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Faulfisch

Speisen kann man auf die unterscheidlichste Art konservieren. Man kann sie erhitzen und so evtl. vorhandene Keime abtöten, man kann hygroskopische Substanzen einsetzen – Salzen, Zuckern, Pökeln, in Alkohol einlegen, man kann Speisen trocknen und Schädlingen so das zum Leben notwendige Wasser entziehen, man kann sie säuern, da viele Schädlinge in saurem Milieu nicht überleben.

Und man den Prozess der Verderbnis gezielt in Gang bringen, so dass nur nützliche Organismen wachsen und durch ihre Ausscheidungen die Schädlinge dezimieren. Die Salami zum Beispiel, wird überzogen mit Milchsäurebakterien. In diesem Blog ausführlich behandelt ist die Herstellung von Sauerteig. Auch Edelschimmel können die Haltbarkeit von Lebensmitteln erhöhen.

Eine der spekakulärsten Arten solcher Haltbarmachung durch Verderbnis ist der skandinavische Faulfisch.

Besonders beliebt ist die Spezialität in Schweden, wo sie unter dem Namen Surströmming bekannt ist: Sauer Ostseehering (Strömling). Faulen ist eine Fermentation unter Luftabschluss. Der laichfreie Fisch wird dazu in der Regel ohne Kopf in eine Salzlake gegeben und in Holzfässern zum Faulen gebracht, dann in Blechdosen abgefüllt, die nicht vorher pasteurisiert werden. Gelagert werden soll der Fisch bei Terperaturen unter 8°C. In den Dosen setzt sich die Fäulnis fort. Nach etwa einem Jahr sind die Dosen stark von den Faulgasen aufgebläht. Jetzt ist der Fisch verzehrfertig.

Der Witz dabei ist, dass durch die Kulturen der Bakterienstämme Haloanerobium eine milchsaure Umgebung schaffen, die das Wachstum giftiger Bakterien wie z. B. Botulismen – vulgo Leichengift – verhindert. Als Nebenprodukte entwickeln sich unter anderem Schwefelwasserstoff (faule Eier), Buttersäure (saure Milch), Essigsäure und ganz besonders wichtig, Propionsäure (Erbrochenes), die für das charakteristische Aroma dieser Spezialität verantwortlich sind. Daher gilt Surströmming als eines der am stärksten stinkenden Lebensmittel weltweit!

Eine Andekdote zum Faulfisch ist das Surströming-Urteil, in dem das Landgerichts Köln die Rechtmäßigkeit einer fristlosen Kündigung an eine Mieterin bestätigte, die im Treppenhaus ihres Wohnhauses versehentlich Surströmming-Lake vertropft hatte – der Richter war sofort überzeugt, als die beklagte Partei im Gerichtssaal eine Dose Faulfisch öffnete (12.1. 1984, AZ 1 S 171/83). Auch der Transport von Faulfisch im Flugzeug wird von meheren Linien ausdrücklich verboten, weswegen der Verkauf von Faulfisch auf schwedischen Flughäfen eingestellt wurde. Zum Verzehr öffnet man die Fischdose üblicher Weise unter Wasser, um ein herausspritzen der stinkenden Lake zu verhindern.

Die norwegische Variante ist der Rakfisk, der aber wesentlich kürzer fermentiert wird und dem daher der starke Gestank des Surströmming fehlt.

Auch in Island gibt es fermentierten Fisch: Kæst Skata, den Gammelrochen, der traditionell am Fest des Heiligen Þorlákur, dem 23. Dezember verzehrt wird. Das besondere an dieser isländischen Rochenart ist die Tatsache, dass der Fisch keine Harnblase besitzt und daher den Harnstoff in sein Gewebe einlagert, wodurch sein Fleisch giftig wird. Um es dennoch verzehren zu können, wird der Rochen eingegraben und fermentiert (faulen gelassen). Das Ergebnis stinkt nicht so faulig wie der schwedische Surströmming, dafür umso stärker nach Urin – und so schmeckt er auch.

Nicht zu verwechseln ist der Faulfisch mit dem Laugenfisch, dem Ludfisk oder Lutefisk, der nachdem sein Eiweiß durch Einlagen in Natronlauge weitgehend denaturiert ist, eine geleeartige Konstitenz aufweist.

Das Faulenlassen zur Fermentation von Fisch wird mindestens seit der Antike praktiziert und zwar Weltweit. Was den Römern ihr Garum oder Liquamen war, ist den Vietnamesen ihre n??c m?m – im Gegensatz zur römischen Fischsauce nicht aus den Innereien hergestellt.

Es ist interessant, dass in Claude Levi-Strauss‘ Dreieck von roh-gekocht-verfault, über dass wir uns an mehreren Stellen Gedanken gemacht hatten – ausgerechnet der empfindliche Fisch die besten Beispiele für Speisen in der Ecke des Verfaulten liefert. In unserem Kulturraum scheint man sich aber mit dem fauligen in der Neuzeit eher schwer zu tun. Klabunds Bettellied, dass ihm neben bei bemerkt den Vorwurf der Gotteslästerung einbrachte, zeigt uns die Position, die verfaulter Fisch in der Metaphorik Mitteleuropas im 20. Jahrhunder (und vermutlich heute noch) hat:

Ach, schenkt den armen drei Königen was.
Ein Schöpflöffel aus dem Heringsfaß
– verschimmelt Brot, verfaulter Fisch,
da setzen sie sich noch fröhlich zu Tisch.
Kyrieeleis.

Roh – gekocht – verfault

Prometheus bringt den Menschen das Feuer
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Man kann nicht alle [Nahrungsmittel] unter den gleichen Umständen servieren. Die einen werden genossen, ehe sie sich völlig entwickelt haben – Kapern, Spargel, Spanferkel, Tauben und dergleichen Tiere, die man in ihrer Frühzeit verzehrt; andere im Augenblick, da sie die höchste Stufe der Vollkommenheit ersteigen, die ihnen beschieden – Melonen, die meisten Früchte, das Schaf, der Ochse und alle ausgewachsenen Tiere; wieder andere gerade, wenn ihre Zersetzung anhebt – Mispeln, Schnepfen und vor allem der Fasan; machen endlich werden erst künstlich die schädlichen Eigenschaften genommen – der Kartoffel, dem Maniok und ähnlichem.
Brillat-Savarin

Über das Dreieck der Nahrung von Levi-Strauss hatten wir schon früher geschrieben. Auch zur Diskussion um natürlichere versus künstlicheres Kochen können wir hier Anregungen finden.
Bitte keinen Sarkasmus; ich weiß, dass natürlich und künstlich statische Begriffe sind, die sich sowenig steigern lassen, wie ‚rot‘ oder ‚viereckig‘; aber über die sprach-begriffliche Unsinnigkeit unserer Diskussion hatte bk sich ja bereits umfangreich geäußert …

Nach Levi-Strauss können wir alles, was wir Essen, in der Fläche des Dreiecks verorten, dessen Ecken die Reinform des Zustandes bilden: roh, also unbearbeitet, gekocht, d. h. kulturell bearbeitet oder verfault, im Zustand der Zersetzung.
Wir nehmen unsere Nahrung so gut wie nie vollkommen roh und unbearbeitet zu uns – selbst roh verzehrtes Gemüse waschen und schälen wir in der Regel. Ebenso haben wir den verzehr von Aas seit einigen Millionen Jahren aufgegeben. Vielmehr befindet sich unsere Nahrung stets im Zustand mehr oder weniger stark fortgeschrittener kultureller Denaturierung (gekocht, gebraten, konfiert etc.) oder natürlicher Zersetzung (fermentiert, vergoren, abgehangen etc.), wie dies gewohnt eloquent von Brillat-Savarin in unserem Eingangszitat aufgezählt wird.

Hier meine Version der oben zitierten Aufzählung Brillat-Savarins im Dreieck von Levi-Strauss:
levistrauss_brillatsaverin1.gif

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Weiterführende Literatur