bei der nächsten Kaffee-und-Kuchen-Einladung zu Tanndte Heete heißt es dann wohl: „Wollt ihr nochn büschen Kaffee-Espuma aufn Kuchn?“