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Gaschromatographie als Methode der Molekularen Küche

2186389457_23c1bcdf70.jpgEine schönes Beispiel für die radikale Verwissenschaftlichung des Kochens bzw. der Rezeptkreation ist die Suche nach bestimmten Passungen in den „Odor Activitiy Values“ der Grundzutaten, wie sie Hervé This und Heston Blumenthal gerne anwenden. Hier macht die molekulare Küche ihrem Namen alle Ehre, denn es geht tatsächlich um die molekularen Bestandteile des (guten) Geschmacks. Das Prinzip erklärt Martin Lersch auf seiner Seite zu Geschmackspaarungen wie folgt:

Based on the fact that aroma of foods is so important for the way we perceive them, a hypothesis can be put forward: if the major volatile molecules of to foods are the same, they might taste (and smell) nice when eaten together.

Die Gründungslegende dieses Ansatzes ist der Vorschlag von François Benzi auf einem der legendären Kurti/This-Workshops in Erice, doch einmal mit der Kombination von Jasmin und Schweineleber zu probieren, da das Aroma beider Substanzen wesentlich auf dem chemischen Molekül Indol basiert. Und wie findet man solche Geschmackspaare? Zum einen gibt es eine kostenpflichtige Datenbank mit dem futuristischen Namen VCF 2000, zum anderen gibt es aber auch freie Datenbanken wie das Flavornet, die gelungene Visualisierung Foodpairing sowie eine umfangreiche Aromadatenbank der Good Scent Company, die man über Google bequem nach gemeinsamen Aromastoffen durchforsten kann.

chroma.pngNoch etwas wissenschaftlicher ist das Vorgehen, in Aufsätzen aus Fachjournalen wie dem Journal of Agricultural and Food Chemistry nach den „Odor Activity Values“ (OAVs) der Zutaten sowie ihren Wahrnehmungsschwellen zu suchen. Diese lassen sich errechnen, indem man die Konzentration der flüchtigen Aromastoffe durch den sensorischen Schwellenwert teilt. Ein Wert von 100 bedeutet dementsprechend, dass die Konzentration eines Aromamoleküls 100 Mal höher ist als die Wahrnehmungsschwelle. Wer einen Gaschromatographen in der Küche herumstehen hat, kann diesen dafür verwenden.

Ein kurzes Beispiel zur Illustration:

  • Es geht in unserem Fall um die Geschmackspaarung Popcorn und Kaffee. Ich könnte mir vorstellen, dass das kombinieren lassen müsste.
  • Ein Blick auf Flavornet zeigt, dass zahlreiche Röstaromen im Popcorn vorhanden sind: Ethyldimethylpyrazin, Propionylpyrrol, Acetylthiazolin.
  • acetylpyrazin.pngNun weiter zur Good Scents Company. Meine Annahme bekommt weitere Unterstützung: 2-Acetylpyrazin kommt in beiden Substanzen natürlich vor (diese Substanz wird im Übrigen auch als „Popcornpyrazin“ bezeichnet). Ebenfalls in beiden vorhanden: 2-Acetylpyrrol und 2,3,5-Trimethylpyrazine. Es gibt also einige Anhaltspunkte für eine „geschmackliche Wahlverwandtschaft“ von Kaffee und Popcorn.
  • Jetzt kann man sich noch ein wenig in die wissenschaftliche Literatur einlesen, denn es geht nun um die Frage, ob die gemeinsamen Aromamoleküle auch oberhaupt der Wahrnehmungsschwelle liegen. Zum Thema Popcorn gibt es z.B. den Aufsatz „Popcorn Flavor : Identification of Volatile Compounds“ von Walradt, Lindsay und Libbey (J. AGR. FOOD CHEM., VOL. 18, NO. 5, 1970), zum Kaffee „Volatile Constituents of Coffee. Pyrazines and Other Compounds“ von Bondarovich et al. (J. AGR. FOOD CHEM., VOL. 15, NO. 6, 1967).
  • Aus dem Popcorn-Artikel ergeben sich die folgenden typischen Aromabestandteile: 2-Acetylpyrazin (das charakteristische nussige Popcornaroma), Furfural, 5-Methylfurfural und Furfurylalkohol (leicht verbrannte Noten), 2-Methylpropanal und 3-Methylpropanal (malzige, gebrannte Aromen), N-Furfurylpyrol (grüne Aromen), dazu im Hintergrund noch 4-Vinyl-2-Methoxyphenol (Vorform von Vanilin, erinnert an Nelken) und 4-Vinylphenol (starkes rauchiges Aroma). Leider findet man in dem Artikel nur die Ergebnisse der Gaschromatographie ohne Angaben der jeweiligen Schwellenwerte.
  • Der erste Kaffeeartikel weist zwar zahlreiche Pyrazine nach, aber nicht die Stoffe, die ich suche. Aber da gibt es ja noch einen aktuelleren Artikel: „Isolation and identification of headspace volatiles from brewed coffee with an on-column GC/MS method“ von Shimoda und Shibamoto. Dort treffen wir wieder auf die folgenden Stoffe, die auch im Popcorn vorhanden waren: 2-Acetylpyrazin, Furfural, 5-Methylfurfural, Furfurylalkoho und, 2-Methylpropanal. Leider auch hier keine Angaben darüber, ob die Werte über den Schwellenwerten liegen. Die wiederum findet man in einem Artikel von Semmelroch und Grosch, „Studies on Character Impact Odorants of Coffee Brews„. Hier findet man das Vanilin sowie die beiden malzigen Aromen 2- und 3-Methylpropanal.
  • So könnte man noch eine ganze Weile machen. Andererseits lässt sich an dieser Stelle auch einfach eine praktische Validierung durchführen: man bereitet zum Beispiel eine Kaffeecreme mit Popcornpulver zu und probiert selbst, wie die Kombination schmeckt.

(Abbildung „pipoca & café“ von fotemas)

TGRWT #9

180px-p8174339.jpgMan nehme die folgenden Aromastoffe:

Daraus gilt es in der nächsten Runde des Blogevents „They Go Really Well Together“ (TGRWT #9), diesmal zu Gast bei lamiacucina, eine leckere Speise zuzubereiten. Klingt erstmal ziemlich ekelerregend und scheint eine unmögliche Aufgabe zu sein, an der sogar „the man who ate everything“, Jeffrey Steingarten, scheitern dürfte. Oder?

Nicht unbedingt, denn in Abwandlung des alten Paracelsus-Zitats gilt auch auf kulinarischem Terrain: die Menge macht den (ekligen) Geschmack. In geringen Mengen und in der richtigen Kombination ergeben die oben aufgeführten Geruchsstoffe nämlich durchaus angenehme Lebensmittel: Kakao und Parmesankäse. Das klingt doch schon deutlich besser. Also: ab in die Vorratskammer, die StinkmorchelnSchokolade und den Parmesan herausgeholt und losgekocht.

Ich denke, die Molekularküchenblogger könnten sich ja mal an einer „Chocolat coulant au parmesan“ versuchen? Oder, da einige der Aromastoffe auch in getoastetem Brot vorkommen, eine Abwandlung eines Ferran Adrià-Rezeptes: „Parmesaniertes Toastbrot mit Zartbitterschokolade“?

Die Chemie der Schokolade

Vorbildlich finden wir die Aktion der American Chemical Society, ein informatives Webangebot zum Thema „Chemie der Schokolade“ bereitzustellen. Dort kann man sich zum Beispiel über die Geschichte der Brownies informieren (einschließlich einer Rezeptsynopse), über verschiedene Schokoladensorten und Temperatureinflüsse oder eben – und hier werden die Molekularköche hellhörig – über die Chemie des Schokoladengeschmacks. Zu diesem Punkt kann man sich ein Handout von Harold McGee herunterladen, das vermutlich nur wenige Punkte des Vortrags auf dem ACS-Schokoladenworkshop „Cooks with Chemistry – The Elements of Chocolate“ illustrieren soll, aber ein wunderschönes Schokoladengeschmacksrad (nach Alice Meldrich 1997) enthält:

schokolade.png

Wer es noch wissenschaftlicher mag und sich etwa über den Procyanidin- und Catechingehalt informieren will, kann hier dann auch noch die Abstracts von aktuellen Papieren zur akademischen Schokoladeforschung durchlesen. Wir hoffen, dass diese Seite weiter ausgebaut und vor allem regelmäßig gepflegt wird.

Wissenschaftlicher Schokoladengenuss

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