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Über das Verfeinern

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„Verfeinern“ – dieses Wort ist für mich der Inbegriff der deutschen Kochkunst. Man nehme ein Fertigprodukt – sei es die Spaghetti-Sauce oder eine Tiefkühlpizza – und fügt dem Gericht noch eine weitere Zutat hinzu, die nicht getrocknet, gefroren oder sonstwie konserviert ist. Man brät also ein paar Zwiebeln an und kippt dann die Fertigtomatensauce darauf. Oder man belegt die Pizza mit etwas frisch aufgeschnittener Wurst.

Dahinter steckt die Philosophie, dass durch die Kombination aus einem eher geschmacklosen Fertigprodukt und einer frischen Zutat ein „leckeres“ Essen entsteht. Viele der Verfeinerungsanweisungen haben explizit ein „leckeres“ Essen als Ziel – in besonderen Fällen geht es um eine „leckere“ Tiefkühlfischpfanne, die mit einem Schuss Sahne oder ähnlichem „noch leckerer“ wird. Also die drittbeste Kombination nach einem vollständig aus frischen Zutaten gekochten Gericht und einem Gericht, in dem überwiegend frische Zutaten mit einer Fertigzutat zusammen kommt. Denn Verfeinern bedeutet, dass die verfeinernde Substanz nur ein Addendum darstellt. Das eigentliche Grundgerüst des Essens ist also unfein.

Verfeinern ist aber nicht dasselbe wie Garnieren oder Würzen. Es geht dabei nicht allein um den feinen Geschmack, sondern um das Gefühl, selbst etwas zum Geschmack beigetragen zu haben. Verfeinern lässt sich nicht auf die verwendeten Substanzen reduzieren, sondern ist (ein residualer) Ausdruck des kochenden Subjekts, die Vergewisserung der eigenen Handlungsfähigkeit und ein Schritt jenseits des sturen Befolgens von Anweisungen. Verfeinern könnte man auch als minimales Residuum einer handwerklichen Nahrungszubereitung bezeichnen. Oder als Simulacrum des Kochens. Durch das Verfeinern eignet man sich eine anonyme, fremde Ware an und macht sie zu einem Werk. Meine These ist, dass das Verfeinern eine notwendige Begleiterscheinung der Convenienceküche.

Mit der ursprünglichen Bedeutung des Verbs hat diese Art von Verfeinern nicht mehr viel zu tun: Kultivieren, Zivilisieren, Humanisieren ist im Fall der zu verfeinernden Fertigprodukte gar nicht mehr nötig. Es handelt sich bereits um zivilisatorische Produkte. Gerade im Fall des Verfeinerns mit roher, frischer Ware geht das Verfeinern eher in das Gegenteil. Man möchte die Künstlichkeit, Zivilisiertheit des Produktes abmildern. Die Gefahren der Verfeinerung beschreibt im Übrigen Jean Paul in „Levana oder Erziehlehre“:

Besonders die Exerzitien des Geschmacksinnes lasse man weg, für dessen haut-goût ohnehin die Küchen die hohen Schulen sind; zumal da wir jetzo nicht erst durch ihn zwischen Gift und Kost zu richten brauchen, sondern vielmehr durch seine Übung an großen Tafeln beide verwechseln lernen, so daß wir, ungleich den Tieren, welche nur jung aus ungeübtem Geschmack auf der Weide zu schädlichen Kräutern fehlgreifen, oft aus verfeinertem gerade nach Giftschüsseln und Giftkelchen langen.

Ein kurzer Blick ins Internet zeigt folgende teils gruselige, teils wohlschmeckende Beispiele für Verfeinerungen:

Kaum ein Weblog, in dem nicht verfeinert wird. In diesem Blog bisher nur sehr abstrakt. Damit das nicht so bleibt, hier eine sehr schöne Verfeinerungen, die von Ferran Adrià selbst stammen soll und in ihrer Schlichtheit wohl kaum zu überbieten ist.

Zutaten

Zubereitung

  1. Die Kartoffelchips mit Pfeffer und Essig anmachen.

(Abbildung „Gemüsesuppe“ von tin.G)

Spaghetti bolognese nach Heston Blumenthal

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Die Frage ist: was kann man an dem absoluten Klassiker Spaghetti mit Ragù alla bolognese (vulgo: Spaghetti bolognese) noch verbessern? Nun, an ein paar Stellen hat Heston Blumenthal doch noch ein paar Modifikationen anzubieten.

  • Ein Teil der Zwiebeln wird in Öl mit etwas Sternanis karamelisiert. Auch in das Ragù kommt Sternanis. Warum? Dieses Gewürz hilft dabei, den Umamigeschmack von Fleisch und Tomate noch etwas zu betonen.
  • Der üblicherweise dazugegebene Rotwein wird durch einen trockenen Weißwein (Chardonnay) ersetzt, was dem ganzen eine leicht fruchtige Note gibt, die dann noch durch den Sherry-Essig beim Abschmecken verstärkt wird.
  • Die Kochdauer! Viele Blumenthal-Gerichte erkennt man daran, dass die üblichen Kochzeiten mindestens vervierfacht werden. Das ist auch hier der Fall. Insgesamt köchelt das Ragù acht Stunden bei niedriger Hitze. Dem Geschmack zuliebe. Ich muss allerdings zugeben, dass die hungrige Familie im Hintergrund mich in diesem Punkt überstimmt hat und ich die Kochzeiten deshalb auf ein gewöhnliches Maß reduziert habe.
  • Das Gericht bekommt eine haute cuisine-Note durch die Verwendung von diversen Bouquets garni (Kräutersträußchen) aus Thymian, Lorbeerblatt, Lauch, Petersilie, Selleriegrün und Estragon.
  • Das Tomatenragu wird noch einmal in einer Pfanne bei großer Hitze „gebraten“ um dem Ganzen eine würzige Note zu geben.

Etwas mehr Aufwand als üblich – aber es lohnt sich!

Zutaten (in der Reihenfolge der Verwendung)

  • 125ml Olivenöl
  • 500g Hackfleisch
  • 375ml Chardonnay
  • 1 Sternanis
  • 2 große Zwiebeln, gestiftelte
  • 3 große Karotten, gewürfelt
  • 2 große Zwiebeln, gewürfelt
  • 2 Knoblauchzehen, gehackt
  • 2 Selleriestrünke, gewürfelt
  • 250ml Vollmilch
  • 1000g reife Tomaten
  • Salz
  • 200ml Olivenöl
  • 3 Knoblauchzehen
  • 1 große Zwiebel, gewürfelt
  • 1 Teelöffel Koriandersamen, zerstoßen
  • 1 Sternanis
  • 3 Gewürznelken
  • Tabasco
  • Fischsauce (thailändisch oder vietnamesisch)
  • Worcestershiresauce
  • Tomatenketchup
  • 30ml Sherryessig
  • Kräutersträußchen aus 7 Thymianzweigen und einem Lorbeerblatt
  • 500g Spaghetti
  • Parmesankäse
  • Kräutersträußchen aus 6 Estragonblättern, 4 Petersiliezweigen, Selleriegrün eingewickelt in ein Lauchblatt
  • Butter
  • Pfeffer

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Zubereitung

  1. 25ml Öl in einer Pfanne bei mittlerer Hitze erhitzen, die gestiftelte Zwiebeln mit einer Sternanis hinzugeben und etwa 20 Minuten lang kochen bis die Zwiebeln weich und karamelisiert sind. Für später aufheben.
  2. Für das Soffritto in einer großen Pfanne 50ml Öl bei niedriger Hitze erhitzen. Knoblauch, Zwiebeln, Karotten und Sellerie dazugeben und bei niedriger Hitze 20 Minuten garen lassen. Beiseitelegen.
  3. 50ml Öl in einer großen Pfanne erhitzen – diesmal bei starker Hitze bis das Öl zu rauchen beginnt. Jetzt das Hackfleisch in die Pfanne geben und unter Rühren von allen Seiten anbräunen. Die Maillard-Reaktion sorgt für einen angenehm fleischigen Geruch und eine lecker-knusprige Kruste. Das Fleisch in ein Sieb geben, so dass das Öl abtropfen kann. Mit einem Teil des Weins die Pfanne ablöschen und damit die Fleischreste von der Pfanne lösen. Etwas einkochen lassen. Dann das Fleisch und den reduzierten Wein in einen großen Topf schütten. Die Sternanis aus den Zwiebeln fischen und die Zwiebeln mit dem Öl in den Fleischtopf geben. In dem Topf der karamelisierten Zwiebeln den restlichen Wein bis zur Hälfte des Volumens reduzieren lassen. Wein und Soffritto ebenfalls zu dem Fleisch geben.
  4. Den Topf mit dem Fleisch auf eine Platte bei niedriger Hitze stellen. Die Milch dazuschütten und soviel Wasser bis das Fleisch gerade bedeckt ist. 6 Stunden kochen lassen. Immer wieder Wasser nachgießen, so dass das Fleisch immer bedeckt bleibt.
  5. Tomaten schälen, Samen entfernen und grob würfeln. In einem Topf 100ml Öl erhitzen (niedrige Hitze). Knoblauch und Zwiebel dazugeben und 10-15 Minuten weich garen. Koriander, Sternanis und Nelken in ein Kräutersäckchen füllen und das Säckchen zu den Zwiebeln legen. Tomaten dazu geben. Ein paar Tropfen Tabasco, Fischsauce und 2 Esslöffel Worcestershiresauce dazu träufeln, jetzt noch Ketchup und Essig hinein, das Bouquet und dann bei niedriger Hitze 2 Stunden kochen lassen.
  6. Den Rest des Öls in einer Pfanne stark erhitzen, dann das Tomatenkompott unter ständigem Rühren 15-20 Minuten „anbraten“. Danach das Kompott zum Fleischgeben und das Ganze noch einmal 2 Stunden bei sehr niedriger Hitze durchziehen lassen.
  7. Spaghetti kochen (jeweils 1l Wasser und 10g Salz auf 100g Nudeln). Ragù mit etwas Essig abschmecken, pfeffern und etwas Parmesan dazureiben. Das alte Kräutersträußchen herausnehmen und durch das neue (Lauch) ersetzen. 100g Butter hineinrühren und 5 Minuten stehen lassen.
  8. Nudeln abgießen und die überflüssige Stärke abspülen. Wieder in den warmen Topf geben und 50g Butter und ein bisschen Olivenöl dazu. Dann: servieren.
  • Das Jüngste Gericht: Spaghetti mit Habaneros

    img_7137.jpgZum einen gehören Habanero-Chilischoten zum Anregendsten, was man seinem Geschmacksapparat antun kann und zum anderen ist es einigermaßen erstaunlich, wie ein bekennender Jesus-Jünger auf dieser Seite sein Rezept für „Spaghetti Armageddon“ präsentiert. Ich bin mir gar nicht sicher, ob die vielen Verweise auf das Jüngste Gericht hier nicht völlig unironisch wortwörtlich gemeint sind:

    Was wissen wir denn über das Gericht Gottes? Wenn meine Spaghetti den Leuten den Schweiß auf die Stirn treibt, was wird dann erst bei Gottes Gericht sein? Wird das dann auch feurig? Feuerpfuhl, Gut und Böse, das Buch des Lebens, die große Aufrechnung, Himmel oder Hölle, Fegefeuer?

    250px-capsaicin_chemical_structure.pngWie auch immer, auch wenn man für den evangelikalen Manichäismus nicht empfänglich ist, das Rezept macht Freude. Außerdem lässt sich auf diese Weise die gesundheitsfördernde Wirkung des Chiliinhaltsstoffes Capsaicin am eigenen Leib erfahren: dem Körper wird eine Überhitzung suggeriert und die üblichen Kühlmechanismen werden angeworfen – man schwitzt und die Blutzirkulation wird verstärkt. Außerdem wir dem Gehirn von dem Capsaicin sehr schnell ein Sättigungsgefühl suggeriert. Die Vorteile liegen auf der Hand: man isst weniger und der Körper verbrennt mehr von den aufgenommenen Kalorien.

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    Zutaten

    • Je nach Leidensfähigkeit 1-2 Habanero-Chilis (geviertelt, Samen entfernt)
    • 150g Speck
    • Olivenöl
    • 2 Zwiebeln
    • 400g Spaghetti

    Zubereitung

    1. Nudeln in reichlich heißem Wasser kochen.
    2. Die gehackten Zwiebeln im heißen Öl glasig braten. Dann den Speck dazugeben und goldbraun braten.
    3. Die Pfanne vom Feuer nehmen und die geviertelten Habanero-Chilis dazugeben. 3 Minuten durchziehen lassen.
    4. Die Nudeln abgießen und im Topf mit der Zwiebel-Chilimischung übergießen. Gut durchmengen und servieren.

    Wem die Schärfe zu stark ist – schließlich gehören Habaneros mit 80.000 bis 150.000 Scoville-Einheiten zu den schärfsten Chilisorten – kann sich mit leicht gesüßtem, kalten Wasser behelfen. Die Kälte setzt die Rezeptoren außer Kraft und die Süße hilft dabei, sie von der Schärfe „abzulenken“.

    Da stellt sich wieder eine Frage, die uns schon lange beschäftigt: Wie sind die Menschen darauf gekommen, Chilis zu essen? Schließlich ist anzunehmen, dass die krasse Schärfe gerade als Abwehr gegen das Gefressen-Werden durch Säugetiere entwickelt wurde – Vögel sind gegen das Capsaicin immun. Dieser Plan der Natur scheint eindeutig daneben gegangen: mittlerweile betragen weltweite Chiliproduktion und -konsum das Zwanzigfache der Schwarzpfefferproduktion. Oder liegt die List der Natur gerade darin, durch diese herausfordernde Schärfe die eigene weltweite Verbreitung durch den Menschen anzutreiben?

    Siehe zum Thema Chili auch folgende einschlägige Quellen: Chili und Ciabatta, Chili-Blog, Pepperworld, Hot Chili Peppers.

    Geröstete Spaghetti à la Ferran Adrià

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    Als ich mir dieses Rezept des Dreisternekochs Ferran Adrià (El Bulli) das erste Mal durchgelesen habe, dachte ich mir: Typisch nueva nouvelle cuisine – um jeden Preis vermeiden, die Spaghetti so zuzubereiten, wie man es normalerweise macht (Wasser kochen und die Nudeln dazugeben). Aber das Rezept überzeugt: Die Nudeln erhalten durch das Anrösten eine herrliche Konsistenz.

    Zutaten

    • 350g Nudeln, hier: Spaghetti aus Hartweizengrieß
    • 3 Esslöffel Olivenöl
    • 2 Knoblauchzehen
    • 1 kleine Chilischote
    • 3 Tassen Brühe, hier: Gemüsebrühe
    • 1 Tasse Wasser
    • Petersilie

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    Zubereitung

    1. Nudeln in ca. 5 cm lange Stückchen brechen. Das Olivenöl in einem großen Topf erhitzen und die Nudeln dazugeben. Unter ständigem Rühren golden anrösten.
    2. Nach etwa 3 Minuten den zerdrückten Knoblauch und die kleingeschnittene Chilischote dazugeben und etwa eine Minute mitkochen lassen.
    3. Dann die Brühe und das Wasser in den Nudeltopf gießen und die Nudeln all dente garen.
    4. Zum Abschluss die kleingeschnittene Petersilie daruntermengen und servieren.

    Die unsichtbare Allerweltszutat

    Harold McGee widmet seine stets lesenswerten Kolumne The Curious Cook heute der Hitze:

    The Invisible Ingredient in Every Kitchen.

    Dabei geht es ihm zum ersten darum, auf molekulare Weise – sprich durch Nachdenken – bessere Ergebnisse zu erzielen. Und zwar egal ob beim Kochen, Schmoren, Braten oder Backen. Wichtiger noch ist ihm der Aspekt des Energiesparens.

    Aiming to cook a roast or steak until it’s pink at the center, we routinely overcook the rest of it. Instead of a gentle simmer, we boil our stews and braises until they are tough and dry. Even if we do everything else right, we can undermine our best cooking if we let food cool on the way to the table — all because most of us don’t understand heat.

    Dabei macht er Vorschläge zum Energiesparen, die selbst für denjenigen, der sich mit Sous-Vide-Garen abgefunden hat, noch hart zu akzeptieren sind: Da trockene Speisen innerlich erst kochen, wenn sie sich mit Wasser vollgesogen haben, spart es bis zu 2/3 der Kochzeit ein – so McGee – die Pasta vor dem Kochen in kaltes Wasser zu geben; und die Nudeln kleben dann angeblich nicht zusammen. – Das werden wir auf jeden Fall gleich mal testen!

    McGees Empfehlung, beim Braten den Schritt des Garens von dem der Maillard-Reaktion zu trennen, folgen wir ohnehin (Das perfekte Steak).

    Richtig professionell wird’s natürlich erst durch regelmäßigen Einsatz eines Thermometers (Taking the Temperature of the Dinner).

    Also: molekular kochen und Klima schonen!