Monatsarchiv: Dezember 2008

Die Süddeutsche Zeitung – eine plumpe Kreation

Caesar SaladKaum zu glauben, dass es noch ein Thema gibt, zu dem die Süddeutsche Zeitung in der Lage ist, ähnlichen Unsinn zu schreiben, wie zum Thema Weblogs. Aber in der letzten Wochenendbeilage zeigte der SZ-Architekturkritiker Gottfried Knapp eindrucksvoll, wie wenig Recherche und Halbwissen notwendig sind, um eine volle Seite der „Qualitätszeitung“ füllen zu dürfen.

Unter dem Titel „Abgespeist“ versucht er, dem Leser gewisse Ähnlichkeiten zwischen der Molekularküche und Fastfood nahezubringen. Er nennt es „untersuchen“, ich würde es eher eine reaktionäre, sachwissensfreie Polemik nennen. Sachwissensfrei? Wie sonst könnte man sich erklären, dass die Farce zusammen mit Schaum, Spiegel und Rauch als eine der vier Widerwärtigkeiten der Molekularküche dargestellt wird. Die Farce! Da spielt es keine Rollle, dass das Kleinhacken von Fleisch als Füllung eine kulinarische Kulturtechnik ist, die mindestens seit dem 17. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreicht hat.

Gegen Ende wird dann der Caesar Salad mit Gaius Julius in Verbindung gebracht, der wahrscheinlich über ein Gericht mit Worcestershire Sauce mehr als überrascht gewesen wäre, und nicht mit dem Tijuaner Koch Caesar Cardini. Und das Hamburgerbrötchen ist mitnichten eine Erfindung von McDonald’s damit „die Käufer den plattgedrückten heißen Fleischklops anfassen und ohne Gabel zum Munde führen können“, sondern wurde bereits 1904 auf der St. Louis World Fair den fleischhungrigen Besuchern präsentiert. Den Hamburger als „plumpe Kreation“ bezeichnen – das kann eigentlich nur jemand, der noch nie das großartige Mundgefühl eines locker zusammengedrückten, medium rare gebratenen Hackcuvées aus 25% Schulter, 50% Rippe und 25% Rinderbrust erfahren durfte.

Zur Hauptthese der Ähnlichkeit von Fastfood und Molekularküche und dem Statement von Ferran Adrià, das den Autor so unglaublich provozieren scheint – „In einem Interview über die Fastfoodkette McDonald’s hat er sich den Satz entlocken lassen, auch er, der Drei-Sterne-Koch, könne zum Mc-Preis keinen besseren Hamburger herstellen als die 31000 Filialen des Konzerns“ -, ist eigentlich nur zu sagen: Wenn der Autor ein wenig recherchiert hätte (vielleicht auch in diesem Blog), hätte er festgestellt, dass Ferran Adrià das nicht nur als Dreisternekoch sagt, sondern auch als Gründer einer Fastfoodkette (Fast Good), die unter anderem auch Hamburger im Angebot hat. Daraus wäre dann vielleicht eine interessante Geschichte geworden über die ganze Bandbreite des molekularkulinarischen Bearbeitens von Nahrungsmitteln.

Molekulare Gastronomie am Beginn der Reifephase

Definitionen erleichtern das Leben. Wenn sich eine Autorität dahinter verbirgt – sei es eine klassische Autorität, die mit Wissenstiteln ausgestattet ist oder eine vernetzte Autorität nach dem Prinzip „many eyes make bugs shallow“ – wird eine Definition schnell zum alltagspraktisch verwendeten Deutungsmuster. Kurz: Autoritäten definieren Realität.

Gerade eben habe ich entdeckt, dass auch die „molekulare Gastronomie“ bereits einen derartigen Schritt erfahren durfte, sie wurde von der Oxford University Press zum „Wort des Monats“ erklärt und definiert als:

the art and practice of cooking food using scientific methods to create new or unusual dishes

Danach folgen Hinweise auf die „Erfinder“ des Begriffs, Nicholas Kurti und Hervé This sowie die großen Heroen der molekularen Küche, die sich selbst jedoch immer wieder von diesem Begriff distanzieren: Ferran Adrià und Heston Blumenthal. Damit erscheint mir das Ende der wilden, subversiven Phase der molekularen Gastronomie eingeläutet. Es beginnt die Zeit des Prüfens, Aussortierens und Verfeinerns der „neuen oder ungewöhnlichen“ Geschmackseindrücke und Gerichte: Welche Zubereitungsweisen oder Geschmackskombinationen bleiben? Welche waren nur der gastronomischen Aufmerksamkeitsökonomie geschuldet?

Ich bin aber überzeugt, dass „die“ Molekulargastronomie nicht untergehen wird. Vielleicht verliert oder verändert sie ihren Namen, aber gewisse Grundprinzipien des wissenschaftlich-aufgeklärten Kochens werden überleben, ähnlich wie auch nach dem Tod der nouvelle cuisine bestimmte Herangehensweisen und Grundüberzeugungen – weniger Fleisch, Fokus auf die Qualität der Zutaten, Verzicht auf das Zukleistern mit dicken Saucen – geblieben sind. Grundüberzeugungen, die auch den ehemaligen Gegnern dieser Küche mittlerweile lieb geworden sind.


Für den Bereich technologische Innovationen evaluieren die Analysten von Gartner Jahr für Jahr den „Reifegrad“ von neuen Technologien und erstellen daraus ihren „Hypecycle„, der folgende Phasen unterscheidet:

  1. Technology Trigger
  2. Peak of Inflated Expectations
  3. Trough of Disillusionment
  4. Slope of Enlightenment
  5. Plateau of Productivity

Meiner Ansicht nach ist die Molekulare Gastronomie gerade auf dem besten Weg auf die „Ebene der Aufklärung“. Oder geht die Desillusionierung noch weiter?

(Abbildung „Hype Cycle“ von Jeremy Kemp. CC-by-SA)