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Durchs Meer des Irrtums surfen – Fichtner über die Foodblogosphäre

… die Jugend … mit allen ihren Fehlern
von denen sie sich zeitig genug verbessert,
wenn nur die Alten keine solche Esel wären (Goethe, na klar)

fichtner.jpgMit seiner gnadenlosen Analyse der deutschen Esskultur in „Tellergericht“ hat er den Blick der Lesenden hierzulande endlich einmal auf das gelenkt, was von Tag zu Tag auf den Tellern und schließlich in den Mägen landet. Warum muss Henri-Nannen-Preisträger und Wahlpariser Ullrich Fichtner nun in einer derart galligen Mischung aus Arroganz und Nichtwissen über die deutsche Foodblogszene schreiben? Natürlich ist nicht alles durchrecherchiert und Rechtschreibung wie Stilistik werden in vielen Blogs gerne öfters mal vernachlässigt. Aber mit einem pinselhaften Artikel, wie ihn Fichtner auf Spiegel Online in a fine frenzy rolling gerade abgeliefert hat, tut er dem Lager der Journalisten in der ewigen Qualitätsdebatte einen Bärendienst. Also nicht einmal viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit (aber wenn ich mich recht erinnere, war auch das letzte Spiegel-Tellergericht eher fade Mikrowellenkost).

Der Teaser klingt zunächst so vielversprechend: „Wer gerne kocht, kommt im Internet auf den Geschmack? Nicht unbedingt. Die zahllosen Kulinarik-Blogs versalzen einem nämlich schnell das Vergnügen.“ Ich habe mir eine luzide, wenn auch kritische Darstellung der Schwächen von Foodblogs gewünscht. Denkste. Es folgte in gebetsmühlenhafter Wiederholung das alte Argument von der fehlenden gesamtgesellschaftlichen Relevanz der Foodblogs. Da sind wir wohl gerade Zeugen des letzten Aufbäumens einer aussterbenden Spezies (wie Thomas treffend bemerkt). Ein paar Beispiele dafür, was Fichtner zum „Zähneknirschen“ bringt:

  • Niemand will etwas über die verschiedenen Teeaufgussmethoden oder die Vor- und Nachteile von First oder Second Flush hören.
  • Eine Französin nennt ihr Blog „Wie Gott in Deutschland„. Überhaupt: Blogs haben Namen!
  • Niemand will wissen, was Blogger mit ihren Nudeln machen, wie lange sie ihren Tee ziehen lassen.
  • Blogger halten sich „für gebildeter als Siebeck, für witziger als Axel Hacke, für beseelter als Hape Kerkeling und für schlauer als Einstein“ dabei sind sie ungebildet, nicht witzig, katatonisch und dumm.
  • Manche Blogs sind kühl designt. Das geht gar nicht, da man so den Zwiebelgeruch nicht sehen kann. Andere Seiten sind „sehr hell, sehr licht“ oder aus Erlangen – das ist gleich viel besser.
  • Es gibt Anleitungen für Hackbällchen Toskana. Unmöglich. Wer wars?

Am Ende wird es dann doch noch ganz interessant, denn die Verkörperung des kulinarischen Wahnsinns müssten dann doch eigentlich Leute wie Harold McGee oder Thomas Vilgis zu sein, die sich mit grundlegenden Fragen der Küchenwissenschaft befassen:

Es wird nicht mehr lange dauern, bis im Netz „Tipps & Tricks“ dafür zu finden sind, wie man Milch in einem Topf erwärmt. Oder wie man Butter auf eine Scheibe Brot streicht. Oder eine Tasse Kaffee eingießt.

Ach, eigentlich sind wir nur enttäuscht, dass die Molekularküche in diesem Zusammenhang nicht erwähnt wurde. Schließlich ging es hier sogar schon darum, welches Wasser am besten schmeckt. So ein Filetstückchen darf man sich doch nicht entgehen lassen.

UPDATE: Weitere lesenswerte Reaktionen finden sich in den Notizen für Genießer („Bloggen bedeutet Kommunikation“), im maisonrant (wobei ich die Kritik der Selbstbezüglichkeit gerade in den Food- und Weinblogs nicht ganz teile, da hier doch mit dem Essen oder dem Wein meistens ein externer Referent gegeben ist; auch wenn man den Verlinkungsgrad dieser Community mit anderen vergleicht, ist es eher für Blogs ziemlich wenig selbstreferenziell), in den Gastgewerbe Gedankensplittern, wo Weblogs eher als Arno Schmidtsche Zettelkästen gesehen werden denn als fertige journalistische Erzeugnisse, sowie in den reisenotizen (deren Autorin sich nicht in die Goethezeit zurückwünscht, in der einen „unbescholtene Menschen auf offener Straße damit behelligt haben, wie man Nudeln zu machen und wie lange man den Tee ziehen zu lassen hat.“)