Archiv für den Autor: jbenno

Roh, gekocht, gebraten


In seiner Betrachtung der Küche kommt Claude Levi-Strauss zu einem „kulinarischen Dreieck“, in dessen Ecken die extremen Zubereitungsformen roh, gekocht und gebraten stehen (bei CLS kommt allerdings als Drittes das Verfaulte – darüber sollten wir auch noch sprechen! – mein Dreiklang stammt aus der Interpretation von Slavoy Žižek).

Das Gebratene – dem Feuer am nächsten – geht am verschwenderischsten mit den Nährstoffen der Speisen um, so Levi-Strauss. Daher sei es sozial höheren Schichten zuzuordnen, als das Gekochte. / Diese Ansicht teilt er übrigens mit Brillat-Savarin, der schon genau hundertfünfzig Jahre zuvor festegestellt hatte, dass man zum Koche ausgebildet werden kann, „zum Bratkünstler aber ist man geboren“ …/

Ist denn das Braten wirklich so verschwenderisch, nur weil aus dem Bratgut die Säfte heraustreten? In einem aktuellen Artikel beschäftigt sich das Journal of Agricultural and Food Chemistry mit dieser Frage, inwieweit unterschiedliche Gartechniken die Nähreigenschaften beeinflussen.

Das Ergebnis: gebratenes Gemüse ist gesünder als rohes. Je nach Gemüsesorte liegt Konzentration der Antioxidantien um bis zu 30% über den Werten für die rohen Speisen.

Aufsteiger des Jahres: Denis Feix

Der neue Gusto-Führer Bayern, der neute erscheint, kürt Denis Feix, Restaurant Il Giardino, Columbia-Hotel, Bad Griesbach zum Aufsteiger des Jahres. Feix erkochte sich schon einen Michelin-Stern und stolze 16 GautMileau-Mützen. Die Begründung der Gustos für die Ehrung:

„Mit sehr viel Ideenreichtum und handwerklicher Präzision bereichert Denis Feix seit zwei Jahren die bayrische Gourmetlandschaft. Sein spannendes Repertoire erschöpft sich nicht in Althergebrachtem, sondern bietet moderne, sehr elegant und aufwendig zubereitete Kreationen mit gelungenen kreativen Akzenten. Maßvoll und wohlüberlegt setzt er hie und da auch molekulare Effekte ein … (aus der Pressemitteilung)

Das unser Molekularkuechen-Blog besonders bemerkenswerte ist tatsächlich die Kombination von „klassischer“ Haute Cuisine mit molekularen Einflüssen, wie auf der Karte erkennbar.
Den ganzen Unken sei es hier wiedermal gesagt: der Fortschritt in der Küche ist bei Weitem kein solcher Selbstzweck, als den ihr ihn verschmäht, und nur weil sich jemand Gedanken macht, statt alles aus dem Bauch heraus zu kochen, heißt das noch lange nicht, das die Küche ihre Seele verliehrt …

d'Pintxos


Pintxos bedeutet Tapas auf Baskisch. Und unter d’Pintxos fand vom 12. bis 14. Dezember in San Sebastian die erste „Messe für kleines Essen“ statt bzw. für die „Küche in Miniatur“. Schöne Bilder der spektakulären Kreationen sind auf dem Blog directo al paladar zu finden (was wohl soviel wie direkt in den Gaumen bedeutet).

Sehr nett liest sich die Liste der beteiligten Köche:

    Juan Mari und Elena Arzak (Arzak, Donostia)
    Pedro Subijana (Akelarre)
    Andoni Luis Adúriz (Mugaritz, Oiartzun)
    José Ramón Elizondo (Bar Aloña Berri, Donostia)
    Sergi Arola (La Broche, Madrid)
    Carles Gaig (Gaig, Barcelona)
    May Hofmann (Escuela-Hofmann, Barccelona)
    Sacha Ormaechea (Sacha, Madrid)
    Ed Brown (Sea Grill, New York)
    Koji Fukaya (Vascu, Japón)
    Sumito Estévez (Instituto Culinario de Caracas, Venezuela)
    Benito Molina (La Manzanilla, Baja California)
    Bruno Oteiza (Bico, Mexico D.F.)

Die Reaktion der bodenständigen Kost

Und weiter geht es: die Reaktion schlägt zurück. Urs Bühler schreibt in der Kolumne „Mit Leib und Seele“ in der Neuen Züricher Zeitung:

Was bleibt, wenn hochtrabende Begriffe wie «fusion kitchen» verblassen oder wenn die ganze Aufregung um molekulare Küche sich einmal gelegt hat? Ein Müsliblätter-Chüechli, das längst vergessen geglaubten Salbeiduft verbreitet […]
Wer also für Heiligabend einen Braten oder ein simples Rollschinkli auf die Festtafel zu stellen gedenkt, statt mit flüssigem Stickstoff zu hantieren, Lammhirn mit Garnelen zu kombinieren oder ein Curry mit Lebkuchen zu fusionieren, liegt ganz gewiss nicht falsch.

Was ist da schief gegangen? Das läuft jetzt so ähnlich, wie damals, als der Vorwurf in aller Munde kam, Nouvelle Cuisine, das wären drei rohe Erbsen und eine Tomate auf einem Teller. Woher kommt denn diese Häme? Wer hat denn wirklich schonmal darunter gelitten, dass er ein mit Stickstoff gekochtes Menü essen musste! So als ob es das jetzt in jeder Pommes-Bude zu kaufen gäbe.

Da nehmen wir wieder einmal die 23 Thesen von Adrià zur Hand, beispielweise These 3:

„Alle Produkte haben den gleichen gastronomischen Wert, unabhängig vom Preis“

Klarer gehts denke ich nicht.

In der Tradition der neuen "cuisine molecular"

Ist das nicht ein schönes Oxymoron: schon hat die Molekularküche eine Tradition! Das Wiesbadener Tagblatt berichtet uns vom Restaurant von Doris und Bernd Wagner im Opelbad in Wiesbaden.

in der Tradition der neuen „cuisine molecular“: „Essen ist ein Event geworden, die Leute wollen nicht mehr so viel essen, aber von vielem probieren – darauf richten wir uns ein. Auf kleinen Tellerchen kann mal also kleine Portionen unterschiedlichster Speisen kosten.“

Das wars also: kleine Tellerchen – Molekül bedeutet ja auch „kleine Masse“ … definitiv eine sehr weite Auslegung. Die Speisekarte des betreffenden Restaurants hat dann doch mehr die alte Tradition zu bieten (Kalbsragout „Prinzess“, Kräutersüppchen etc.).

Moleculare Mixology – ruhe in Frieden!

In Bitters Blog lesen wir einen interessanten Beitrag über die „Beerdigung der Molekular Mixology“ – wir hatten auch schon mal davon … – , bevor sie wirklich zum Trend geworden war. Das da beschriebene Unwohlsein beschleicht auch uns von Zeit zur Zeit. Over-Exposure und ständiger Hype haben schon mach lustige Sache vorzeitig den Garaus gemacht.

Aber: es ist ja nicht die Terminologie die gute Küche (bzw. eine gute Bar) ausmacht. Und was die Kollegen im Bitters Blog als den Bar-Trend „Cuisine Style“ beschreiben, nämlich den Einsatz von Gewürzen und anderen Ingredentien, klingt zumindest artverwand zur molekularen Sicht der Dinge.

Es spricht doch einiges dafür, für die neue Epoche der Küche einen neuen Begriff zu suchen. „Nueva Nouvelle Cuisine“ wie Adrià vorschlägt, ist so ähnlich wie Neomoderne. Was kommt danach? Die Neo Nueva Nouvelle Cuisine?

Lieber Leser: nur her mit den Vorschlägen!

Isn't everything a chemical?

Hier eine aktuelle Besprechung der
Kulinarischen Geheimnisse von Hervé This.

Die Columbia Universität veröffentlicht auf ihrem Server die Kapitel über Tee und Alkohol.

Emincé vom Huhnnach Hervé This

huhn2.jpg

Ein klassiker der Molekularen Küche, frei nach Hervé This „Kulinarische Geheimnisse“. Der Witz ist die saure Marinade, genau wie beim Zarten Huhn von Papua. Durch die Säure wird das Eiweis denaturiert. Dadurch ist das Fleisch vorgegart ohne durch Hitze trocken oder zäh zu werden (s. Abb.)

huhn1.jpg

Hühner- oder Putenbrust
Knoblauchzehen
ca. 20 kleine Zwiebeln oder Schalotten
2-3 Zitronen
Weißwein
Hühnerbrühe
Sahne
Zucker
Thymian
Lorbeer
Pfeffer
Meerrettich

Hühnerbrust in gleichmäßige ca. daumendicke Streifen schneiden. In einem Topf zusammen mit den Zwiebeln, Lorbeer, und Thymianzweig mit dem Saft der Zitronen und dem Wein bedecken.
Mindestens 2 Stunden marinieren.

Nach Ende der Marinierzeit die Zwiebeln mit etwas Zucker und Salz in Butter anschwitzen. Mit Hühnerbrühe, etwas Wein und einigen Löffeln aus der Marinade bedecken und leise kochen lassen. Wenn die Zwiebeln fertig sind, aus der Brühe nehmen.

Die Hühnerstreifen in Butter heiß anbraten, dass sie schön braun werden. Aus der Pfanne nehmen. Mit der Brühe aufgießen und mit etwas Sahne die helle Sauce abschmecken.

Frisch geriebenen Meerrettich dazu. Z. B. mit Reis servieren.

Sauce Espangnol

1903 erscheint der „Guide Culinaire“ von Auguste Escoffier. Mit diesem Werk beginnt die Epoche der Moderne in der Küche. Es lohnt sich unbedingt diese bis heute normgebende Sammlung zur Hand zu nehmen. Jede neue gastronomische Strömung des Abendlandes im 20. Jahrhundert musste sich mit Escoffier auseinandersetzen: die Folie auf der von Generation zu Generation aufgebaut wird, was als „Haute Cuisine“ verstanden wird.

Escoffier, der als erster Chéf unter César Ritz in dessen 1898 eröffneten Hotel an der Place Vendôme in Paris zu Weltruhm aufstieg, gilt gemeinsam mit Julius Maggi als Erfinder des berühmten, billigen Würzextrakts.

Um zu verstehen, von was sich die Nouvelle Cuisine zu distanzieren suchte, und was bis heute – und sei es als monstre – für immer neue Inspiration gerade auch der jüngeren Sterneköche gilt, folgt hier das Rezept der Braunen Grundsauce, die in ihrer Instant-Version bis heute aus keiner Kantine wegzudenken ist. Und es wird klar, wie es dazu kam, dass die Hauteur der Küche sich wohl primär an der Komplexität der Zubereitung bemessen hat.

Sauce Espagnole – Braune Grundsauce

Proportionen für 5 Liter
625g Mehlschwitze
12 Liter brauner Fond
150g magere Speckwürfel, 250g Karotten, 150g gewürfelte Zwiebel, Thymian, Lorber

Zubereitung: 1. Man bringt 8 Liter Fond zum Kochen, fügt die erweichte Mehlschwitze hinzu, führt das Ganze mit dem Löffel oder dem Schneebesen glatt, bringt es unter ständigem Rühren zum Kochen und lässt hierauf an der Seite des Feuers langsam aber beständig weiterkochen.

2. Dann fügt man die folgendermaßen bereitete Mirepoix hinzu: Man lässt den Speck in einem Sautoir zergehen, gibt die Würfel von Karotten, Zwiebeln, Thymian und Lorbeerblatt hinzu und röstet dies, bis die Gemüse leicht gelb sind. Dann gießt man das Fett ab, gibt die Gemüse in die Sauce, löscht das Sautoir mit einem Glase Weißwein ab, kocht dies bis zur Hälfte ein, giet den Fond in die Sauce und lässt diese hierauf langsam unter öfterem Abschäumen drei Stunden vorsichtig kochen.

3. Man passiert die Sauce dann durch ein Spitzsieb in eine andere Kasserolle, wobei man die Mirepoix leicht presst, gießt von neuem 2 Liter Fond hinzu, lässt nochmals 3 Stunden langsam und stetig kochen, pasiert die Sauce dann in eine Schüssel und rührt sie von Zeit zu Zeit, bis sie völlig erkaltet ist.

4. Am anderen Tage gießt man die Sauce in eine Kasserolle mit dickem Boden und gibt die 2 Siter noch übrigen Fond sowie 1 Liter Tomatenpüree oder ebensovie frische Tomaten (etwa 2 kg) hinzu. Wenn man Tomatenpüree verwendet, so raten wir, dasselbe im Ofen zu rösten, bis es beinhae braun ist. Dieses Abrösten nimmt dem Püree alle Säure, erlcihter das Klären der Sauce und gibt derselben einen wärmeren, dem Auge angenehmeren Ton. Dann lässt man die Sauce unter forwährendem Rühren mit dem Spatel oder dem Schneebesen auf offenem Feuer aufkochen, dann noch 1 Stunde langsam aber stetig kochen und schäumt während dieser Zeit mit der größten Sorgfalt ab. Nonmehr passiert man sie durch ein Passiertuch und rührt sie von Zeit zu Zeit um, bis sie erkaltet ist.

Der Autor dieses Posts hier offen zu, regelmäßiger Escoffier-Leser zu sein: wo findet man sonst alleine sechs Rezepte für Schnecken!

"Die Revolutionen des Ferran Adrià" von Manfred Weber-Lamberdiére

„Wie ein Katalane das Kochen zur Kunst machte“ lautet der Untertitel dieser gerade erschienenen engagierten Biografie des definitiv meist-gehypten Kochs unserer Zeit.

Was das Buch aber lesenswert macht, ist tatsächlich weniger Adriàs Leben, das – für ihn sicherlich zum Glück – bis auf einige Anekdoten recht beschaulich und sehr geradlinig verlaufen zu sein scheint. Nein, „Die Revolutionen des Ferran Adrià“ (Bloomsbury Berlin) bieten eine wirklich unterhaltsame und kenntnisreiche Fahrt durch die Entwicklung der internationalen Haute-Cuisine des 20. Jahrhunderts. Es wird uns klar gemacht, wie sich aus dem Erbe der „großen internationalen Küche“ Auguste Escoffiers und deren Antithese, der Erfindung der „Nouvelle Cuisine“ durch Ferdinand Point und seine Mitstreiter schön dialektisch der nächste Schritt entwickelt, die „Nueva Nouvelle Cuisine“, wie Adrià seine Kochkunst bezeichnet wissen will; den Begriff „Molekular-Küche“ findet er bekanntermaßen zu technisch.

Sehr anschaulich wird neben diesem Gang durch die Gastro-Geschichte auch die psychologiesche Motivation der Köche entwickelt. Auf den Punkt gebracht: es geht um Glück, und der „Biochemie des Glücks“ wird denn auch ein eigenes Kapitel gewidmet.

Äußerlich ist es ein hübsches Büchlein: solide geheftet, angenehmes Papier und der Text schön gesetzt.

Der Autor, Manfred Weber-Lamberdière, ist Paris-Korrespondent des Focus.

Manfred Weber-Lamberdière: Die Revolutionen des Ferran Adrià. Wie ein Katalane das Kochen zur Kunst machte, 232 S., Bloomsbury Berlin, 2007, ISBN 3827007429, 18,- EUR