Kategorie-Archiv: koeche

Molekulare Gastronomie auf hoher See

serena.pngWährend sich die deutschen Printmedien immer wieder in ihrer „kulturkritischen“ molekular-aversiven Haltung gefallen, scheint in Kanada zur Zeit genau das Gegenteil zu passieren. Alle paar Tage liest man in den Zeitungen voller Hingabe geschriebene Liebeserklärungen an Stickstoff, Gel und Schaum. Gerade eben war wieder einmal der Toronto Star dran, in dem Heather Greenwood Davis die molekulare Küche an Bord des Luxuskreuzschiffs „Costa Serena“ (mit 3780 Passagieren in Europa Spitze) beschreibt:

And as the doors swing open and sous-chef Fiori makes his way to the table with his tell-tale jug in hand, it’s all I can do to restrain myself from jumping up and down in my seat, clapping my hands and saying in a voice like my 2-year-old: „Do it again! Do it again!“

Das Menü wurde entworfen von dem italienischen Sternekoch Ettore Bocchia („Mistral“ im Grand Hotel Villa Serbelloni, Bellagio). Wahrscheinlich ist es aber ein Bärendienst an der molekularen Gastronomie, sie als „scary name for a simple idea – taking food down to its scientific core and then messing around with it a little“ zu banalisieren, wie Davis es in ihrem Artikel tut.

(Bild: „Costa Serena“ von turismosavona)

Aufsteiger des Jahres: Denis Feix

Der neue Gusto-Führer Bayern, der neute erscheint, kürt Denis Feix, Restaurant Il Giardino, Columbia-Hotel, Bad Griesbach zum Aufsteiger des Jahres. Feix erkochte sich schon einen Michelin-Stern und stolze 16 GautMileau-Mützen. Die Begründung der Gustos für die Ehrung:

„Mit sehr viel Ideenreichtum und handwerklicher Präzision bereichert Denis Feix seit zwei Jahren die bayrische Gourmetlandschaft. Sein spannendes Repertoire erschöpft sich nicht in Althergebrachtem, sondern bietet moderne, sehr elegant und aufwendig zubereitete Kreationen mit gelungenen kreativen Akzenten. Maßvoll und wohlüberlegt setzt er hie und da auch molekulare Effekte ein … (aus der Pressemitteilung)

Das unser Molekularkuechen-Blog besonders bemerkenswerte ist tatsächlich die Kombination von „klassischer“ Haute Cuisine mit molekularen Einflüssen, wie auf der Karte erkennbar.
Den ganzen Unken sei es hier wiedermal gesagt: der Fortschritt in der Küche ist bei Weitem kein solcher Selbstzweck, als den ihr ihn verschmäht, und nur weil sich jemand Gedanken macht, statt alles aus dem Bauch heraus zu kochen, heißt das noch lange nicht, das die Küche ihre Seele verliehrt …

Hestons Weihnachtsmenü – "weeping at the sheer beauty of the food"

Jetzt müsste man in den Vereinigten Königreichen wohnensurfen, dann würde man auf dieser BBC-Seite nicht nur die Textmeldung sehen, sondern das große Weihnachtsmenü, das Heston Blumenthal seinen Gästen in der Sendung „In Search of Perfection“ gekocht hat (immerhin gibt es hier ein Foto von dem Essen).

blumenthal.png

Grandios, wie der Fat Duck-Koch es schafft, zu polarisieren. Die einen halten seine Suche nach Rentiermilch für übertrieben oder gar krankhaft; die anderen sind begeistert, erstaunt und überwältigt von seiner visionären Küche – „food that no-one will ever cook“ – und sehen in ihm längst keinen Koch mehr, sondern einen postmodernen Alchemisten. Allein das Sorbet mit Pfeifenrauch- und Ledersesselaroma! Oder der Gänsebraten der etwas aufwändigeren Art:

He fed his goose (turkey is so not him) with pine-feed so it would taste of Christmas. Alongside the goose, he served a chestnut velouté in a bell jar that contained the smell of chestnuts roasting on an open fire.

Ich glaube, ich fliege am Sonntag nach London um mir die Wiederholung anzusehen.

30 Weihnachtstipps von Heston Blumenthal

garrett-buffet.jpgWeihnachtszeit ist Rezeptezeit. Und da gilt es zu beweisen, dass die molekulare Küche zu mehr taugt als zu sternedekorierten Degustationsmenüs in 25 Gängen. Die Frage lautet jetzt: Was leistet die molekulare Küche bei feiertagspraktischen Problemen mit Gans, Ente und Kartoffeln. So stellten die Leser des Independent am vergangenen Freitag Heston Blumenthal zur Rede und fragten unter anderem danach,

  • ob Gänseschmalz tatsächlich das Nonplusultra für Bratkartoffeln sei
    (Antwort: Nicht unbedingt, denn zu knusprigeren Resultaten führt Olivenöl, in dem zuvor des Geschmacks wegen ein paar Kartoffelschalen bei niedriger Temperatur mehrere Stunden gegart wurden)

  • welches Küchenspielzeug man sich dieses Jahr wünschen solle
    (Antwort: Trockeneis)

  • wie man den Truthahn perfekt goldbraun und saftig hinbekomme
    (Antwort: Sehr lange bei niedrigeren Temperaturen, etwa 60°C, garen und dann kurz bei 250°C bräunen, siehe dazu auch unsere Experimente mit der sous-vide-Garmethode)

  • welche Musik man zum Weihnachtsessen hören sollte
    (Antwort: frühen Äthiopischen Avantgardejazz oder Dr Rubberfunk)

  • wie man mit wenig Geld ein tolles Weihnachtsmenü anbieten kann
    (Antwort: Mehr Kartoffeln als üblich, vielleicht eine Schweineschulter anstelle des Truthahns)

  • wie man ohne Stress durch die Feiertage kommt
    (Antwort: Das Geschenkekaufen an die Frau delegieren)

  • welches Kochbuch man sich wünschen sollte
    (Antwort: Theodore Francis Garretts „Encyclopaedia of Practical Cookery, Band I und II„, in der unter anderem ein 170-Gänge-Menu von König George en detail beschrieben wird)

Alles weitere gibt es in dem Zeitungsartikel zu lesen. Und wem das noch nicht genug Blumenthal-Weihnachten ist, der kann auch noch die folgenden Artikel mitnehmen:

(Abbildung: Tischdekoration aus dem oben erwähnten Werk „The Encyclopaedia of Practical Cookery“, vielen Dank an Historic Food für das Bild)

"Die Revolutionen des Ferran Adrià" von Manfred Weber-Lamberdiére

„Wie ein Katalane das Kochen zur Kunst machte“ lautet der Untertitel dieser gerade erschienenen engagierten Biografie des definitiv meist-gehypten Kochs unserer Zeit.

Was das Buch aber lesenswert macht, ist tatsächlich weniger Adriàs Leben, das – für ihn sicherlich zum Glück – bis auf einige Anekdoten recht beschaulich und sehr geradlinig verlaufen zu sein scheint. Nein, „Die Revolutionen des Ferran Adrià“ (Bloomsbury Berlin) bieten eine wirklich unterhaltsame und kenntnisreiche Fahrt durch die Entwicklung der internationalen Haute-Cuisine des 20. Jahrhunderts. Es wird uns klar gemacht, wie sich aus dem Erbe der „großen internationalen Küche“ Auguste Escoffiers und deren Antithese, der Erfindung der „Nouvelle Cuisine“ durch Ferdinand Point und seine Mitstreiter schön dialektisch der nächste Schritt entwickelt, die „Nueva Nouvelle Cuisine“, wie Adrià seine Kochkunst bezeichnet wissen will; den Begriff „Molekular-Küche“ findet er bekanntermaßen zu technisch.

Sehr anschaulich wird neben diesem Gang durch die Gastro-Geschichte auch die psychologiesche Motivation der Köche entwickelt. Auf den Punkt gebracht: es geht um Glück, und der „Biochemie des Glücks“ wird denn auch ein eigenes Kapitel gewidmet.

Äußerlich ist es ein hübsches Büchlein: solide geheftet, angenehmes Papier und der Text schön gesetzt.

Der Autor, Manfred Weber-Lamberdière, ist Paris-Korrespondent des Focus.

Manfred Weber-Lamberdière: Die Revolutionen des Ferran Adrià. Wie ein Katalane das Kochen zur Kunst machte, 232 S., Bloomsbury Berlin, 2007, ISBN 3827007429, 18,- EUR

Kochmuetzen.net


Professionellen Austausch für Profi-Köche bietet das neue Kochportal www.kochmuetzen.net.
Unter dem Tag Molekulare Rezepte finden sich auch schon einige Kreationen des Gründers Henrik Schellhoss, z. B. Gurkengelee mit Zander, Gänseleber und Kreuzkümmelöl.

Auf nach China, ins Land der teuren Vasen


Hier sieht man Chef Mark Pi beim Nudel-Ziehen, und zwar bis zu einem Durchmesser von nahezu molekularen Dimensionen – durch wiederholtes Teilen. Ein schönes Beispiel von der physikalischen Seite des Kochens.

„We approach the division of matter…by halving and halving and halving it again.“

sagt der Physiker Philipp Morrison dazu.
via slashfood.com

Die 23 Gebote des Ferran Adrià

landert.pngZwar schon ein bisschen älter, aber trotzdem noch lesenswert: das Manifest von Ferran Adrià. Hier als pdf in der Version, die Jürg Landert im August 2006 auf dem 6. Event Circle vorgetragen hat. Besonders schön das 14. Gebot:

die klassische struktur der gerichte wird zerstört. bei den vorspeisen und den nachspeisen gibt es eine wahre revolution, die viel zu tun hat mit der symbiose zwischen der welt des süssen und der welt des salzigen. bei den hauptgerichten wird die hierarchie „produktgarnieren-sauce“ zerstört.

Mark Dommen über molekulare Qualität

dommen.pngNoch ein Name, den man sich merken sollte: Mark Dommen, Chef im Restaurant One Market (San Francisco) wurde nicht nur 2007 zum „Rising Star“ der StarChefs gewählt, sondern hat letzten Monat auch einen Michelin-Stern erhalten. Dommen war zuvor im Fleur de Lys und in Julia’s Kitchen in Napa tätig, wo er auch aufgewachsen ist, sowie im Lespinasse und dem Park Avenue Café in New York. In einem „Dreiminuteninterview“ mit dem Examiner äußert er sich auch über die Molekulargastronomie (zudem hat er kürzlich zusammen mit Harold McGee, Elizabeth Falkner (Citizen Cake) und Daniel Patterson auf einer Veranstaltung der San Francisco Professional Food Society einige molekulare Kochtechniken demonstriert):

Bay Area is starting to embrace molecular gastronomy, cooking at low temperature. That’s starting to gain more popularity here because it allows you to be a little more creative. It helps you produce a more consistent product and higher quality.

California, here we come!

Vom Ei zum Huhn – die Küche der Familie Arzak

arzak.pngDer Miami Herald widmet sich ausführlich der Familie Arzak, die nicht nur durch Juan Mari Arzak, dem Begründer der modernen baskischen Küche berühmt wurde, sondern auch durch dessen Tochter Elena, immer wieder bezeichnet als „the most important female chef in the world. The Madonna of chefs, even“. Sie ist es auch, die immer wieder molekulargastronomische Highlights wie „From the Egg to the Chicken“ ins Programm ihres Dreisterne-Restaurants Arzak bringt und damit den Kreis zu Ferran Adrià schließt:

Juan Mari Arzak was a mentor of Adrià, but Adrià took the idea of modern Spanish cuisine to the stratosphere with his foams, deconstructions and mad-scientist creations. The Salvador Dalí­, the Picasso, the Beethoven of the food world, Adrià has been called. And his “molecular gastronomy“ has become a movement, with roots that lead back to Juan Mari’s earlier movement.

(Foto: FotoosVanRobin)