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"Die Molekül-Küche" von Thomas Vilgis

Die Molekül-KücheDie Maßstäbe, mit denen die „Die Molekül-Küche“ (S. Hirzel) von Thomas Vilgis zu messen ist, dürften klar sein: Wer ein Buch schreibt, das versucht, küchenwissenschaftliche Aufklärung mit Geschmack und Genuss zu verbinden, tritt in die mächtigen Fußstapfen von Hervé This. Dieser hat in seinen beiden Grundlagenwerken zur molekularen Gastronomie zum einen Chemie und Physik von Saucen, Emulsionen und Garmethoden überaus anschaulich dargestellt und anschließend ausgewählte molekulare Kochrezepte vor diesem Hintergrund präsentiert.

Genauso geht auch der theoretische Physiker Thomas Vilgis vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung vor, dessen Molekül-Küche nunmehr in der sechsten Auflage vorliegt. In dem Buch behandelt Vilgis die Chemie und Physik von Farbstoffen, Aromastoffen, Temperaturen, Garvorgängen, Zubereitungsmethoden, Saucen, Pökeln, Marinaden, Kristalle, Emulsionen, Hydrokolloide, Schäume, Milchprodukte, Teige, Kaffee und Schokolade. Dabei werden die theoretisch erklärenden Abschnitte – unter dem Titel „Genetische Sommertränen“ geht es zum Beispiel um Propanthial-S-Oxid, Thiosulphat und LF-Synthase oder etwas verständlicher: die Biochemie des Tränenflusses beim Zwiebelschälen – immer wieder mit kurzen Rezeptenvorschlägen unterbrochen: von parmesanisiertem Spinat über Marsaillaiser Bouillabaisse à la Lotte flotte bis hin zum bereits in unserem Blog erfolgreich nachgekochten indischen Paneer.

Nach über 200 Seiten anschaulicher und wundervoll zu lesender Genießerprosa auf hohem wissenschaftlichem Niveau steht als Resümee fest: Der Vilgis sollte nicht nur einen Stammplatz in jedem molekulargastronomischen Bücherfach erhalten, sondern schafft sogar das Kunststück, den Thies in einigen Punkten zu übertreffen. In der wissenschaftlichen Erklärungstiefe, der systematischen Darstellung der Küchenchemie und vor allem in der sehr bodenständigen Art der Wissensvermittlung, die selten dozierend auftritt, sondern den Leser (und Experimentator) immer wieder dazu anregt, sich auf das eigene Augenmaß zu verlassen und die dargestellten Inhalte selbst zu begreifen und zu erschmecken.

Thomas Vilgis: Die Molekül-Küche. Physik und Chemie des feinen Geschmacks, Stuttgart, S. Hirzel Verlag, 2006, ISBN 9783777613703, 19,80 EUR.

Akrylamid: die Dunkle Seite der Mailard-Macht

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Erinnert sich noch jeder an Akrylamid (Tödliche Pommes in Schweden; Lebensgefahr in der Brotkruste etc.)?
Am 1.11.2003 hatte die aufgeschreckte EU-Bürokratie das Forschungsprojekt Heatox-Projekt“ ins Leben gerufen, um zu erforschen, ob die schädlichen Stickstoffverbindungen nur in einigen industriell gefertigten Lebensmitteln entstehen oder gar fester Bestandteil der europäischen Fritier-Küche sind – und wie in der Herstellung die Entstehung von Akrylamid möglichst vermieden werden kann.

Jetzt liegt das Ergebnis vor (natürlich wieder ein besonders schönes Beispiel von Powerpoint-Präsentation):

  • Akrylamid erzeugt tatsächlioch Krebs.
  • Für industriell erzeugte Lebensmittel gibt es kein Entrinnen, lediglich die Möglichkeit zur Reduktion (z. B. Kartoffeln blanchieren und nur kurz und nicht zu heiß frittieren).
  • Markentreue führt zu besonders hohem Risiko

Da bleibt nur eins: Selberkochen.

A taste of things to come


Von Bruno Maddox lesen wir im Magazin Discover jüngst eine neuartige Apologie der Molekularen Küche: sie kann den Welthunger lindern!
Maddox, Autor der Kolumne „Blinded by Science“ propagierte an selber Stelle das Ende der Wissenschaft.

To the cynics who say such food creations are just pretentious gimmicks, Maddox replies that the potential for cooking experimentation to cure world hunger is real and has even attracted the attention of scientists. An interesting defense of often-maligned, cutting-edge cuisine.
via brijit.com

The Salt Threat

Weiter geht es mit dem nächsten Schurken-Molekül:

Too Much Sodium in Diet Harmful to Americans‘ Health

wissen die ABC-News brand aktuell zu berichten. Und deshalb rückt die US Food and Drug Administration FDA dem Feind des Blutdrucks mit zukünftigen Grenzwerten für Lebensmittel zu Leibe.

American consumers enjoy one of the safest food supplies in the world; however, we know it can be made even safer.

Leider ist eher zu vermuten, dass solche, für kleine und mittelständische Erzeuger nur schwer dokumentierbaren Grenzwerte, wie schon die schwachsinnigen „Nutrition Facts“ nur ein Ziel haben: mehr Konzentration auf die Industrie-Giganten.

Auf jeden Fall entwickelt die Dialektik zwischen Salz-Hass und Salz-Liebe uns wieder einmal den Leitsatz des Good Old Aristotelian Europe: ????? ???????.

Sugar can be intoxicating, similar to alcohol.

Das wars also! Mehr dazu auf der lustigen Aufzählung der 76 hinterlistigen Nebenwirkungen, mit denen Zucker unseren Körper schädigen kann „Counting many ways sugar harms your health“.

Contributed by Nancy Appleton, PhD
Author of the book Lick The Sugar Habit

… und wie man dann den Zucker in die seiner diabolischen Wirkung passende Form bringt, zeigt uns „These Foolish Things“:

Abb. via These Foolish Things

Hervé This

… auf Coolhunting.com:

Das perfekte Alginat-Gel

Es ist zwar nicht die Weltformel, aber ein Versuch dem perfekten Gel auf Natriumalginat-Basis (ein Produkt der Braunalge Macrocystis pyrifera bzw. „Algin“ für alle Texturas-Fans) näherzukommen:

The optimum condition to form a gel with high cohesiveness is with 2.1% sodium alginate, pH of 5, temperature of 37.6 °C and 1.1% calcium chloride.

Zu diesem Ergebnis kamen die beiden indischen Wissenschaftler B.S. Roopaa und Suvendu Bhattacharya (Universität Mysore) in ihrem aktuellen Beitrag „Alginate gels: I. Characterization of textural attributes“ (DOI des Artikels) im „Journal of Food Engineering„.

Cremigere Texturen mit Xanthan und Carob

Die drei spanischen Forscher M. Dolz, M.J. Hernándeza und J. Delegidoa (Universitat de Valencia) widmen sich in der Mai 2008 Ausgabe von Food Hydrocolloids der Viskoelastizität von Emulsionen mit geringem Ölgehalt (DOI), wie sie zum Beispiel als Salatdressings auf Basis von modifizierter Stärke gerade in der Massengastronomie immer wieder vorkommen. Mit Hilfe von Kriechtests haben sie herausgefunden, dass sich Xanthan (siehe auch die Erklärungen hier) oder Carubin (gewonnen aus der Frucht des Johannisbrotbaumes) deutlich hochwertigere und cremigere Texturen erreichen lassen:

The combination of starch with other natural gums may improve the quality of the product. A reference emulsion containing 4% MS, and four other formulations in which the starch was partially replaced by xanthan gum (XG), locust bean gum (LBG) and two synergistic blends of these gums were formulated […] It has been shown that all the emulsions present a similar final percentage recovery, which moreover is greater than that of the corresponding gels. Of note is the fact that replacing part of the starch with a small proportion of XG or LBG increases the percentage recovery of the resulting emulsion.