Ernährungsethik kann an zwei unterschiedlichen Punkten ansetzen und sich entweder auf den Planeten beziehen oder auf die Menschen. Das Slow-Food-System lässt sich recht plausibel in den ersten Strang einordnen, nimmt man die Basiskriterien für die Aufnahme von Lebensmitteln in die Schutzliste (Arche) ernst:
- Lokalität: Das Produkt darf nicht globalisierbar sein
- Handwerklichkeit: Das Produkt sollte handwerklich hergestellt werden, so dass klassische economies of scale hier nicht greifen
- Qualität: Das Produkt muss von hoher Qualität sein
- Nachhaltigkeit: Das Produkt muss nachhaltig hergestellt werden
- Biodiversität: Das Produkt muss vom Aussterben bedroht sein
Diese Punkte ergeben im Zusammenspiel eine Ernährungsethik, die vor allem für die globalisierte Elite von Bedeutung ist. Bruce Sterling formuliert das wie folgt:
In a globalized „flat world,“ the remaining peaks soar in value and become natural clusters for a planetary elite.
Dass sich diese Gipfel nicht jeder leisten kann, dürfte nicht schwer zu belegen sein. Das Slow-Food-Prinzip, so sympathisch und wichtig es auch ist, schafft eine neue Möglichkeit zur sozialen Distinktion. Auch wenn es sich zunächst gegen eine Ökonomisierung wehrt, die nur ökonomische Kriterien zu Grunde legt – in einer ganz anderen Ökonomie wird dadurch eine neue Ressource geschaffen, mit der man sich nach unten abgrenzen kann: Es geht hier um kulturelles Kapital, wie der französische Soziologe Pierre Bourdieu feststellen würde.
Die Konstruktionsprinzipien des kulinarisch Schützenswerten sind gar nicht so schwer zu durchschauen: das erste Kriterium der Lokalität führt dazu, dass jeweils eine regionale Qualifizierung dabei ist: nicht Amaranth als solches ist schützenswert, sondern Tehuacan-Amaranth. Der letzte Punkt der Biodiversität garantiert darüber hinaus, dass es sich um hochspezifische Produkte handelt. Nicht nur um den istrischen Ochsen, sondern den istrischen Riesenochsen.
Durch diese Einschränkungen wird ein mengenmäßig kleines Gut definiert, dass von der kulinarischen Elite als Alternative zu vermassten Pseudo-Luxusgütern wie Aceto Tradizionale di Balsamico wahrgenommen werden kann. Echter Luxus hat sich schon der natürlichen oder auch künstlichen Verknappung bedient:
A local product with irreducible rarity can be sold to a small elite around the world. But it can’t be sold to mass consumers because it doesn’t scale up in volume, so it can never lose its cachet.
3 Antworten zu “Gourmets als Weltretter? Slow Food als System kulinarischer Distinktion”